»... dein Vater ist im Krieg...«
Verpasst! Nur gut 30 Zuhörer stellten sich am Donnerstag dem beklemmenden Gefühl, das die Lieder und Gedichte aus der Zeit des Ersten Weltkriegs weckten. Die Grenzgänger aus Bremen ließen es in den Schützengräben krachen und vertonten den Irrsinn des Krieges.
Offenburg. »Maikäfer, flieg!« heißt das Programm der Grenzgänger, und genauso stiegen sie am Donnerstag im Salmen ein. Nur instrumental, aber umso aussagekräftiger. Das Akkordeon ließ zornig anschwellende Töne hören, dann wurde alles wieder resigniert leise. Wie am Schluss, als Michael Zachcial das verbreitete Kinderliedchen nochmals mit der Mini-Drehorgel spielte. Dazwischen bot das Quartett aus Bremen einen Abend mit Gänsehautfeeling der ganz anderen Art. Im Volksliedarchiv in Freiburg hatte sich die Gruppe die meisten Lieder zusammengesucht, vielfach war es schlichtweg Glück, dass sie – kritisch und ketzerisch – erhalten blieben. Denn wer sie einst vor den falschen Leuten hören ließ, landete schon mal in der Festung von Köln. Zachcial besang das Soldatengefängnis – verwoben mit der Melodie von »Kommt ein Vogel geflogen« – mit so melancholischem Timbre, so resigniert, dass man fürchtete, das Jahr würde nie vorüber gehen.
Lied vom »Aspirin«
Überhaupt die Zeit: Nach dem ersten Kriegswinter war etwas in der Luft zu hören, ein Flirren. Gänse, so grau wie das Heer des Kaisers. Beklemmung und Todesangst wurden in den Arrangements greifbar, und so wunderte es nicht, dass die Grenzgänger auch »Aspirin« mit in ihr Repertoire aufgenommen hatten. Der verzweifelte Schrei der Soldaten nach Linderung, nach Vergessen, kurzweg, nach Drogen, die den Alptraum erträglich machten, hauchte der Sänger zunehmend lallend ins Mikro. Dagegen nahm sich das Heimkehrerlied schon humorvoll aus, das den Vermietern erklärte, sie könnten mit ihrer Wuchermiete sonstwo bleiben: Man zieht in den Wald, das ist man ohnehin schon gewöhnt. Was heute noch bekannt ist, kursierte schon damals in Soldatenkreisen. Zum Beispiel der Schulhofwitz, in dem der Soldat immer zwei Möglichkeiten hat, bis er als Toilettenpapier in der Herrentoilette landet. Dann ist er endgültig »am Arsch«.
Oder die vermeintliche Glenn-Miller-Melodie (In the Mood), die 1915 ein Opernschlager aus der »Kinokönigin« war und dann zu »Nach dem Krieg, wenn ist unser der Sieg« umgedichtet wurde. Den Irrwitz kehrten die Grenzgänger auch bei »Brot und Frieden hätt’ ich gern« heraus, das eher als »Gold und Silber hätt’ ich gern« bekannt war. Und, um der Sache die Krone aufzusetzen, dessen Melodie Ralph Siegel mit »Du kannst nicht immer 17 sein« zum Schlager machte. Zachcial überlegte, was der damals 17-jährige im Feld wohl zu Siegel gesagt hätte.
Grausame Ironie, waren doch die Kinder zuvor in der Schule noch mit Liedern indoktriniert worden, um den Krieg als Teil des Alltags zu sehen. »Wer will unter die Soldaten, der muss haben ein Gewehr«. Auch »Jeder Schuss ein Russ« stammt aus dieser Zeit, schön umgesetzt mit tänzerischen Bewegungen. Ebenfalls nuancenreich und hintergründig gestalteten die Grenzgänger das Lied vom täglichen Brot. Wie dankbar sind die Kinder, es zu haben, auch wenn es keinen Aufstrich hat »und denken an die da draußen«.
Brecht und Tucholsky kamen zu Wort in der Liederrevue, die Felix Kroll am Akkorden ausdrucksstark untermalte. Frederic Drobnjak setzte an der Konzertgitarre Akzente, Annette Rettich zauberte mit dem Cello Geräusche aus dem Schützengraben. Das Publikum war begeistert, bereichert, klüger und emotional berührt.