Die wechselvolle Geschichte des Maghreb
Im Rahmen der Offenburger Literaturtage »Wortspiel« stellen wir die Autoren und ihre Bücher vor. Fouad Laroui erzählt in »Die alte Dame in Marrakesch« vom Aufeinanderprallen der Kulturen.
Fouad Larouis neuem Roman führt etwas in die Irre: Denn »Die alte Dame in Marrakesch« ist keine Dame – sie scheint die Haussklavin der einstigen Bewohner des Hauses in Marrakesch gewesen sein, das die Protagonisten soeben erworben haben. »Es war eine sehr alte Frau, mit schwarzer Haut, so schwarz, dass sie bläulich zu schimmern schien«, beschreibt Laroui die Szene, in der Francois und Céline und die Bewohnerin aufeinandertreffen. Und ob es das »Es«, dieses fast gespensterhafte Wesen, überhaupt gibt, ist auch fraglich.
Das später, denn zunächst haben Francois und Cécile ein komfortables Leben in Paris. Aber sie langweilen sich. »Wie wäre es, wenn wir ein Riad in Marrakesch kauften? Alle Welt in Paris hat einen Riad in Marrakesch, warum nicht wir?« Marokko-Reisende kennen die einst herrschaftlichen Häuser mit begrüntem Innenhof als stilvolle Pensionen, Künstler, Mode- und Filmleute sind längst auf den Trend aufgesprungen und haben Riads restauriert.
In heiter-ironischem Ton entlässt der gebürtige Marokkaner Laroui die beiden Franzosen nun in die Welt seiner Heimat. »Wie der kleine arabische Laden an der Ecke in Paris?«, suchen die Neubürger verängstigt ein wenig Halt in Klischees. Denn es gibt Misstrauen und viele Missverständnisse auf beiden Seiten.
Blumige Sätze
Da sind die Verbindungen und Verhältnisse der Einheimischen, jeder kennt jeden, und alle wissen, dass das Ehepaar ein Haus mit einem ganz speziellen Erbe gekauft hat. Da taucht ein Makler auf, der blumige Sätze zitiert, der nach »orientalischer Logik«, so ärgern sich Francois und Céline, anscheinend die Grenze seriöser Geschäftspraktiken in Richtung Betrug verwischt.Mit Charme und Leichtigkeit beschreibt Laroui die Fallstricke im Umgang miteinander.
Hinter der Voreingenommenheit der Protagonisten lässt der Autor die vermeintliche Unvereinbarkeit der beiden Kulturen aufscheinen. Vor allem aber: Laroui hat einen spannenden Roman vor der Kulisse der jüngeren marokkanisch-europäischen Geschichte geschrieben. Und auch darüber, wie sich ein Einzelner im politischen Konflikt der Gruppen verhält. Um zu verstehen, warum die Beziehung zwischen christlicher und muslimischer Gesellschaft so schwierig sei, müsse man die Ursprünge kennen, erklärt der Merlin-Verlag, der das Buch Mitte März anlässlich der Leipziger Buchmesse herausgebracht hat. Es ist das erste Werk des Autors, das ins Deutsche übersetzt wurde.
Beim Lesen sollte man sich nicht von den wechselnden Ebenen irritieren lassen. Die Abenteuer des französischen Paares und die Geschichte des Landes Marokko haben jeweils ihre Kapitel, doch am Ende verdichtet sich alles im Schicksal der »alten Dame«. Bewohnen werden die beiden ihren Riad nie, doch als sie nach einem Jahr abreisen, haben sie mehr gesehen und bewirkt, als sie je gedacht hatten.
Politischer Hintergrund
Was als schwungvolle Satire beginnt, bringt der Autor im Laufe der Geschichte auf die Ebene von Versöhnung und Verantwortung. Das Rätsel um die alte Dame wird gelöst, der Riad zur Gedenkstätte.
Marokko, heute Königreich, war ab Mitte des 19. Jahrhunderts Spielball von europäischen Mächten. »›Mit welchem Recht maßen sich Menschen an, in eine Territorium vorzudringen, das nicht das ihre ist?‹, fragen sich die Mitglieder einer marokkanischen Delegation 1906, die zur Konferenz der christlichen Staaten in das spanische Algeciras eingeladen sind«, erläutert Laroui den Beginn der Aufteilung des Maghreb durch die europäischen Kolonialmächte. Bodenschätze und Land für Kolonialsiedler waren verlockende Beute. Die Franzosen erschufen gegen Widerstand und durch Niederschlagung der Aufstände der Berber und Araber das Protektorat Französisch-Marokko. Mit Folgen bis heute. Teile der Infrastruktur oder der Ausbildungssysteme in Marokko sind französisches Erbe. Ob es ein ungewolltes ist, wird die künftige Geschichte in Zeiten eines als radikal verstandenen Islamismus zeigen.
Martina Wörner, Leiterin der Volkshochschule Offenburg, hat das Buch »Die alte Dame in Marrakesch« aus ganz besonderem Grund für das »Wortspiel« ausgesucht. Die VHS legt in diesem Jahr den Semesterschwerpunkt auf Frankreich, sagt sie. Eine Partnerschaft mit dem marokkanischen Rabat sei bereits aktuell. »En passant entführt dieses Buch den Leser durch die wechselvolle Geschichte des Maghreb und stellt Bezüge zur Gegenwart her«, erklärt Wörner.
www.merlin-verlag.com
www.wortspiel-offenburg.de
Fouad Laroui
Fouad Laroui, geboren 1958 in Oujda, Marokko, lebt in Amsterdam, wo er an der Universität französische Literatur und Philosophie lehrt. Er ist gelernter Ingenieur und Wirtschaftswissenschaftler. Bislang hat Laroui acht Romane veröffentlicht sowie Essays und Erzählungen. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Prix Albert Camus, dem Prix Méditerranée, dem Prix du meilleur roman francophone und dem Prix Goncourt de la nouvelle.ug
Lesung
Fouad Laroui, Die alte Dame in Marrakesch, Merlin-Verlag 2015, 22 Euro.
Lesung: Freitag, 17. April, 20 Uhr Volkshochschule Offenburg. Karten: Stadtbibliothek Offenburg, Volkshochschule Offenburg.