Literaturtage "Wortspiel"

Dirk Kurbjuweit beschreibt Leiden einer Revolutionärin

Jutta Hagedorn
Lesezeit 4 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
30. März 2017
Dirk Kurbjuweit erzählt die traurige Geschichte einer besonderen Frau.

Dirk Kurbjuweit erzählt die traurige Geschichte einer besonderen Frau. ©Sabine Sauer

Im Rahmen der Offenburger Literaturtage »Wortspiel« stellen wir Autoren und ihre Bücher vor. Dirk Kurbjuweit hat sich eines historischen Stoffes angenommen und einer außergewöhnlichen Persönlichkeit: der Demokratin und Revolutionärin Emma Herwegh. 

Ihre Ehe mit Georg war ein Skandal, ihr Leben selbst ein verwegener Roman. Und den erzählt Dirk Kurbjuweit hautnah, anrührend, berührend, aber auch mit all den Widersprüchen, die dieser Roman zeigt. Wäre Emma Herwegh (1817-1904) Amerikanerin gewesen, ihr Leben wäre längst zu einem grandiosen Hollywoodspektakel verfilmt worden. Alle Zutaten sind da: Tochter aus gutem Hause, schön, reich und gebildet, verliebt sich in die Revolutionsikone ihrer Zeit, einen umschwärmten Dichter. Sie folgt ihm ins Exil und kämpft sogar leibhaftig für die Revolution: Wie ein Mann gekleidet, in Hose, Jacke und Schlapphut streitet sie an der Seite der Aufständigen. Doch die Sache mit der Revolution geht schief und auch die Liebe ist voller Dramen.
In Dirk Kurbjuweits Roman »Die Freiheit der Emma Herwegh« sieht es ein bisschen anders aus. Bei ihm ist die Berliner Tochter eines Seidenhändlers, Demokratin und Feministin zwar auch die politische Freiheitskämpferin, modern, furchtlos, radikal, vor allem aber ist sie eine Ehefrau, die im Privaten eben diese Konsequenz vermissen lässt. Denn die Freiheit, die Emma hier im Munde führt, ist doch sehr einseitig. Jahrelang betrügt ihr Mann Georg Herwegh (1817-1875) sie mit anderen Frauen, drängt ihr sein Konzept der freien Liebe auf, was ihr widerstrebt. Doch sie sorgt nicht für klare Verhältnisse.

Im Rückblick

- Anzeige -

Dirk Kurbjuweit (54), »Spiegel«-Journalist und erfolgreicher Romanautor, fokussiert sich stark, vielleicht zu stark, auf diese turbulente Ehe zweier Revolutionäre. Erzählt wird im Rückblick, eingebettet in eine Rahmenhandlung, die im Jahr 1894 spielt. Emma ist da schon eine alte Frau und seit langem Witwe. Sie ist pleite,  führt in Paris ein eingeschränktes Leben, finanziert von Freunden. Einer ihrer Besucher ist Frank Wedekind. Der junge Dramatiker Wedekind, der gerade mit seinem Stück »Frühlings Erwachen« Furore gemacht hat, ist von Emmas Lebensgeschichte fasziniert, aber auch über ihre Duldsamkeit schockiert. Einmal erzählt Emma ihm, wie sie im Pariser Exil Briefe ihres Mannes aus der Schweiz erhielt. Regelmäßig steckten in den Umschlägen Kuverts, die sie seiner Geliebten Natalie Herzen überreichen sollte. 
Auch mit Benjamin Franklin spricht sie über ihren Mann und verteidigt ihn: »Nicht dass Sie mich falsch verstehen, sage ich, es liegt mir fern, Georg einen Vorwurf zu machen. Er musste sein Leben auf eine eigene Art führen, auf die Art eines Schriftstellers, und die ist für die, die nicht Schriftsteller sind, manchmal schwer zu verstehen, gerade wenn es sich um einen großen Schriftsteller handelt.«

Klägliche Figur

Tatsächlich gibt der viel gerühmte Dichter (»Der Freiheit eine Gasse«), ein Vorkämpfer der 1848er-Revolution und Frühsozialist, im Roman eine eher klägliche Figur ab. Eine Audienz beim preußischen König versemmelt er, von der Polizei lässt er sich aufs Glatteis führen, in Paris vertrödelt er den Vorabend der Revolution mit dem Studium von Krustentieren. In einer Schlüsselszene bringt Emma ihrem Mann widerwillig die Meerestiere, während sie ihm gleichzeitig erzählt, dass Soldaten in die Stadt einziehen. Doch der Dichter zeigt keine Reaktion, verharrt in empörender Passivität. 
Heinrich Heine verspottete Herwegh als »eiserne Lerche«, viel Pathos, wenig Tat. Doch das stimmt nicht ganz. Denn am Ende stürzen sich die Herweghs doch noch ins Revolutionsabenteuer. Sie wollen dem badischen Revolutionär Friedrich Hecker mit einer Gruppe von Freischärlern zu Hilfe eilen. Sie scheitern kläglich. Danach wird Emma als Aufrührerin steckbrieflich gesucht.
Kurbjuweit schildert Emma Herwegh als große Freiheitssuchende, die sich spektakulär über Konventionen ihrer Zeit hinwegsetzte, sich aber andererseits selbst Fesseln auferlegte, indem sie sich ganz auf ihren Mann bezog und seine Spielregeln bereitwillig übernahm. Ein großes Frauenleben mit tragischer Note. Die Geschichte geht einem nahe, vielleicht, weil Emma selber erzählt. Kurbjuweit lässt den Leser ihre Gedanken hören, ihre Selbstgespräche, lässt ihn an ihren Sehnsüchten teilnehmen Das ist manchmal schon peinlich, macht bisweilen aber auch traurig. 

Zur Person

Dirk Kurbjuweit

Dirk Kurbjuweit, Jahrgang 1962, ist Journalist und Schriftsteller und lebt in Berlin. Er arbeitete als Redakteur der »Zeit«, seit 2015 ist er stellvertretender Chefredakteur des »Spiegel«. Für seine Reportagen wurde er mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis, dem Medienpreis des Deutschen Bundestags oder dem Deutscher Reporterpreis. Mehrere seiner Romane wurden verfilmt bzw. dramatisiert. 

Info

Lesung

Dirk Kurbjuweit, Die Freiheit der Emma Herwegh,  Karl Hanser Verlag 2017,   23 Euro.
Lesung: Donnerstag, 30. März, 20 Uhr, Buchhandlung Roth, Hauptstraße Offenburg.
Karten: Buchhandlung Roth, Abendkasse.

Weitere Artikel aus der Kategorie: Kultur

José F. A. Oliver
27.03.2024
Kulturkolumne
Einst las ich den Satz, die Zeit sei eine blinde Führerin. Übersetzt hieß das für mich nichts anderes, als dass wir diejenigen sein sollten, die diese an die Hand nehmen müssten. In einer Welt, die groß ist und klein zugleich: Die Welt ist groß. Die Welt ist klein ...
Berühmten Kollegen setzte Anna Haifisch ein Denkmal. So zeigt sie in einer Zeichnung den Karikaturisten Saul Steinberg (1914–1999) beim Kampf gegen eine Schaffenskrise.
26.03.2024
Ausstellung in Straßburg
Noch bis zum 7. April sind im Straßburger Musée Tomi Ungerer Werke der deutschen Zeichnerin Anna Haifisch zu sehen. Sie stellt Menschen gerne oft als Tiere dar und karikiert Kollegen.
Gäste im "Grand Hotel Grimm" mit unlauteren Absichten: ein Zwerg mit langem Bart, ein unscheinbarer Handlungsreisender und eine elegante junge Dame mit dem Namen Rotkäppchen.
26.03.2024
Puppenparade Ortenau
Die „Berliner Stadtmusikanten“ des Theaters Zitadelle sind in die Jahre gekommen. Mit „Grand Hotel Grimm“ boten sie bei der Puppenparade in Lahr dennoch eine erfrischende Vorstellung.
Im Mittelpunkt der Tragödie: die Schwestern Chrysothemis (Elza van den Heever, links) und Elektra ­(Nina Stemme).
26.03.2024
Festspielhaus Baden-Baden
Das archaische Thema der Oper „Elektra“ ließ das Publikum bei der Eröffnung der Osterfestspiele Baden-Baden frösteln. Umjubelt wurden Sängerin Nina Stemme und Dirigent Kirill Petrenko.
Dietrich Mack. 
26.03.2024
Kulturkolumne
„Hoffnungsglück“ hat Goethe die Aufbruchstimmung genannt, die der Frühling verbreitet..Dieses Gefühl genießt auch der Kolumnist, der verrät, warum für ihn Bach nicht nur der fünfte, sondern auch der beste Evangelist ist.
Sechshändig am Klavier: die Schwestern Alisa und Lia Benner aus Lahr und Ennco Sinner aus Kippenheim.
19.03.2024
"Jugend musiziert"
Eine Auswahl der Besten beim Landeswettbewerb in Offenburg stellte sich in der Offenburger Reithalle vor, oft begleitet von Vater, Mutter oder Geschwistern.
Harte Szene im Gemüsekrimi: Dietmar Bertram hobelt eine Gurke, um sie zum Reden zu bringen.
17.03.2024
Lahr
Ein Detektiv spielt mit Essen: Dietmar Bertram präsentierte „Hollyfood – Die Gemüsekrimis“ bei der Puppenparade Ortenau im Lahrer Schlachthof.
Am Abgrund: In "A long way down" wird über ein ernstes Thema gealbert. 
17.03.2024
Offenburg
Mit britischem Humor thematisiert die Tragikomödie „A long way down“ die Selbstmordgedanken gescheiterter Existenzen. Für die Aufführung in der Oberrheinhalle gab es viel Beifall.
Von Gier befeuert: Carsten Klemm (rechts) als Kunstfälscher Fritz Knobel und Luc Feit (links) als Skandalreporter Hermann Willié. 
17.03.2024
Lahr
Den Skandal um die angeblichen Hitlertagebücher des Kunstfälschers Kujau brachte die Landesbühne Esslingen mit „Schtonck“ auf die Bühne.
Arbeiten aus mehr als drei Jahrzehnten zeigt Karl Vollmer im Artforum.
17.03.2024
Offenburg
Karl Vollmer reflektiert das Zeitgeschehen und bezieht Position. Zwei Werke seiner Ausstellung „Wider Erwarten – Ortung“ beim Kunstverein Ortenau hat er Alexej Nawalny gewidmet.
Das Trio Van Beethoven erhielt frenetischen Schlussbeifall.
13.03.2024
Achern
Das Trio Van Beethoven eroberte am Sonntag mit Werken von drei weitgehend unbekannten Komponisten das Publikum in der Alten Kirche Fautenbach.
Mit ein bisschen Absurdität und jeder Menge Witz ließ das Theater Handgemenge seinen König auf Reisen gehen.
13.03.2024
Kehl
Das Schattenspiel um Herrn König bescherte dem Kehler Publikum einen großartigen Puppenparade-Abend

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • HYDRO liefert etwa Dreibockheber für die Flugzeugwartung. 
    26.03.2024
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl fustionieren
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl schließen sich zusammen. Mit diesem Schritt befinden sich die Kompetenzen in den Bereichen Ground Support Equipment (GSE) und Aircraft- & Engine Tooling unter einem Dach.
  • Alle Beauty-Dienstleistungen bietet die Kosmetik Lounge in Offenburg unter einem Dach.
    26.03.2024
    Kosmetik Lounge Offenburg: Da steckt alles unter einem Dach
    Mit einer pfiffigen Geschäftsidee lässt Elena Plett in Offenburg aufhorchen. Die staatlich geprüfte Kosmetikerin denkt "outside the box" und hat in ihrer Kosmetik Lounge ein außergewöhnliches Geschäftsmodell gestartet.
  • Konfetti, Flitter und Feuerwerk beschließen die große Preisverleihung im Forum-Kino in Offenburg. Die SHORTS feiern 2024 ihr 25. Jubiläum. 
    26.03.2024
    25 Jahre SHORTS – 25 Jahre Bühne für künftige Filmemacher
    Vom kleinen Screening in 25 Jahren zum gewachsenen Filmfestival: Die SHORTS der Hochschule Offenburg feiern Jubiläum. Von 9. bis 12. April dreht sich im Forum-Kino Offenburg alles um die Werke junger Filmemacher. Am 13. April wird das Jubiläum im "Kesselhaus" gefeiert.
  • Das LIBERTY-Team startet am Mittwoch, 27. März, in die Afterwork-Party-Saison. 2024 finden die Veranstaltungen in Kooperation mit reiff medien statt. 
    22.03.2024
    Businessaustausch jetzt in Kooperation mit reiff medien
    Das Offenburger LIBERTY startet mit Power in die Eventsaison: Am Mittwoch, 27. März, steigt die erste XXL-Afterwork-Party mit einem neuen Kooperationspartner. Das LIBERTY lädt zusammen mit reiff medien zum zwanglosen Feierabend-Businessaustausch ein.