Dirk Kurbjuweit beschreibt Leiden einer Revolutionärin
Im Rahmen der Offenburger Literaturtage »Wortspiel« stellen wir Autoren und ihre Bücher vor. Dirk Kurbjuweit hat sich eines historischen Stoffes angenommen und einer außergewöhnlichen Persönlichkeit: der Demokratin und Revolutionärin Emma Herwegh.
Ihre Ehe mit Georg war ein Skandal, ihr Leben selbst ein verwegener Roman. Und den erzählt Dirk Kurbjuweit hautnah, anrührend, berührend, aber auch mit all den Widersprüchen, die dieser Roman zeigt. Wäre Emma Herwegh (1817-1904) Amerikanerin gewesen, ihr Leben wäre längst zu einem grandiosen Hollywoodspektakel verfilmt worden. Alle Zutaten sind da: Tochter aus gutem Hause, schön, reich und gebildet, verliebt sich in die Revolutionsikone ihrer Zeit, einen umschwärmten Dichter. Sie folgt ihm ins Exil und kämpft sogar leibhaftig für die Revolution: Wie ein Mann gekleidet, in Hose, Jacke und Schlapphut streitet sie an der Seite der Aufständigen. Doch die Sache mit der Revolution geht schief und auch die Liebe ist voller Dramen.
In Dirk Kurbjuweits Roman »Die Freiheit der Emma Herwegh« sieht es ein bisschen anders aus. Bei ihm ist die Berliner Tochter eines Seidenhändlers, Demokratin und Feministin zwar auch die politische Freiheitskämpferin, modern, furchtlos, radikal, vor allem aber ist sie eine Ehefrau, die im Privaten eben diese Konsequenz vermissen lässt. Denn die Freiheit, die Emma hier im Munde führt, ist doch sehr einseitig. Jahrelang betrügt ihr Mann Georg Herwegh (1817-1875) sie mit anderen Frauen, drängt ihr sein Konzept der freien Liebe auf, was ihr widerstrebt. Doch sie sorgt nicht für klare Verhältnisse.
Im Rückblick
Dirk Kurbjuweit (54), »Spiegel«-Journalist und erfolgreicher Romanautor, fokussiert sich stark, vielleicht zu stark, auf diese turbulente Ehe zweier Revolutionäre. Erzählt wird im Rückblick, eingebettet in eine Rahmenhandlung, die im Jahr 1894 spielt. Emma ist da schon eine alte Frau und seit langem Witwe. Sie ist pleite, führt in Paris ein eingeschränktes Leben, finanziert von Freunden. Einer ihrer Besucher ist Frank Wedekind. Der junge Dramatiker Wedekind, der gerade mit seinem Stück »Frühlings Erwachen« Furore gemacht hat, ist von Emmas Lebensgeschichte fasziniert, aber auch über ihre Duldsamkeit schockiert. Einmal erzählt Emma ihm, wie sie im Pariser Exil Briefe ihres Mannes aus der Schweiz erhielt. Regelmäßig steckten in den Umschlägen Kuverts, die sie seiner Geliebten Natalie Herzen überreichen sollte.
Auch mit Benjamin Franklin spricht sie über ihren Mann und verteidigt ihn: »Nicht dass Sie mich falsch verstehen, sage ich, es liegt mir fern, Georg einen Vorwurf zu machen. Er musste sein Leben auf eine eigene Art führen, auf die Art eines Schriftstellers, und die ist für die, die nicht Schriftsteller sind, manchmal schwer zu verstehen, gerade wenn es sich um einen großen Schriftsteller handelt.«
Klägliche Figur
Tatsächlich gibt der viel gerühmte Dichter (»Der Freiheit eine Gasse«), ein Vorkämpfer der 1848er-Revolution und Frühsozialist, im Roman eine eher klägliche Figur ab. Eine Audienz beim preußischen König versemmelt er, von der Polizei lässt er sich aufs Glatteis führen, in Paris vertrödelt er den Vorabend der Revolution mit dem Studium von Krustentieren. In einer Schlüsselszene bringt Emma ihrem Mann widerwillig die Meerestiere, während sie ihm gleichzeitig erzählt, dass Soldaten in die Stadt einziehen. Doch der Dichter zeigt keine Reaktion, verharrt in empörender Passivität.
Heinrich Heine verspottete Herwegh als »eiserne Lerche«, viel Pathos, wenig Tat. Doch das stimmt nicht ganz. Denn am Ende stürzen sich die Herweghs doch noch ins Revolutionsabenteuer. Sie wollen dem badischen Revolutionär Friedrich Hecker mit einer Gruppe von Freischärlern zu Hilfe eilen. Sie scheitern kläglich. Danach wird Emma als Aufrührerin steckbrieflich gesucht.
Kurbjuweit schildert Emma Herwegh als große Freiheitssuchende, die sich spektakulär über Konventionen ihrer Zeit hinwegsetzte, sich aber andererseits selbst Fesseln auferlegte, indem sie sich ganz auf ihren Mann bezog und seine Spielregeln bereitwillig übernahm. Ein großes Frauenleben mit tragischer Note. Die Geschichte geht einem nahe, vielleicht, weil Emma selber erzählt. Kurbjuweit lässt den Leser ihre Gedanken hören, ihre Selbstgespräche, lässt ihn an ihren Sehnsüchten teilnehmen Das ist manchmal schon peinlich, macht bisweilen aber auch traurig.
Dirk Kurbjuweit
Dirk Kurbjuweit, Jahrgang 1962, ist Journalist und Schriftsteller und lebt in Berlin. Er arbeitete als Redakteur der »Zeit«, seit 2015 ist er stellvertretender Chefredakteur des »Spiegel«. Für seine Reportagen wurde er mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis, dem Medienpreis des Deutschen Bundestags oder dem Deutscher Reporterpreis. Mehrere seiner Romane wurden verfilmt bzw. dramatisiert.
Lesung
Dirk Kurbjuweit, Die Freiheit der Emma Herwegh, Karl Hanser Verlag 2017, 23 Euro.
Lesung: Donnerstag, 30. März, 20 Uhr, Buchhandlung Roth, Hauptstraße Offenburg.
Karten: Buchhandlung Roth, Abendkasse.