Künstlerateliers (4)

Drei Maler arbeiten Tür an Tür in ehemaliger Stickerei

Rainer Braxmaier
Lesezeit 5 Minuten
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13. September 2016
Hat den schönsten Ausblick: Gabi Streile.

(Bild 1/3) Hat den schönsten Ausblick: Gabi Streile. ©Rainer Braxmaier

Wie und wo arbeiten Künstler, wie und wo entstehen die Werke? Diesen Fragen ist der Oberkircher Künstler und Journalist Rainer Braxmaier für die Mittelbadische Presse nachgegangen. Wir stellen immer dienstags Ateliers von Ortenauer und Straßburger Künstlern vor. Heute sind es Gabi Streile, Werner Schmidt und Heinz Schultz-Koernig in Oberkirch. 

Dass die Bildung von Gruppen die Kraft des Einzelnen stärkt, ist auch in der Kunstszene eine alte Weisheit. Die komplette Geschichte der Avantgarde ließe sich so erzählen. Auch in der Ortenau gibt es viele Ateliergemeinschaften. Der Hintergrund ist ein praktischer: alte Werkstätten oder Industrieanlagen eignen sich besonders als Künstlerateliers, die gemeinschaftliche Nutzung ermöglicht es, auch die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen besser zu berücksichtigen. Außerdem haftet der Veredelung niedergelassener Industriebrachen durch die Kunst eine gewisse Romantik an.
Als die Oberkircher Firma Alfred Apelt Ende der 90er- Jahre ihre Stickerei aufgegeben hatte, gab es plötzlich Platz für eine andere Nutzung der Räume. Die Nachfahren des Firmengründers versuchten gezielt Künstler für ihr Raumangebot zu interessieren. Und sie fanden in Gabi Streile, Werner Schmidt und Heinz Schultz-Koernig drei Mitstreiter, die dem Haus bis heute die Treue gehalten haben und an der Rench in Oberkirch ein kleines Künstlerparadies schufen. 
Die drei Ateliers erreicht man über ein schmuckloses Treppenhaus, das in das zweite Obergeschoss führt. Umso überraschender die funktionale Pracht der Etablissements, ein wahres »Sesam-öffne-dich«. Der kühle Charme des Fünfziger-Jahre-Zweckbaus weicht einem Panoptikum der Vielfalt, das zugleich die unterschiedlichen Temperamente der drei Künstler widerspiegelt: opulent und vegetabil bei Gabi Streile, organisiert und strikt nach Funktionsbereichen getrennt bei Werner Schmidt, und schließlich der Ausdruck eines »Ideenstapels« bei Heinz Schultz-Koernig. 

Gute Aussichten

Die sich aufdrängende Frage nach der unbequemen Transporttour der oft großformatigen Exponate ist schnell geklärt: Das Haus verfügt über einen Lastenaufzug. Nach den Wünschen der Künstler wurden Zwischenwände eingebaut und Schiebetüren. Unisono loben die drei ihre guten Aussichten, den Fensterblick. Gabi Streile kann sogar die Fassadenwand öffnen. 
Heinz Schultz-Koernig ist der Sachlichste von allen, die verrückteste seiner Gerätschaften war schon da: eine schmale, mindestens vier Meter hohe Leiter, die ins Dachgeschoss führt. Er aber bleibt lieber in seiner Arbeitsebene, streng getrennt nach Tisch für die kleinen Zeichnungen, von denen er mehr als tausend angefertigt hat, Drucktisch und Presse, denn seine Spezialität ist der Hochdruck. Schließlich der Bürotisch und die Malwand. Dort hängen gerade zwei Papierarbeiten, die seinen lakonischen Humor illustrieren. Die kopflose Dame im roten Kleid hatte auf dem Ausgangsfoto auch keinen Kopf.
Während er selbst seinen regelmäßigen Arbeitsrhythmus betont, bescheinigt ihm sein Nachbar Werner Schmidt einen »sehr spiralmäßigen Arbeitsablauf«. Er kehre immer wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück, sei dabei aber ein Stück weiter gekommen. Die beiden tauschen sich sehr oft aus, zeigen sich ihre neuesten Arbeitsproben oder trinken schweigend im benachbarten Tennisclub (»Unser Clubhaus«) ein Bier.
Werner Schmidt pendelt gerne zwischen Extremen. Sein Malplatz sieht aus wie der Krater einer Farbexplosion, ganz im Gegensatz zu dem ruhigen Endergebnis seiner abstrakten Farbfelder. »Die Einteilung entspricht meiner Arbeitsweise«, erklärt er. Denn die übrigen Abteile machen einen sehr organisierten Eindruck: große Lagerregale, eine beeindruckende Schauwand, die der Künstler zum Vergleich seiner Arbeiten benötigt, aber auch ein ausgedehnter Ruheplatz mit Musikanlage. 

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Sandkastenerlebnis

Werner Schmidt ist bekennender Jazzfan, spielt selbst Klarinette und hört auch im Atelier gerne Musik, »aber nur bei der Vorbereitung«. Für den Malvorgang selbst braucht er die Stille. Inzwischen hat er seinen Arbeitsbereich ein Stockwerk tiefer ausgedehnt. Dort sind das Archiv, sein Büro für Computerarbeiten und ein Fotostudio, denn der studierte Grafiker kann alle seine Druckerzeugnisse – Kataloge und Prospekte – selbst vorbereiten. »Durch die Konzentration, die ein eigener Raum hergibt, kann ich schneller und sicherer arbeiten«, sagt Schmidt. Beim Malen aber muss er sich austoben können, braucht das »unbegrenzte Sandkastenerlebnis«.
Gabi Streile lässt sich nicht nur von der romantischen Schwarzwaldaussicht durch ihre Atelierfenster inspirieren, sondern auch von der Arbeitsatmosphäre der Firma und deren Betriebslärm. »Ich liebe es, dass ich mir vorkomme, wie eine Arbeiterin«. Andererseits schätzt sie das grandiose Licht durch die tiefgezogenen Fenster – »Ich kann die Sonne von Osten bis nach Westen verfolgen« – und den Überblick, der ihr »das Gefühl von Landschaft« vermittelt. Hier hat sie mit der angrenzenden Pappelallee auch ein neues zusätzliches Motiv zu ihren Landschafts- und Pflanzenbildern entdeckt. 

Wie im "Tatort"

Bei aller atmosphärischen Verspieltheit, die man aus dem nüchternen Zweckbau erkennen kann, der »Tatort Atelier« sieht bei Gabi Streile so echt aus, wie ihn kein Szenenbildner für den Film hinbrächte. Berge ausgedrückter Ölfarbe und verbrauchter Tuben türmen sich auf ihrem Farbtisch. Die Ölfarbe lässt sich auch aus dieser Masse immer wieder lösen, mit einer verblüffenden Konsequenz: »Es entsteht eine Farbigkeit, die sich vom letzten Bild ins nächste transportieren lässt.« So enthält das nächste Bild immer ein Stück der Geschichte des vorhergehenden. Und die Malerin fühlt sich am wohlsten »richtig im Terpentin drin«.

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