Baden-Baden

Osterfestspiele im Festspielhaus

Dietrich Mack
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16. April 2014

©Festspielhaus Baden-Baden

Ein beliebter Witz unter Musikern ist die Frage, ob der Herrgott Bach oder Mozart vorziehe. Um das zu klären, besucht man Gott, und hört, als man ihm näher kommt, Musik von Mozart. »Und Bach?« Gott nickt: »Bach bin ich.«

»Die Johannespassion« im Festspielhaus Baden-Baden ist göttlich und menschlich zugleich. Braucht man diese Deutung der Passion? In der ganzen Welt werden Bachs Passionen vor allem konzertant gespielt, von der »Matthäuspassion« gibt es mehr als 40 Aufnahmen, von der »Johannespassion« kaum weniger. Es gibt Verfilmungen und eine großartige Tanzversion der »Matthäuspassion« von John Neumeier. 2010 »ritualisierte« Peter Sellars mit den Berliner Philharmonikern die »Matthäuspassion«, und nun folgte »Die Johannespassion«. Sie ließ ein in vielen Sprachen munter schwatzendes Publikum stumm werden.

Die Bühne ist schwarz, Chor, Solisten, Musiker schwarz gekleidet; zeitlos, ortlos. Nur die Sünderin Maria Magdalena (Magdalena Kozená) in rotem und die Himmelskönigin Maria (Camilla Tilling) in blauem Kleid. Die Mitte ist gleißend hell; eine tief gehängte Lampe über dem Zentrum: Christus, Verhör, Grab, Auferstehung. Das Orchester, Flöten und Oboen, spannen sich über die Welt, überhöhen den Bühnenraum.

Eingangschor »Herr, unser Herrscher«: der Chor liegt auf dem Boden, wälzt sich; das wiederholt sich, als der Vorhang im Tempel zerreißt. Der Chor ist alles, auf ihm fußt alles, er entfaltet eine nie peinliche, suggestive Pantomime. Nur selten hat man den Eindruck, dass der Gestenkanon die Musik verdoppelt, das Geschehen nur illustriert.

Ein Betroffener
Wie Neumeier hat auch Peter Sellars eine Parallelhandlung mit ungemein präzisen, suggestiven Gesten inszeniert, einen Kanon für alle Emotionen gefunden, für Hohn und Spott, Flehen und Anbeten. Alles kommt aus den »Leibern«, nicht aus den Noten. Kein Theater. Gebet. Alle singen auswendig, jeden Namen müsste man rühmen, und den von Simon Halsey, der diesen Berliner Rundfunkchor einstudiert hat, gleich dreimal.

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Mark Padmore singt die riesige Partie des Evangelisten nicht als neutraler Erzähler von der Kanzel, sondern als Betroffener, und auch er singt auswendig wie alle anderen Solisten. Besonders eindringlich Roderick Williams als Christus und Christian Gerhaher als Petrus und Pilatus. Kein Schöngesang, sondern Stammeln, Klagen, Hauchen. Ein Kammerspiel um Leben und Tod, auf engem Raum, immer wieder vom Chor bedrängt, umzingelt.

So dirigiert auch Simon Rattle. Er mischt sich ein, hört zu, entfacht die innere Glut, kein Strohfeuer; selbst der Jubel am Schluss »Ich will dich preisen ewiglich« wirkt verhalten. Man kann das bedauern, aber es ist konsequent. Sellars und Rattle wollen keine Distanz zulassen, sondern Nähe und Betroffenheit stiften. So muss die griechische Tragödie gewesen sein, so muss sie gewirkt haben.

Robert Schumann hätte daran Freude gehabt. Für ihn war »Die Johannespassion« nicht eine fromme Christenlehre, sondern ein Menschheitsepos, nicht in Kirchen, sondern in der Welt aufzuführen. Wer spirituelle, ja existenzielle Musik hören will, muss nach Baden-Baden fahren und am Karfreitag diese »Johannespassion« erleben.

Osterfestspiele: »Die Johannespassion«, Johann Sebastian Bach, Festspielhaus Baden-Baden. Termin: Freitag, 18. April, 18 Uhr. Karten unter Telefon 07221/3013101.

www.osterfestspiele.de

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