Osterfestspiele im Festspielhaus Baden-Baden

Grau mit bröckelnden Fassaden

Dietrich Mack
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14. April 2014

Getrost kann man »Manon Lescaut« als Puccinis »Tristan und Isolde« ansehen: Liebesduett im 2. Akt, Schlussbild mit vertauschten Rollen, Leitmotivik, Dynamik und Farbenreichtum des Orchesters. Die Neuinszenierung wurde am Samstag in Baden-Baden gefeiert.

Baden-Baden. Das Publikum liebt die Opern Puccinis:  Emotionen, Leidenschaften, Melos, Belcanto-Arien. Für viele ist Puccini aber eben nur ein Verdi oder Wagner light. Berühmte Orchester und Dirigenten tun sich schwerer, Intellektuelle ohnehin. Nach der zwiespältigen »Zauberflöte« im Vorjahr haben sich die Berliner Philharmoniker und ihr Chef Simon Rattle für »Manon« entschieden. Neuland für fast alle. Die Stadt hatte ihr schönstes Kleid angezogen – die Blütenpracht dieses Frühjahrs –, Gerüchte kursierten (Nazis auf der Bühne), die Erwartung war groß.
Richard Eyre, international erfolgreich in Theater, Film und Oper und auch in Baden-Baden kein Unbekannter, siedelt die Geschichte nicht im eleganten Milieu des Rokoko an, sondern im besetzten Frankreich  1940/41. Das irritiert zwar historisch, vor allem wegen der Deportation der Huren nach Amerika (im 18. Jahrhundert war das ein übler Brauch), aber mindert die emotionale Wirkung  wenig.
Die Welt ist hart, großspurig,  zerfällt immer mehr. Die Architektur der Bühnenbilder von Rob Howell mit bröckelnden Fassaden, vielen Treppen, grauem Schiffsleib und einer Betonwüste in Amerika zitiert  A. Speer, Piranesi, C. D. Friedrich. Keine schlechte Gesellschaft. Die deutschen Wehrmachtsoldaten sind nicht mehr als Komparsen. So erlebt man keine aufdringliche Ideologisierung Puccinis, sondern einen dramatischen Raum, in dem sich Manons Tragödie entfalten kann.
Liebe und Luxus
Eva-Maria Westbroek, viele Jahre in Stuttgart engagiert, ehe sie Weltkarriere machte, ist natürlich kein achtzehnjähriges Mädchen, sondern eine üppige, zwischen Liebe und Luxus hin- und hergerissene Frau, die in ihrer Gier nach Reichtum  nicht berechnend, sondern naiv, direkt ist. Westbroeks Sopran ist warm, groß, voller Emotionalität. Auch in der Stimme viel Sexappeal und – leider – Vibrato. Befremdlicher als ihr Alter ist ihr Kostüm im 1. Akt; so ist kein armes Ding gekleidet. Ihr verfallen ist Renato Des Grieux. Diese Partie haben »alle« gesungen, von Caruso bis Domingo. Massimo Giordano passt stimmlich wie körperlich gut zu der Westbroek: starke Bühnenpräsenz,  kraftvolle, warme Stimme, bisweilen zu tief.
Sehr schön gelingen die Arien »Donna non vidi mai«,  »Guardate pazzo son« und das Liebesduett. Sein Gegenspieler ist der reiche Geronte de Ravoir, eine Art Investmentbanker. Er schmiert alle, auch die  Besatzungssoldaten. Der Chinese Liang Li gestaltet diese Partie; das ist pikant, hört sich aber gut an. Irritierend ist die Besetzung  von Manons Bruder Lescaut mit dem schwarzen Sänger Lester Lynch. Da scheinen die Chromosomen verrutscht zu sein. Man glaubt, immer Porgy zu sehen und zu hören. Die mittleren und kleinen Rollen sind ordentlich besetzt, der Chor (Philharmonia Chor Wien) agiert präzise und ausdrucksstark.
Alle Ungereimtheiten, alle Schwächen dieser Oper – acht Autoren haben an dem Libretto herumgeschustert – , der Inszenierung und der Besetzung fegt das Orchester hinweg. Fulminant dirigiert Simon Rattle seine Berliner, präzise in den lauten, schwebend in den leisen Passagen, wundervoll im Intermezzo. Pure Emotion. Da kann man für kurze Zeit selbst »Tristan« vergessen. Dafür allein lohnt sich die Reise nach Baden-Baden.
Weitere Aufführungen: 16. und 21. April; Karten: • 07221/3013101.

www.osterfestspiele.de

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