Herrlich skurrile Katastrophen
Hinter dem Schalter hat Helmut Hoffmann nie gesessen. Die Rolle des biederen, kleinkarierten Postbeamten spielt der norddeutsche Kabarettist trotzdem perfekt. Am Freitagabend gastierte er als »Hans-Hermann Thielke« in Lahr.
Lahr. Er ist steif und ungelenk, die Hose, zu der er selbstverständlich Krawatte und Pullunder trägt, ist so kleinkariert wie das Weltbild der Kunstfigur Hans-Hermann Thielke. Der aus der Lüneburger Heide stammende Kabarettist und Komiker Helmut Hoffmann hat sie wohl irgendwann in den späten 1990er-Jahren kreiert und damit ein seither sorgsam gehegtes und gepflegtes Alter Ego geschaffen.
Hoffmann, immerhin Absolvent einer staatlich anerkannten Berufsfachschule für Clown, Komik und Theater, kokettiert nicht nur mit dem Zerrbild eines unbeholfenen, mit Komplexen behafteten Schalterbeamten. Er geht in der Rolle auf, hat sie zu überregionalem Erfolg geführt, bei unzähligen Fernsehauftritten gepunktet. Auch in Lahr tritt er nicht zum ersten Mal an, vor einigen Jahren berichtete er beim städtischen Neujahrsempfang von seinem Leben im Dienste der Deutsche Post. Nichts währt allerdings ewig.
Mit Hoffmanns zweitem, 2008 aufgelegten Soloprogramm »Jetzt oder nie!«, gerät die Welt von Hans-Hermann Thielke gehörig aus den Fugen. Die Post hat ihn nach 30 Jahren mit einem Fußtritt vor die Tür gesetzt, die Arbeitsagentur spendiert einen Kurs im Rahmen des Programms »50+«. Thielke soll nun ein Bühnenstar werden, einer der singt und tanzt, das Publikum zum Lachen bringt und um den Finger wickelt. Die Quadratur des Kreises ist damit perfekt.
Hemmungsloses Spiel
Er kann nun hemmungslos aus sich herausgehen, die Rampensau nach außen stülpen, wenn er nicht gerade umständlich und langatmig über seinem Alltag, die längst noch nicht überwundene Lebenswirklichkeit eines Schalterbeamten bei der Post berichtet.
Das Publikum der Lahrer Kabarettreihe konfrontiert er so mit einem wunderbar skurrilen Spannungsfeld. Da steht einer, der sich mit dem bei der Arbeitsagentur gelernten Motivationssong erst einmal Mut machen muss. Der dann beherzt trällernd eine Brücke von Heino zu James Blunt schlägt, mit Seidentüchern jongliert, mit dem Bürostuhl einen wilden Tanz vollführt. Immer wieder wartet er mit kleinen Showeinlagen und eingestreuten Songs auf, die sich stets aus dem Kontext des biederen und stets steifen Beamten heraus entwickelt. Zwischendurch erzählt er von den großen und kleinen Katastrophen seines Lebens.
Wie er einen Lottogewinn versemmelt und mit dem Kopf in der Tiefkühltruhe landet, weil er von einem Kollegen nicht erkannt werden will. Wie sein Ford Fiesta zu einem Kleinbiotop erklärt wurde, nachdem sich ein Marder im Motorraum eingenistet hat. Ab und zu setzt er sich nachts eine Stunde auf den Rücksitz, tagsüber geht das nicht, weil das Tier seinen Schlaf braucht.
Manchmal kocht und brodelt es auch in ihm, Hans-Hermann Thielke kommt dann mit rollenden Augen in Fahrt, aber nie aus seiner Haut. Das ist der Fall, wenn er an den Neuwagen des frisch geschiedenen Nachbarn denkt, wenn sein Blick auf die beiden leeren Plätze in der ersten Reihe des Lahrer Schlachthofs fällt. Da haben sich wohl zwei Zuschauer um die Konfrontation mit ihm gedrückt und sich einen Abend vor dem Fernseher gegönnt. Er ist stinksauer, singt dann aber doch lieber ein Lied über den Traum von einer hübschen, adretten Frau fürs Leben. Mit 51 ist man schließlich genau im richtigen Alter, um mal etwas ganz Neues zu wagen.