Hausacher LeseLenz 2014

Kontrastreiche Hauptlesung des Literaturfestivals

Jürgen Haberer
Lesezeit 3 Minuten
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16. Juli 2014

Las zwischen Kissen und Körben: Nellja Veremej. ©Jürgen Haberer

Korbgeschäft und Gärtnerei, zwei Männer aus der Schweiz, ein Heimkehrer aus der Filmmetropole Los Angeles, eine in Russland geborene Autorin. Die Arithmetik der beiden Hauptlesungen am Sonntag dokumentierte einmal mehr das vielschichtige LeseLenz-Profil.

Hausach. Zur Matinee am Sonntagvormittag gastiert das Literaturfestival traditionell in der oberen Etage des Innenausstatters Korb Welzel, zwischen Korbwaren, Kleinmöbeln und Kissenregalen. Am Abend weht den Zuhörern dann bei Blumen Burkhardt der Duft von frischem Humus um die Nase, während sie zwischen Blumengeschäft und Gewächshäusern den Worten der Autoren lauschen. Die Auswahl der Leseorte ist beim LeseLenz so bunt wie die Schriftsteller und Literaten, die Jahr für Jahr den Weg nach Hausach finden.

Die erste Lesung entpuppt sich als eher etwas schwere Kost. Nellja Veremej, 1963 in Maikop in Russland geboren, seit 1994 in Berlin lebend, schreibt in einem wunderbaren und gleichermaßen realistischen wie poetischen Deutsch. Der Akzent ihres Vortrags fordert dann aber die volle Konzentration der Zuhörer. Der Schweizer Lukas Bärfuss, Jahrgang 1971, greift direkt und schonungslos Tabuthemen auf, beleuchtet den Völkermord in Ruanda oder – wie in seinem aktuellen Roman »Koala« – den minutiös geplanten Selbstmord des Bruders seines Erzählers.

Nellja Veremejs aktueller Roman »Berlin liegt im Osten«, für den sie unter anderem mit dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis ausgezeichnet wurde, ist nicht zuletzt eine poetische Liebeserklärung an die Stadt selbst. Eine wundersame Begegnung mit den Schauplätzen des Romans »Berlin Alexanderplatz« von Alfred Döblin. Er erzählt aber auch einfühlsam die Geschichte der Altenpflegerin Lena, die sich ebenso wie die Autorin, schrittweise von Osten her an die Stadt annähert.

Knallharte Sprache

Lukas Bärfuss pflegt einen ganz anderen Schreibstil. Er wagt den Tabubruch in einer trockenen, knallharten Sprache, setzt das Publikum in seiner Lesung einem Trommelfeuer aus, mit dem er gleich eine ganze Reihe von Themenfeldern belegt. Da ist die letzte, eher beiläufige Begegnung der beiden Brüder vor dem Selbstmord. Eine kurze Begegnung mit den beiden Männern, die den toten Bruder in der Badewanne aufgefunden haben. Ein Sprung zurück in die Kindheit, in ein Pfadfinderlager, wo der Bruder nach einer minutiös aufgezeigten Mutprobe den Spitznamen »Koala« erhält, der sein ganzes Leben prägen sollte.

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Am Abend am Rande der Gewächshäuser der Gärtnerei dann die Begegnung mit den Autoren Peter Stamm und Patrick Roth, zwei Schriftsteller, um die sich José F.A. Oliver lange bemüht hat. Der Schweizer Peter Stamm, Jahrgang 1963, wirkt seit rund 25 Jahren als freier Autor und Journalist. Er thematisiert zwischenmenschliche Beziehungen, schreibt über Distanz und Nähe, die Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit.

Sein aktueller Roman »Nacht ist der Tag« ist einer schönen, erfolgreichen Frau gewidmet, die bei einem Unfall in der Silvesternacht ihren Mann, ihre Nase und Teile ihres Gesichts verliert. Der Leser wird ihr Begleiter auf dem mit Rückblenden gespickten Weg zurück ins Leben.

Patrick Roth, 1963 in Freiburg geboren, ist ein begeisterter Filmenthusiast und Autor von Theaterstücken, Hörspielen und Büchern. 1975, auf einer Reise in die USA, ist er in Los Angeles hängen geblieben. In Hausach liest er aus seinem 1997 erschienenen, 2013 neu herausgebrachten Buch »Meine Reise zu Chaplin«.

Von Chaplin umgarnt

Es ist eine Liebeserklärung an den Stummfilm und seinen Meister Charlie Chaplin, dem sich der Autor 1976 auf seinem Alterswohnsitz in der Schweiz anzunähern versucht. Es ist ein Buch, das in der Rezitation wunderbar verführt, umgarnt und zum Schmunzeln einlädt. An einem der spannenden Wendepunkte bricht Roth ab und klappt das Buch zu: Das Publikum soll schließlich pünktlich zur Übertragung des Finales der Fußball-WM in der Stadthalle sein.

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