Künstlerateliers (4)

Martin Sanders hat für jedes Format einen passenden Ort

Rainer Braxmaier
Lesezeit 5 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
20. September 2016
Fundgrube Straßencafè: Martin Sander malt Passanten nach Fotovorlagen.

Fundgrube Straßencafè: Martin Sander malt Passanten nach Fotovorlagen. ©Rainer Braxmaier

Wie und wo arbeiten Künstler, wie und wo entstehen die Werke? Diesen Fragen ist der Oberkircher Künstler und Journalist Rainer Braxmaier für die Mittelbadische Presse nachgegangen. Wir stellen immer dienstags Ateliers von Ortenauer und Straßburger Künstlern vor. Heute gilt der Besuch Martin Sander in Offenburg. 

Martin Sander verkörpert den Typus des urbanen Künstlers: Beweglich, multifunktional und immer schnell unterwegs; das meiste lässt sich zu Fuß in der Offenburger Innenstadt erledigen, größere innerstädtische Touren legt er auf dem Fahrrad zurück. Wenn er dann mal wirklich weg muss, braucht er einen Fahrer.

Seit gut zwanzig Jahren ist Martin Sander künstlerisch unterwegs, hat sich dabei eine spielerische Leichtigkeit bewahrt, die zu bewundern ist. Ein Leben ganz im Zeichen der Kunst. Das geht nur deshalb so gut, weil er sich für seine vielen Tätigkeiten feste Regeln auferlegt hat. Alles hat seinen Platz, alles hat seine Zeit.

Deshalb ist es in seinem Fall auch nicht so leicht, sich mit seinem Atelier zu beschäftigen. Denn er hat mehrere Wirkungsorte, für die es feste Orte gibt. Beginnen wir mit der Wohnung, ein geräumiger Altbau in der Offenburger Oststadt, zur Straße hin das Kulturforum fest im Blick, hinten raus das übliche Gemisch aus Wohnhäusern, Garagen, Hinterhöfen und kleinen Werkstätten. 

Das Interieur beweist: die Kunst ist Martin Sanders Lebensmittelpunkt. Es beginnt gerne mit einer Tasse Kaffee in der Küche. An den Wänden Bilder mit dem passenden Motiv: Fertiggerichte, gemalt in seinem typischen Stil. Die detailgetreue Grundzeichnung ist mit lockeren Strichen übermalt und fördert die Schönheit der Warenwelt zutage, zeigt in der Monumentalisierung zugleich ihren Irrsinn, einfach durch die Art der Darstellung.

Da gibt es keinen bewusst kritischen Ansatzpunkt. Der Künstler nimmt die Dinge, wie sie kommen, bearbeitet sie in seiner Welt und formt sie damit um. Abstraktion, ohne die Gegenständlichkeit zu verlassen. Dieses künstlerische Prinzip durchsetzt das gesamte Leben Martin Sanders. Seit Jahren arbeitet er nach Fotovorlagen, der erste Filter seiner Lebenssicht. 

»Daily Sander«

Sander sitzt gerne in einem Straßencafe und fotografiert die Passanten. Wahllos und unkommentiert laufen sie durch seine Bilder. Menschen, die ein Ziel vor Augen haben und deshalb keine Augen für ihre Umgebung. So gleichen sich die unterschiedlichsten Typen in ihrer Art, sich zu bewegen – Fundgrube für ein Lebenswerk. Martin Sander nutzt sie für eine Aktion, die er seit einigen Jahren betreibt: den »Daily Sander«. Jeden Tag stellt er ein kleines gemaltes Bild ins Netz, jeden Tag? Nein, von Montag bis Freitag, Struktur muss sein. 

Die Serie der Passanten hat auch ihre eigenen formalen Gesetze. Der Maler überträgt sie auf kleine Hartfaserplatten, malt nur das Motiv, keinen Hintergrund, Farbe und Struktur der MdF-Platte wird zum Theatervorhang, vor dem sich die Figuren bewegen. Das »Daily-Sander-Atelier« ist ein eigener Raum in der Wohnung.

- Anzeige -

Zauberei zu langweilig

Martin Sander entschied sich, nachdem er 1990 in Offenburg sein Abitur gemacht hatte, bewusst für ein Künstlerleben. »Gezeichnet habe ich schon immer«, stellt er fest. Hunderte von Zeichnungen und Siebdrucke entstanden in den darauffolgenden Jahren, zur Freude der Ortenauer Musikerszene, die ihm viele Plakate verdankt. Daneben reizten ihn auch Zauberkunststücke, die er bis zur Aufführungsreife beherrschte. Doch ein Leben als Zauberkünstler war ihm zu mühsam und eintönig. 

Auch die Zulassung zu einer Kunstakademie widersprach seinem ausgeprägten Hang zum individuellen Leben, weil man dort »in einer Clique ist. Ich aber wollte rausfinden, was ich selbst bin.« Lange Zeit wurde er deshalb in der Kunstszene kaum wahrgenommen: »Man wird freundlich ignoriert.«

Das aber ist Vergangenheit. Martin Sander entdeckte die Ölmalerei für sich und legte die gleiche Konsequenz und Zähigkeit an den Tag, wie davor als Zeichner. Sein zweiter Tatort ist nur einen Steinwurf von der Wohnung entfernt, im Kulturzentrum »KiK«.  Dort hat er ein geräumiges Atelier bezogen, in dem er die größeren Formate bewältigen kann.

Skurrile Situationen

 Auch hier ist das Prinzip gleich: Sander bedient sich der reproduzierten Welt, ein wichtiger Abstraktionsvorgang schon bei der Auswahl des Motivs. Manchmal sind es übernommene Bilder aus dem Internet oder anderen Medien, oft kombiniert er eigene Aufnahmen zu skurrilen Situationen, beispielsweise den »schwebenden jungen Damen«, von denen es mehrere in großen Formaten gibt.

Seinen Alltag hat Martin Sander strenger strukturiert, als das dem Künstlerimage entspräche. Der Morgen ist mit Verwaltungsarbeiten gefüllt, immerhin ist er seit einiger Zeit auch Geschäftsführer des Kunstvereins Offenburg-Mittelbaden. Die Kür beginnt mit der Malarbeit in den Ateliers oder den urbanen Milieustudien in den dafür geeigneten Lokalitäten der Stadt. Auf jeden Fall muss er seine künstlerische Arbeit noch zur Tagzeit vollbringen, denn abends wird es laut im Kulturzentrum, und »ich kann nicht arbeiten, wenn jemand da ist«. 

Aber, wenn etwas den Künstler Martin Sander auszeichnet, dann ist es seine Flexibilität. Das hat ihm ein besonderes Leben abseits vom ständigen Ringen nach materiellem Wohlstand beschert: »Ich habe immer mein Leben mit Kunst gestaltet, sie ist ein ganz natürlicher Teil von mir geworden.«

Weitere Artikel aus der Kategorie: Kultur

Charlotte Gneuß schaffte es mit ihrem Erstling auf die Longlist des Deutschen Buchpreises – heute liest sie in Offenburg.
vor 19 Stunden
Literaturtage Wortspiel
Mit ihrem Romandebüt "Gittersee" hat die Autorin Charlotte Gneuß eine heftige Debatte entfacht. Zugleich erhielt sie mehrere Literaturpreise. Am Dienstagabend liest sie bei "Wortspiel" in Offenburg.
Dirigent Rolf Schilli (von links), Komponist Leonard Küßner und Musikschulleiter Peter Stöhr bei der Übergabe der Partitur von "Zeitenwende".
15.04.2024
Offenburg
Die Partitur ist übergeben: Nun probt die "Philharmonie am Forum" für die Uraufführung des Konzerts für Altsaxofon und Orchester des Komponisten Leonard Küßner am 5. Mai in Offenburg.
José F.A. Oliver.
15.04.2024
Kulturkolumne
So wie „spring“ im Englischen Frühling „m:eint“, lade ich Sie ein, hineinzuspringen – mitten in diesen Kolumnentext! In die Zeilen. Zwischen die Zeilen.
Barbara Ehrmann und Dieter Konsek stellen gemeinsam beim Kunstverein Offenburg/Mittelbaden aus. 
12.04.2024
Kunstverein Offenburg/Mittelbaden
Barbara Ehrmann zieht es ins Wasser, Dieter Konsek in den Wald. Die Bilderwelt der beiden Künstler zeigt eine gemeinsame Ausstellung beim Kunstverein Offenburg/Mittelbaden.
Die schweizerisch-österreichische Malerin Angelika Kauffmann vollendete das Ölgemälde "Klio, Muse der Geschichtsschreibung" um 1775. 
10.04.2024
Ausstellung in Basel
In der Ausstellung „Geniale Künstlerinnen“ zeigt das Kunstmuseum Basel Gemälde und Druckgrafik von Frauen von der Renaissance bis zum 18. Jahrhundert.
Hotel Rimini macht Popmusik, hält die Tür aber in alle Richtungen offen.
09.04.2024
Konzert
Das junge Sextett Hotel Rimini sucht noch nach der unverwechselbaren Handschrift. Das Konzert im Foyer der Offenburger Reithalle hatte trotzdem eine positive Resonanz des Publikums.
Der holländische Gitarrist und Songschreiber Bertolf Lentink bringt seine hochkarätige Tourband mit nach Bühl.
09.04.2024
Bluegrass-Festival
Bei der 20. Ausgabe des Bühler Bluegrass-Festivals am ersten Mai-Wochenende gibt es erstmals eine Matinee. Stargast beim Hauptkonzert ist die John Jorgenson Bluegrass Band.
Schlagzeuger Joe Hertenstein, Trompeter Thomas Heberer und Kontrabassist Joe Fonda setzten in der Christuskirche auf die lyrische Kraft ihrer Instrumente.
08.04.2024
Jazzkonzert
Bei seinem Konzert in der Reihe der Kuppelkonzerte in der Lahrer Christuskirche hat das Jazztrio Remedy um Joe Hertenstein die Herausforderung des besonderen Klangraums mit Bravour gemeistert.
Der Autor Alex Capus besitzt auch die Bar "Galizia" in Olten.
08.04.2024
Kultur
Dienstagabend um 20 Uhr stellt Alex Capus sein aktuelles Buch vor: Seine Zuhörer in der Buchhandlung Roth in Offenburg wird er mit in "Das Haus am Sonnenhang" nehmen.
Von Altersmüdigkeit keine Spur: Bandmitbegründer und Frontman Jim Kerr (64) zelebriert immer noch seine berühmten Posen.
08.04.2024
Konzert in Straßburg
Die schottische Gruppe Simple Minds hat sich mit jungen Musikern verstärkt. Beim Auftritt im Straßburger Zenith begeisterte sie 6000 Besucher und sorgte für einen Gänsehautmoment.
Reinhold Beckmann erzählt in seinem Buch die Geschichte seiner Familie.
08.04.2024
Beckmann-Lesung
Der TV-Moderator, Journalist und Autor Reinhold Beckmann las in Achern aus seinem erschütternden Buch „Aenne und ihre Brüder – die Geschichte meiner Mutter“.
Lassen eine Amour fou aufleben: Margit Sartorius und Siemen Rühaak.
06.04.2024
Literaturtage Wortspiel Offenburg
Ein Theaterstück über die Liebe von Erich Maria Remarque und Marlene Dietrich spielen Siemen Rühaak und Margit Sartorius: der letzte Wortspiel-Beitrag von Kulturbüroleiter Edgar Common.

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • Auch das Handwerk zeigt bei der Berufsinfomesse (BIM), was es alles kann. Hier wird beispielsweise präsentiert, wie Pflaster fachmännisch verlegt wird. 
    13.04.2024
    432 Aussteller informieren bei der Berufsinfomesse Offenburg
    Die 23. Berufsinfomesse in der Messe Offenburg-Ortenau wird ein Event der Superlative. Am 19. und 20. April präsentieren 432 Aussteller Schulabsolventen und Fortbildungswilligen einen Querschnitt durch die Ortenauer Berufswelt. Rund 24.000 Besucher werden erwartet.
  • Der Frühling steht vor der Tür und die After-Work-Events starten auf dem Quartiersplatz des Offenburger Rée Carrés.
    12.04.2024
    Ab 8. Mai: Zum After Work ins Rée Carré Offenburg
    In gemütlicher Runde chillen, dazu etwas Leckeres essen und den Tag mit einem Drink ausklingen lassen? Das ist bei den After-Work-Events im Rée Carré in Offenburg möglich. Sie finden von Mai bis Oktober jeweils von 17 bis 21 Uhr auf dem Quartiersplatz statt.
  • Mit der Kraft der Sonne bringt das Unternehmen Richard Neumayer in Hausach den Stahl zum Glühen. Einige der Solarmodule befinden sich auf den Produktionshallen.
    09.04.2024
    Richard Neumayer GmbH als Klimaschutz-Pionier ausgezeichnet
    Das Hausacher Unternehmen Richard Neumayer GmbH wurde erneut für seine richtungsweisende Pionierarbeit für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Die familiengeführte Stahlschmiede ist "Top Innovator 2024".
  • Sie ebnen den Mitarbeitern im Hausacher Unternehmen den Weg zur erfolgreichen Karriere (von links): Linda Siedler (Personal und Controlling), Patrick Müller (Teamleiter Personal), Arthur Mraniov (Pressenführer Schmiede) und Heiko Schnaitter (Leiter Schmiede und Materialzerkleinerung).
    09.04.2024
    Personal entwickelt sich mit ökologischer Transformation
    Als familiengeführtes Unternehmen baut die Richard Neumayer GmbH auf Transparenz, kurze Wege und Nähe zu den Mitarbeitern. Viele Produkthelfer und Quereinsteiger haben es auf diese Weise in verantwortungsvolle Positionen geschafft.