Technisch tadellos, ohne Charakter: »Tosca« in Baden-Baden
Simon Rattle dirigierte präzise, aber die Sänger verkörperten das Böse zu schwach: Puccinis »Tosca« mutierte bei den Osterspielen im Festspielhaus in Baden-Baden vom Hitchcock zum »Tatort«.
Liebe und Tod – so gedrängt, leidenschaftlich, ja brutal wie »Tosca« ist keine andere Oper: sexuelle Gewalt, Folter, zwei Selbstmorde, zwei Morde; nur die Schergen überleben, vorläufig. Diese Geschichte, die wie ein blutiges Fallbeil wirkt, rollt in wenigen Stunden in drei realen Räumen ab: in der Kirche Sant‘ Andrea della Valle, im Palazzo Farnese und im Castel Sant‘ Angelo. Es ist der 15. Juni 1800 , ein Tag nachdem Napoleon in der Schlacht von Marengo gesiegt hat und Rom vom Joch der Tyrannen befreien wird.
So wirkt »Tosca« in ihrem filmischen Realismus wie ein spannender, brutaler Krimi vor einem weltpolitischen Hintergrund. Davon ist bei der Premiere im Festspielhaus Baden-Baden viel zu hören und wenig zu sehen.
Den Berliner Philharmonikern ist die Musik dank der legendären Aufführungen unter Karajan in die Gene geschrieben. Kein Vorspiel, sofort das brutale Scarpia-Motiv, drängend, scharf akzentuiert, präzise Zeichengebung von Simon Rattle. Dieser dramatische Atem steigert sich, gelingt den Berlinern großartig. Auch die Balance mit der Bühne stimmt fast immer.
Die berühmten lyrischen Stellen, etwa Toscas Arie »Vissi d’arte, Vissi d’amore« im zweiten Akt oder Cavaradossis Abschied im dritten Akt »E lucevan le stelle« begleiten sie sehr verhalten; das könnte weicher, ja schmachtender klingen. Doch dem Gesamteindruck schadet es wenig.
Drei Sänger, sagt man, entscheiden über den Erfolg bei »Tosca«. Und natürlich denkt man an Luciano Pavarotti, Tito Gobbi und Maria Callas, die Tosca als eine fragile, zerbrechende Frau gestaltete. Kristine Opolais aus Lettland sieht gut aus, wirkt mädchenhaft ohne Primadonnen-Allüren; sie hat einen hellen Sopran, der in allen Lagen rund, nie angestrengt klingt. So macht sie alles richtig, auch wenn die Regie sie etwas vernachlässigt. Und doch erschüttert sie nicht. Ihr fehlt die Glut der eifersüchtigen, liebenden, mordenden Frau. Man glaubt ihr die Fallhöhe, die Abgründe nicht.
Diese Schwierigkeit hat auch der russische Bariton Evgeny Nikitin: Scarpia ist als Polizeichef die Verkörperung des Bösen schlechthin. Er mordet, foltert, versucht mit allen Mitteln, seine sexuelle Gier zu befriedigen. Eigentlich müsste diese Härte und Schwärze dem Sänger als ehemaligem Metal-Schlagzeuger liegen. Natürlich ist er, wie alle seine Schergen, schwarz wie die Faschisten gekleidet, aber er singt mit seinem hellen Bariton einen lüsternen Biedermann, bewegt sich schlurfend, lauernd. Seine Taten demaskieren ihn zwar, aber sein Charakter bleibt dennoch blass im Tosen des Orchesters.
Wahrhaft im Ausdruck
Ganz anders Marcelo Álvarez als Cavaradossi. Dieser spätberufene Tenor aus Argentinien hat eine schöne, weiche Stimme, weiß genau zu phrasieren, scheut keine Piani, ist wahrhaft im Ausdruck, nicht nur im lyrischen, sondern auch im heldischen Bereich. Seine Duette mit Tosca im ersten und dritten Akt, seine Arie »E lucevan le stelle« sind heute nicht besser zu hören. Die kleineren Partien waren gut besetzt, Alexander Tsymbalyuk als Angelotti blieb blass.
Man kann »Tosca« sehr verschieden inszenieren: historisierend, aktuell, als Parabel. Aber man muss sich entscheiden. Das tut Philipp Himmelmann leider nicht. Der ersten Akt wirkt historisierend, die beiden anderen abstrakt als Reich des Bösen; ein Überwachungsstaat mit kalter Eleganz, Eisen, Kameras, Bildschirmen, Bolzenschussgerät; keine Sterne am Nachthimmel.
Dazu Plakatives: der Mesner liebt den Knaben, die Schergen (sehr stimmmächtig der Philharmonia Chor Wien) schmettern das Te deum., die Liebenden stehen vornehmlich auf Distanz. Enttäuschend, denn gerne erinnert man sich an Himmelmanns »Così fan tutte«.
Die Oper ist ein Hitchcock, die Inszenierung ein ordentlicher Tatort.