Hausacher José F. A. Oliver erhält Basler Lyrikpreis
Der Basler Lyrikpreis 2015 geht an den Hausacher Dichter José F.A. Oliver. Er erhält den Preis für ein »umfangreiches, beeindruckendes Werk, das traditionsbewusst und innovativ zugleich zwischen Sprachen und Kulturen pendelt«, heißt es in der Pressemitteilung des Vereins Internationales Lyrikfestival Basel. Die Preisverleihung findet im Rahmen des 12. Internationalen Lyrikfestivals am Samstag, 24. Januar um 18.30 Uhr im Literaturhaus Basel statt. Der Basler Lyrikpreis ist mit 10 000 Schweizer Franken dotiert und wird einmal jährlich während des Internationalen Lyrikfestivals Basel verliehen.
So viel hat man von einem Basler Lyrikpreis noch nicht gehört. Was bedeutet dieser Preis für die zeitgenössische Lyrik und was bedeutet er für Sie persönlich?
José F. A. Oliver: Würdigungen, die ausschließlich der Lyrik vorbehalten sind, erfahren in aller Regel nicht den Bekanntheitsgrad, den Literaturpreise bewirken, die vorzugsweise Romane auszeichnen oder für ein literarisches, dem erzählenden Schreiben zugehöriges Gesamtwerk vergeben werden. Der Basler Lyrikpreis ist insofern eine außergewöhnliche Anerkennung, weil er von Lyrikern vergeben wird. Sprich: In der Jury sind Kollegen. In anderen Worten: Es gibt nichts Schöneres als die Wertschätzung unter Dichterkollegen. Diese Tatsache unterstreicht sowohl die Bedeutung des Preises für die zeitgenössische Lyrik als auch für mich persönlich. Ein besonderer Augenblick in meinem schriftstellerischen Schaffen aber auch deshalb, weil es die erste Ehrung ist, die außerhalb Deutschlands stattfindet. Und: Der Preis wird ja im Rahmen des Lyrikfestivals Basel vergeben. Auch ein bemerkenswerter Aspekt, das Dichterische betreffend.
Für die Fans langer Romane sieht ja ein Gedicht nach nicht viel Arbeit aus. Können Sie Lyrikbanausen die Entstehung eines Gedichts beschreiben?
Oliver: »Lyrikbanause« ist nicht gerade ein versöhnliches Wort. Sprechen wir lieber von denjenigen, die wenig oder gar nichts mit Gedichten anzufangen wissen. Wenn ich beispielsweise Schülerinnen und Schüler vor mir habe, die sich nur bedingt für Lyrik interessieren und denen ich davon erzählen soll, wie und wann ein Gedicht entsteht, versuche ich eine Nachvollziehbarkeit meines Arbeitsprozesses zu schaffen. In der Regel habe ich vier sehr unterschiedlich geprägte Schreibphasen. Am Anfang steht oft eine Notiz. Später, zu Hause am Schreibtisch, entsteht aus der Notiz ein Notat. Dann aus dem Notat eine Verdichtung, und wenn ich weiter schreibe, entsteht manchmal ein Gedicht.
Dazwischen liegen oft Wochen, Monate. Es gibt Gedichte, die über 50 Fassungen hatten, bis ich mich letzten Endes zur Publikation eines dieser Texte entschied. Bisweilen können dann ein paar Verszeilen die Welt erklären. So hat eines meiner Gedichte aus den 90er Jahren die Schlusszeilen: »(…) wenn der Trauermarsch der Ratten beginnt / werden die Soldaten gierig nach Stadt.« Ein guter Erzähler bräuchte mindestens zwei Seiten, um eine ähnliche Intensität herzustellen.
Sie arbeiten oft mit Schülern, leiten Lehrer an und haben auch an Projekten in Kooperation mit dem Ministerium mitgewirkt. Viele erinnern sich an die Gedichtinterpretationen ihrer Schulzeit eher als Plage. Hat die Lyrik an den Schulen den Stellenwert, der ihr zukommt?
Oliver: Leider nicht in allen Schularten. Da gibt es große Unterschiede. Im vergangenen Jahr habe ich auch deshalb im Klett-Verlag (Friedrich-Kallmeyer) ein Buch publiziert mit dem Titel »Lyrisches Schreiben im Unterricht«. Es reflektiert meine Arbeit mit Schülern der letzten 20 Jahre. Werkstätten, die ich an Förderschulen, Grund- und Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und an Universitäten im In- und Ausland durchgeführt habe. Das Buch beschäftigt sich mit einem erweiterten Ansatz in der Literaturvermittlung an Schulen: Über das eigene Schreiben ins Lesen anderer zu kommen und umgekehrt. Es handelt von neuen methodischen und didaktischen Ansätzen, die ich im Laufe der Zeit entwickeln und erproben konnte. Aus der Praxis in die Theorie. Mit konkreten Übungsvorschlägen und grundsätzlichen Überlegungen in Bezug auf Gedichte für Lehrer.
Die Inhalte der Publikation entsprechen auch der Lehrerfortbildung, die wir seit über zwei Jahren am Literaturhaus Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg durchführen. Und mit der Universität München entwerfe ich gerade Konzepte für Schulbücher in Bayern. Insgesamt geht es weniger um Gedichtinterpretationen, sondern in erster Linie um das Schreiben, Erfahren und Erleben von Gedichten. Das ist eine andere, offenere und weniger »abschreckende« Art und Weise Zugänge zur Lyrik zu ermöglichen.
Was raten Sie jungen Leuten, wie sie das Gedichteschreiben anpacken sollen?
Oliver: Viel lesen und die Empfehlung: Schreiben entsteht beim Schreiben.
Was ist für Ihre Arbeit besonders wichtig? Brauchen sie die Ruhe im Wald, das geschäftige Treiben eines Flughafens oder Muße daheim am Schreibtisch?
Oliver: Ruhe. Ich brauche einfach nur Ruhe. Absolute Stille, um in die Worte und die Sprache hineinzuhorchen. Ich könnte auch nicht mit Musik schreiben. Deshalb suche ich die Abgeschiedenheit auf, die Klausur. Die frühen Morgenstunden sind dabei sehr entgegenkommend. Das gelingt mir in Hausach gut. Ich habe mich aber auch schon in eine klösterliche Umgebung zurückgezogen, um intensiv an meinen Texten zu arbeiten.
Kann man denn von der Lyrik leben?
Oliver: Ich kann nur mit ihr und durch sie leben. Von der Lyrik leben? Sagen wir überleben. Oder anders gesagt, der Lyriker in mir schreibt die Gedichte, der Schriftsteller in mir bezahlt die Steuern. Berufung und Beruf in Einklang zu bringen ist sehr schwierig und erfordert sehr viel Arbeit und Disziplin. Deutschland allein reicht jedoch nicht aus. Ich muss mich international bewegen, um davon leben zu können. Anders ausgedrückt: Ich muss mir meinen Beruf jeden Tag neu erfinden, damit ich davon leben kann.