Ein wahres Feuerwerk an Koloraturen
Cecilia Bartoli stellte am Samstag im Festspielhaus ihr neues Programm und CD vor: Musik vom Zarenhof. Das Publikum war begeistert.
Baden-Baden. Cecilia Bartoli war wieder mal auf Schatzsuche, reiste zu See und Land – Flugzeuge meidet sie – nach St. Petersburg und entdeckte dort im streng gehüteten Archiv des Mariinski-Theaters Noten, die mehr als 200 Jahre unbekannt waren. Die schönsten Perlen dieses Schatzes, es sind zehn Arien, hat sie nun auf einer CD veröffentlicht und mit einer, wie es heute heißt, Record-Release-Tournee verbunden.
Die erste Station dieser Europatournee mit 14 Konzerten war Berlin, am Samstag war Baden-Baden an der Reihe. Wie in der Pop-Musik ist alles perfekt organisiert, durchgestylt, hinter den Kulissen sind 17 Manager und Controller für Event, Marketing, Communication, Business, Finanzen einschließlich CEO tätig. Da darf nichts schiefgehen. Doch es begann mit einer kleinen Enttäuschung.
Auf dem CD-Cover glänzt die Bartoli wie eine Zarin im Hermelin, in Baden-Baden waren es leider nur zwei festliche Abendkleider. Doch das Publikum liebt sie in jedem Gewand, und sie kann singen, was sie will. Ihre Programme sind eigenwillig und interessant, keine gefälligen Potpourris. So heißt das jüngste Projekt werbewirksam »St. Petersburg«.
Im 18. Jahrhundert herrschten in Russland drei Zarinnen; die berühmteste von ihnen war Katharina die Große (1762-96). Sie öffneten sich dem Westen, holten Musiker an ihren Hof, die alle der italienischen Schule verpflichtet waren. Das war der internationale Musikgeschmack des Frühbarock. Und das hört man. Die Namen dieser Musiker und Komponisten muss man nicht kennen, es sei denn, Bartoli entdeckt sie für uns wie den Deutschen Hermann Raupach und die Italiener Francesco Domenico Araia und Vincenzo Manfredini.
Deren Opern enthalten eine Fülle von Wut- und Trauerarien. Die Texte sind banal, die Musik ist alles, vor allem die Fiorituren, die Verzierungen für Stimme und Instrumente, die höchste Virtuosität der Ausführenden verlangen. Gleich die erste Arie von Araia »Vado a morir« aus der Oper »La forza dell’amore e dell’odio« singt Bartoli mit mezza voce, gehauchtes Pianissimo, köstliche Verzierungen, hinreißende Beweglichkeit in der Stimme. Dann ein Feuerwerk an Koloraturen in der Aria »O placido il mare« aus der Oper »Siroe« von Raupach.
Russische Bravourarie
Neun Arien (das Konzertprogramm ist nicht identisch mit der CD) und zum Vergnügen des Publikums drei Zugaben aus Italien und eine Bravourarie auf Russisch von Raupach. Dazwischen vom Ensemble I Barocchisti virtuos gespielte Konzertstücke; brillant der Flötist Jean Marc Goujon in seinen Dialogen mit Cecilia Bartoli, souverän der Dirigent Diego Fasolis am Steh-Cembalo.
Bartoli ist auch eine temperamentvolle Schauspielerin, liebt es, dem Affen Zucker zu geben, tobt sich im Wüten und Rasen der Arien aus. Aber sie kann auch fromm und herzig dreinschauen. Als sie »Pastor che a notte ombrosa« von Araia sang und mit Augen und Stimme den Himmel auf die Erde holt, wurde es still, fast weihnachtlich im ausverkauften Saal. Irgendwann wird sie Weihnachtslieder singen, dazu Gounods »Ave Maria«, dann wird der Rhein über die Ufer steigen und die Oos ohnehin.