Musica Straßburg: John Adams' Oratorium
Vor drei Jahren in Los Angeles uraufgeführt, wird das erste Oratorium des Amerikaners John Adams bereits mit den Passionen von Johann Sebastian Bach verglichen. Am Sonntag wurde das gut zweistündige Werk im Rahmen des Festivals Musica in Straßburg aufgeführt.
Formal wird der 1947 in Worcester, Massachusetts, geborene Amerikaner John Adams noch immer den Vertretern der Minimalmusik zugerechnet, obwohl er den von Steve Reich und Philip Glass geprägten Klangkosmos längst hinter sich gelassen hat. John Adams greift auf die Ansätze der Minimalmusik zurück, wenn es in sein musikalisches Konzept passt. Er schöpft aber auch aus der Klangsprache der Romantik, lässt klar erkennen, dass er mit den Beatles, der Pop- und Rockmusik der 1960er-Jahre aufgewachsen ist.
Adams war immer auch ein politischer Komponist im Geist jener Zeit, hat in seiner Studienzeit mit der Diskrepanz zwischen der Abkehr der klassischen Musik von der Tonalität und der sinnlichen Lust der Rockmusik gekämpft. Mit dem im Mai 2012 in Los Angeles uraufgeführten Oratorium »The Gospel According to the Other Mary« hat der 68-Jährige eine musikalische Brücke in eine ganz andere Richtung geschlagen. Er hat sich von Bach und der musikalischen Form seiner Passionen inspirieren lassen und wie er die erzählenden Momente, die Worte Jesu, in den Schoß von drei als Einheit auftretenden Countertenören gelegt.
Wie Bachs Fugen
In sein Oratorium, das die Geschichte der letzten zwei Wochen im Leben Jesu aus der Sicht der Geschwister Maria-Magdalena, Martha und Lazarus erzählt, hat Adams alles hineingelegt, was ihn musikalisch geprägt hat. Ganze Passagen frönen der Minimalmusik, der Chor agiert kraftvoll und stimmgewaltig. Dazwischen blitzen zarte Arien auf, musikalische Figuren, die an Bachs Fugen erinnern. Das stets präsente Schlagwerk peitscht die Musik vorwärts, explodiert in der Kreuzigungsszene in einer wilden Eruption. Das Werk steht unter einer vibrierenden Spannung, die gleichermaßen fesselt und beeindruckt.
Das Libretto stammt wieder aus der Feder des Regisseurs Peter Sellars, der neben Bibelpassagen auch Texte von Dorothy Day, Primo Levi, Hildegard von Bingen und anderen eingeknüpft hat. Die am Sonntag im Rahmen von Musica in Straßburg aufgeführte Produktion mit dem Chor und dem Orchester des niederländischen Radios, ist die erste in Europa entstandene Fassung überhaupt.
Bei den Solostimmen greift sie bis auf eine Ausnahme auf die Akteure der Uraufführung zurück.
Kraftvoller Tenor
Mezzosopranistin Patricia Bardon ist mit einer kaum zu überhörenden Leidenschaft wieder in die Rolle der Maria-Magdalena geschlüpft. Russel Thomas verleiht mit einem ungemein kraftvollen Tenor dem von Jesus wiedererweckten Lazarus Stimme und Ausdruck. Die Rolle von Martha wird von Lindsay Ammann ausgefüllt. Hinzu kommen die drei Countertenöre Daniel Bubeck, Brian Cummings und Nathan Medley.
Dirigent Markus Stenz führt mit sicherer Hand den Zauberstab, der die rund 150 Akteure der Aufführung zu einer musikalischen Höchstleistung antreibt.
Das Publikum im Straßburger Kongresszentrum erlebt eine aufwühlende, bisweilen rauschhaft auftrumpfende Aufführung, die es spürbar begeistert und deutlich erkennen lässt, warum das Werk im vergangenen Jahr nur haarscharf an der Verleihung des Pulitzer-Preises der Sparte Musik vorbei geschrammt ist.