300 Tonnen Stahl für leichte Fahrzeugteile
Schnelligkeit und absolute Präzision sind gefragt, wenn aus Stahlblech in einer Minute 116 Motorengehäuse gepresst werden. 14 Teilnehmer der Aktion »Offenes Werkstor« erfuhren beim Progress-Werk Oberkirch, wie die Teile entstehen, die in fast jedem Automobil der Welt an meist unsichtbarer Stelle verbaut werden.
Der Boden in Halle 4 vibriert leicht, ein dumpfes Dröhnen erfüllt die Luft. »Wir fahren hier den schnellsten Umformprozess der Welt für Motorengehäuse«, erklärt Jörg Müll. Trotz des Lärms ist der Teamleiter für den Bereich Großpressen für die 14 Teilnehmer der Aktion »Offenes Werkstor« beim Progress-Werk Oberkirch gut verständlich. Per Headset erfahren sie, dass sich die schwere Presse 116-mal pro Minute hebt und senkt – das sind 116 etwa zehn Zentimeter große Motorengehäuse. Auf das Jahr gerechnet entstehen an dieser Presse 37 bis 40 Millionen Teile, die im Automobilbau Verwendung finden.
Zeit ist Geld, vor allem für einen global agierenden Zulieferer der Automobilindustrie wie das Progress-Werk Oberkirch. Um ganz vorne mitspielen zu können, muss die Geschwindigkeit ständig optimiert werden, ohne dass die Präzision darunter leidet. »Wir verfolgen eine Null-Fehler-Philosophie«, erklärt Müll. Kameras überwachen den Fertigungsprozess permanent. Von den 10 000 Motorengehäusen, die zuletzt auf der Presse produziert wurden, waren alle in Ordnung, zeigt der neben der Maschine angebrachte Bildschirm an. Als die Herstellerfirma der Presse vor einigen Jahren das Ende der Fahnenstange bei der Optimierung erreicht sah, machten sich die PWO-Techniker selbst ans Werk und kitzelten noch etliche Hübe mehr aus der Presse.
Schnell und präzise
Wie erfolgreich PWO den Spagat zwischen Schnelligkeit und Präzision meistert, davon zeugen die vielen Zertifikate und Awards renommierter Automobilhersteller, die im Besucherraum des Stadelhofener Unternehmens an der Wand hängen. Die Kunden verlangten immer leichtere Teile, erklärt hier Volker Huber, Leiter des Finanz- und Rechnungswesens bei PWO, den Offenen-Werkstor-Teilnehmern. Ein von PWO entwickelter Querträger aus Stahl für das Armaturenbrett wiege mittlerweile nur noch fünf Kilogramm. Wie dem Querträger ergeht es den meisten Komponenten, die PWO für die Bereiche Karosserie und Fahrwerk, Mechanik und Airbaig, Sitz und Lenkung produziert: sie bleiben im eingebauten Zustand für das Auge unsichtbar.
Große Rollen aus Stahl, sogenannte Coils, warten im Wareneingang darauf, verarbeitet zu werden. Drei Tage dauert es laut Teamleiter Müll, bis der angelieferte Stahl das Werk als fertiges Produkt wieder verlässt, 300 Tonnen Stahl werden täglich an den insgesamt 40 Pressen mit einem Druck von bis zu 1250 Tonnen am PWO-Standort in Stadelhofen verarbeitet. Die Teilefertigung ist aber nur einer von vier Bereichen, die PWO in Deutschland abdeckt, neben der Entwicklung und der Montage. »Der Werkzeugbau ist unsere Kernkompetenz«, betont Müll. Rund 50 Prozent aller Werkzeuge, die an den Pressen die Stahlteile formen, stellt PWO selbst her. »Ein Werkzeugmacher braucht fünf Jahre bis er entsprechend auch arbeiten kann – nach seiner Ausbildung«, sagt Müll. Die Herausforderung ist groß. Die Toleranzgrenzen bewegen sich im Bereich von Mikrometern. Das erklärt auch die penible Sauberkeit, auf die im ganzen Werk Wert gelegt wird. Mittlerweile fertigt PWO an sechs Standorten in fünf Ländern. Doch der Werkzeugbau als Kernkompetenz soll weiterhin in Deutschland bleiben, meint Huber.
Wertvolles Lager
Die Gruppe um Jörg Müll ist inzwischen im Versandbereich angekommen, wo Querträger, Motorengehäuse und vieles mehr im Wert von zehn bis zwölf Millionen Euro für den Abtransport bereit stehen. »Diese Menge schlagen wir in drei Tagen um«, erklärt Müll. Die Effizienz und das Wissen um die Technik und deren reibungsloser Ablauf hat Eindruck bei den Besuchern hinterlassen. Auf die eingangs von Volker Huber gestellte Frage, wer Teile von PWO in seinem Auto habe, wissen nun die 14 Teilnehmer der Aktion »Offenes Werkstor« bei PWO die Antwort: fast alle.
HISTORIE
1919: Das Progress-Werk Oberkirch wird gegründet und entwickelt sich zu einem international bekannten Luftpumpenhersteller.
1928: Die Herstellung von Stanz-, Zieh- und Pressteilen für die Automobilindustrie beginnt.
1948 – 1960: PWO konzentriert sich auf die Entwicklung und Herstellung von Motorrollern.
1950: Die Herstellung von Feldkochherden für den Blech- und Gerätebau wird zu einem weiteren Geschäftsfeld des Unternehmens.
1960: Neben der Herstellung von Stanz-, Zieh- und Pressteilen weitet PWO seine Aktivitäten auf komplett vormontierte Baugruppen aus.
1978: Das Progress-Werk Oberkirch erhält die Börsenzulassung.
1994 – heute: PWO entwickelt und fabriziert anspruchsvolle Metallkomponenten und Subsysteme im Bereich von Sicherheit und Komfort im Automobil.
1997: PWO beteiligt sich am kanadischen Unternehmen Brattan Tool Industries Ltd..
1999: PWO übernimmt das kanadische Unternehmens.
2005 – 2014: Das Stadelhofener Unternehmen erwirbt das tschechische Unternehmens UNITOOLS CZ a.s.; gründet eine Joint Venture mit der koreanischen TAE HWA Enterprise Co., Ltd., gründet eine eigene Tochtergesellschaft in Suzhou, China, und übernimmt den mexikanischen Automobilzulieferer Cartec S.A. de C.V.
Fakten
1559 Mitarbeiter sind am PWO-Standort in Stadelhofen beschäftigt, weltweit sind es 3140 Mitarbeiter an sechs Standorten in fünf Ländern.
Das aktiennotierte Unternehmen macht einen jährlichen Umsatz von 381 Millionen Euro.
Täglich werden im Progress-Werk Oberkirch rund 300 Tonnen Stahl verarbeitet.
98 Prozent seiner Produkte fertigt PWO aus Stahl, 1,5 Prozent aus Aluminium und Edelstahl hat einen Anteil von 0,5 Prozent am Produktportfolio.
Die größte Presse bei PWO verfügt über eine Presskraft von 1250 Tonnen.
Eine Bildergalerie
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