Bürgermeister Bühler macht sich »keine Illusionen«
Was tun die Gemeinden angesichts der sinkenden und alternden Bevölkerung bis 2030? Die ARZ hat in Oberkirch, Lautenbach, Oppenau und Bad Peterstal-Griesbach nachgefragt. Drei Bürgermeister nahmen schriftlich Stellung, ein anderer lud in seine Rathausstube ein. Heute empfängt Lautenbachs Bürgermeister Karl Bühler die ARZ persönlich.
Weil Lautenbach so klein ist, steht seine Zukunft ein bisschen mehr in den Sternen als die der Nachbargemeinden. Vom Statistischen Landesamt jedenfalls gibt es keine Aussagen zur Bevölkerungsentwicklung der kleinsten Renchtalgemeinde: Die Behörde erstellt für Orte mit weniger als 2000 Einwohnern keine Bevölkerungsprognosen. Bürgermeister Karl Bühler blättert deshalb ein paar Hefte durch. Dann findet er die Zahlen. Eine Hochberechnung von April 2015.
»Man geht davon aus, dass 2030 das Durchschnittsalter bei 46,8 Jahren liegen wird. Im Land würde es etwas günstiger ausfallen – mit 45,7 Jahren«, liest Bühler vor. Lautenbach werden 1816 Einwohner vorausgesagt. »Aktuell hat Lautenbach ungefähr 1850. Wir verlieren also 30 bis 40 Personen in den nächsten 15 Jahren«, fügt der 60-jährige Bürgermeister hinzu. »Das ist nicht sehr dramatisch.«
Wohnraum wird knapp
Das eigentliche Problem liegt für Bühler woanders. Die Zahl der Personen in den Haushalten werde zurückgehen. »Weniger Kinder, mehr Single-Haushalte.« Der Wohnraum werde am Ende von weniger Menschen bevölkert sein. Deshalb brauche Lautenbach dringend mehr Wohnungen. »Es gibt so gut wie keine Leerstände in Lautenbach. Wenn doch, sind das bewusste Leerstände.« Die Eigentümer hätten dann kein Interesse daran, zu vermieten. »Die Nachfrage nach Wohnungen und Bauplätzen ist da, aber wir können das nicht befriedigen.«
Karl Bühler, der in Lautenbach aufgewachsen ist, hat die Verbindung zu seinem Dorf nie abreißen lassen. »Von außen betrachtet ist Lautenbachs Lage sehr interessant«, überlegt er. »Wir liegen am Rande der Oberrheinischen Tiefebene, rechts und links die Rebberge, darüber die Wälder. Erst hinter uns beginnt die unwegsame Schiene.«
Karl Bühler hat an seiner Gemeinde wenig auszusetzen. »Unser ÖPNV funktioniert hervorragend. Busse und Züge halten hier mehrmals die Stunde.« Im Ort selbst nennt Bühler die Entlastung durch die B28-Umfahrung mit guter Anbindung für Fahrradfahrer. In drei bis vier Kilometern ist man in Oberkirch, Schulmetropole des Tals. »Das ist doch ideal für die Jungen in unserem Dorf.«
Junge Menschen suchen das Weite
Trotzdem ziehen die Jungen nach der Schule oder Ausbildung weg. Auch Bühlers Tochter hat das Renchtal verlassen. Erst studierte sie in Hannover, nun arbeitet sie dort als Tierärztin. »Ich mache mir keine Illusionen«, sagt der Vater. Aber was kann Lautenbach tun, um die jungen Menschen zu halten, Herr Bürgermeister? »Nicht viel. Aber es ist ja nicht nur hier ein Trend, fortzuziehen.«
Dabei sei es nicht so, dass sich junge Familien nicht für Lautenbach interessieren würden. Immer wieder trete der umgekehrte Fall ein, dass nämlich Menschen von außerhalb aus beruflichen Gründen in die Region kommen. »Lautenbach ist eine attraktive Wohngegend, mit Offenburg, Kehl und Achern um die Ecke. Im Renchtal gibt es viele Arbeitsplätze, bei Koehler oder im Progress-Werk.
Dann verzieht Karl Bühler das Gesicht. »Was wir nicht haben, sind genügend Bauplätze. Für Auswärtige, die Lautenbach schätzen und für junge Einheimische, die eine Familie gegründet haben.« Karl Bühler kann über die Prophezeiung, dass durch den demografischen Wandel bald Wohnraum im Überfluss zur Verfügung stehen wird, nur den Kopf schütteln.
»Es tut weh, wenn wir diesen Menschen nichts anbieten können.« Lautenbach hat Bauplätze, doch diese Grundstücke werden von den Eigentümern nicht verkauft. »20 bis 30 könnten wir in relativ kurzer Zeit verkaufen.« Die freien Bauflächen innerorts seien erschlossen, aber in Privateigentum. Da ist die Gemeinde Lautenbach machtlos.
Einen Tierarzt gibt es, einen Allgemeinarzt nicht
Ziehen die Lautenbacher weg, leiden Vereine, deren ehrenamtliche Mitglieder fehlen und Kirchen, die keine Ministranten mehr finden. Doch damit nicht genug. »Leider haben wir nur noch einen Bäcker und einen Metzger. Wenn ich an meine eigene Schulzeit denke, vor 50 Jahren...« Bühler zählt vor sich hin. »Da gab es noch drei Bäckereien, vier Lebensmittelgeschäfte, das Kaufhaus, und den Schuhmacher.«
Schlimmer stünde es um die ärztliche Versorgung. Einen Tierarzt gibt es in Lautenbach. Einen Allgemeinmediziner gibt es nicht. »Gab es hier noch nie«, wirft Bühler ein. »Wir sind zu nah an Oberkirch dran. In einem Radius von drei Kilometern können wir schwer begründen, warum wir beispielsweise eine Bankfiliale brauchen.«
»Wir haben den Kampf verloren«
Früher gab es eine Sparkasse und eine Volksbank in dem Örtchen. Übriggeblieben ist heute nichts mehr. »Wir haben den Kampf verloren. Aber was solls«, seufzt Bühler. »Die Menschen hier sind das gewohnt.« Doch auch die Lautenbacher werden immer mobiler. »Kein Problem, auch noch mit 80 Auto zu fahren. Es wird sich hier also nicht groß was wandeln«, entgegnet Bühler, wenn man ihn mit demografischen Folgen konfrontiert. Die immer älter werdenden Menschen müssen trotz langer Fitness schließlich irgendwann doch einmal gepflegt werden. Der Pflegedienst und die Sozialstation kommen auch nach Lautenbach. Der Caritas-Verband ist vertreten und kirchliche Ehrenamtliche.
Karl Bühler zählt auch auf das menschliche Miteinander. »Die Großstadt ist anonym, hier auf dem Land zählt der gute Kontakt zum Nachbarn«, denkt Bühler. Angst davor, dass die Kommune Einnahmeverluste machen könnte, hat Bühler nicht. »Unsere Wirtschaft floriert. Die Zuweisungen sind pro Kopf in ihrer Höhe gestiegen.« Immer mal wieder würde Bühler nach Förderprogrammen fragen. In den vergangenen Jahren konnte so einiges gerichtet werden.
Etwas anders ist das beim Abwassernetz: Investitionen müssen über die Gebühren abgedeckt werden. Wenn aber die Menschen weniger werden, wird der einzelne Bürger langfristig wohl mehr bezahlen müssen. »Wir planen keine höheren Abgaben, sondern kostenechte Gebühren«, erklärt Bühler. Für den Bürger dürfte es am Ende aber trotzdem teurer werden.
Was der demografische Wandel in den kommenden 15 Jahren mit Lautenbach auch anstellen mag, Karl Bühler wird diese Entwicklung nicht mehr aus seinem Rathausbüro verfolgen. Zur nächsten Bürgermeisterwahl im November wird der 60-Jährige nicht mehr antreten.
Eine Schule als Wohlfühloase
In Lautenbach gibt es seit 2011 nur noch eine Grundschule, die 47 Schüler besuchen. Viel weniger als früher, als die Gemeinde noch eine Hauptschule vorweisen konnte. »Die Schülerzahlen sind trotz des leichten Rückgangs relativ stabil«, meint Bürgermeister Karl Bühler.
Er fürchtet deshalb auch keine Schulschließung. »Wir haben einen sehr engagierten Förderkreis, Eltern helfen beim Schulfest, bei der Schulhofgestaltung, wir haben auch ein Theater.« Die Schule sei eine Wohlfühloase für Kinder. Und das Schulamt setzt bisher ohnehin darauf, auch kleine Grundschulen zu erhalten. Motto: »Kurze Beine, kurze Wege.«