Familie aus Bad Peterstal zog verwaisten Rehbock groß
»Vorsicht zahmes Reh« und »Bitte langsam fahren«. Mit Schildern weist Familie Schnottalla Autofahrer in Bad Peterstal auf ihr ungewöhnliches Haustier hin. Im April nahmen die Schnottallas den verwaisten Rehbock in Obhut. Seither hat er sich zum Sonnenschein der ganzen Familie entwickelt.
Als Jäger kennt sich Udo Schnottalla mit dem Verhalten von Wildtieren aus. Als er im April vergangenen Jahres rund einen halben Kilometer von seinem Haus im Bästenbach entfernt ein leises Klagen hörte, wusste er, dass dort ein Rehkitz nach seiner Mutter rief. Aber auch eine Stunde später drang das Wimmern noch immer aus dem Gebüsch an dem kleinen Bach. »Es hat ganz hoch gefiept«, erinnert sich Ursula Schnottalla und daran, wie ihr Mann das Kitz daraufhin mit einem Stöckchen anstupste, woraufhin die Rufe nochmals lauter wurden. »Spätestens dann hätte die Mutter es hören müssen.« Doch nichts geschah. Nur die Dunkelheit legte sich langsam über den Wald am Rand von Bad Peterstal.
Die Nacht würde das gerade einmal eine Woche alte und 2,3 Kilogramm schwere Kitz nicht überleben. »Für einen Fuchs wäre das ein gefundenes Fressen gewesen.« Also brachten sie das kleine Tier ins Haus. Es war nicht das erste Mal, dass sich die Familie einem verwaisten Reh annahm. Zehn Jahre zuvor hatten sie schon einmal einen verlassenen Rehbock großgezogen. »Nach fünf Monaten war dieser aber plötzlich verschwunden«, erinnert sich Ursula Schnottalla. Der Ruf des Waldes war in der einsetzenden Brunft wohl zu groß geworden. Rückblickend sei das vielleicht auch besser gewesen, wenngleich der Verlust des »Spielkameraden« vor allem für die damals zwei Jahre alte Tochter Ronja groß war. »Böcke in der Brunft werden aggressiv und wenn sie keine Scheu vor den Menschen haben, kann das auch gefährlich werden«, meint Schnottalla.
Mit einem Tierarzt diskutierten sie, was getan werden kann. Am Ende stand der Entschluss: »Benjamin« sollte kastriert werden. »Es gab keine Alternative«, stellt Ursula Schnottalla fest. Im Alter von fünf Wochen musste sich der kleine Rehbock der Operation unterziehen. Nach der achten Woche wäre es bereits zu spät gewesen, dann fängt das Gehörn an zu wachsen. Die Aufzucht des kleinen Rehbocks stellte Ursula Schnottalla vor keine allzu große Herausforderungen. »Ich habe schon viele kleine Lämmer großgezogen«, sagt sie und lacht dabei. »Benjamin« sei schnell ein Teil der Familie geworden. Im siebten Monat adoptierte die Jagdhündin der Familie das Rehkitz. »Wenn ein anderer Hund auf den Hof kommt, stellt sie sich beschützend vor Benjamin«, schildert Ursula Schnottalla die tierische Beziehung.
Cornflakes am Morgen
Wie es sich für ein wildes Tier gehört, folgte auch der größer werdende »Benjamin« im Sommer dem Ruf der Natur. »Morgens hat er sich immer sein Frühstück abgeholt. Am liebsten mag er Cornflakes. Dann verschwand das Reh in den Wald rund um das Haus im Bästenbach. Oft in Begleitung seiner neuen Freundin, der Jagdhündin. Nur mit dem Straßenverkehr wurde »Benjamin« nicht so recht warm. »Wenn ein Auto kam, wusste er nicht, ob er noch über die Straße laufen soll oder nicht. Das war ganz schön nervenaufreibend.« Die Familie wollte nicht warten, bis ihrem neuen Liebling etwas passiert. »Wir haben ihm eine Warnweste angezogen, damit ihn jeder sieht.« Die zwölfjährige Ronja stellte zudem selbstgemalte Schilder am Straßenrand auf. Sie sollen Autofahrer zur Vorsicht anhalten.
Halsband reicht
Mittlerweile ist die Weste einem Halsband gewichen. »Benjamin« hat sich eingelebt im Bästenbach. Und die Schilder haben schon viele Neugierige angelockt. »Vor allem kleine Kinder kommen und wollen das zahme Reh streicheln«, erzählt Ursula Schnottalla. Am meisten ins Herz geschlossen hat Tochter Ronja ihren »Benjamin«. »Er läuft ihr ständig hinterher. Dann geht er mal wieder für zehn Minuten äsen und kommt dann zurück, um sich seine Streicheleinheiten abzuholen.«
Weniger Freude bereitete der Rehbock im Garten von Ursula Schnottalla. »Dort ist er echt eine Katastrophe.« Doch sie lacht. So richtig böse kann sie »Benjamin« nicht sein. Er sei eben ein kleiner Feinschmecker. Jetzt im Winter lässt es das junge Reh allerdings ruhiger angehen. »Er verbringt viel Zeit im Stall, der Schnee ist ihm nicht ganz geheuer.« Doch das kann sich in den kommenden Jahren ja noch ändern. »Wenn wir Glück haben, bleibt er die nächsten 15 Jahre bei uns.«
Beste Freunde – einfach tierisch
Es müssen ja nicht gleich die Bremer Stadtmusikanten sein: Wenn zwei sich gut verstehen, reicht es schon. So wie beim zahmen Rehbock Benjamin und der Jagdhündin der Familie Schnottalla. Beste Freunde eben. Kennen Sie auch solche ungleiche »Tierfreundschaften« und können uns etwas dazu erzählen, wie sie entstanden sind? Dann schreiben Sie uns! Die schönsten Freundschaftsgeschichten veröffentlichen wir in loser Folge.
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