Rheinau-Hausgereut

Irakische Flüchtlinge finden eine neue Heimat in Hausgereut

Ellen Matzat
Lesezeit 5 Minuten
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04. April 2016
Fühlen sich rundum wohl zusammen in Hausgereut: (unten von links) Tom-Oscar Mersi, Eva-Lena Mersi, Tabark Zidan, Ali Zidan, (oben von links) Max-Emile Mersi, Anne-Melanie Mersi, Alia Ziko, Ahmad Zidan, zu Besuch Cousin Hisham Mariy (aus Lüdenscheid) und Ralph Mersi.

Fühlen sich rundum wohl zusammen in Hausgereut: (unten von links) Tom-Oscar Mersi, Eva-Lena Mersi, Tabark Zidan, Ali Zidan, (oben von links) Max-Emile Mersi, Anne-Melanie Mersi, Alia Ziko, Ahmad Zidan, zu Besuch Cousin Hisham Mariy (aus Lüdenscheid) und Ralph Mersi. ©Ellen Matzat

Eine vierköpfige irakische Familie hat in Rheinaus kleinstem Stadtteil Hausgereut eine neue Heimat gefunden. Zu verdanken hat sie dies in erster Linie Familie Mersi, die den Neuankömmlingen nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch Halt in der Fremde gibt.

Wie eine Bilderbuchintegration funktioniert, zeigen Familie Mersi aus Hausgereut und Familie Zidan/Ziko aus Mossul im Norden des Irak. »Alia Ziko (27) und Ahmad Zidan (30) mit den achtjährigen Zwillingen Tabark und Ali sind für uns eine richtige Bereicherung«, betonte Ralph Mersi im Namen seiner fünfköpfigen Familie. Vor gut zwei Monaten zog Familie Zidan/Ziko (im Irak ist es üblich, dass die Frauen nach der Heirat ihren Mädchennamen behalten) von einer Containersiedlung in Offenburg in die Einliegerwohnung bei Mersis in der Kapellenstraße ein. Hier wurde die Familie mit offenen Armen empfangen und fühlt sich sehr wohl. Eine Nachbarin hatte sogar einen Willkommenskuchen gebacken, eine andere versteckte zu Ostern auch gleich Osterhasen für die Flüchtlingskinder. 

Leichte Verständigung

Die drei Kinder der Mersis, der elfjährige Max-Emile, die neunjährige Eva-Lena und der fünfjährige Tom-Oscar haben schnell Freundschaft mit den irakischen Zwillingen geschlossen, und besonders Tabark und Eva-Lena sind heute fast unzertrennlich. Ali geniest die Zeit mit Max-Emile genauso wie mit Tom-Oscar. Sprachbarrieren haben die Kinder nicht. Die Erklärungen der Worte laufen beim intensiven Spielen und Blödsinn machen automatisch mit. Die Mersi-Kinder haben Deutsch und Französisch als Muttersprache, und nun auch schon ein paar Brocken arabisch gelernt. »Es ist unglaublich, was für Fortschritte die irakische Familie in der kurzen Zeit in Deutsch gemacht hat«, sagt Anne-Melanie Mersi, selbst Französin,  bewundernd. Die beiden Familien sind sich gegenseitig ans Herz gewachsen. »Für die Kinder ist es das Paradies«, so Anne-Melanie Mersi. Tabark und Ali besuchen die ersten Klassen der Grundschule in Freistett. Sie lieben die Schule, sind neugierig, wissbegierig  und haben auch schon einige Freunde gefunden. 

Auch Skepsis

Im vorigen Sommer kamen Ralph und Anne-Melanie Mersi zum ersten Mal der Gedanke, ihre Einliegerwohnung zu räumen und einer Flüchtlingsfamilie zur Verfügung zu stellen. »Eigentlich wollten wir sie nie vermieten«, erklären beide. Sie war teilweise Keller- und Speicherersatz und eine Wohnung für Besuch, vor allem für die in Lons-le-Saunier lebende Mutter von Anne-Melanie. Die Idee wurde zuerst mit den eigenen Kindern, dann der Familie und der Nachbarschaft besprochen. »Uns war es wichtig, dass die Flüchtlings-Familie nicht nur bei uns, sondern auch in der Umgebung willkommen ist«, erklärt Anne-Melanie Mersi.

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Mit ihrer Idee stießen die Mersis nicht nur auf begeisterte Ohren, auch Skeptiker meldeten sich zu Wort »was da alles passieren kann«. Aber davon ließen sich die Mersis nicht beeindrucken. »Wir wollten eine Familie so aufnehmen, wie wir es für unsere Familie wünschen würden, wenn wir fliehen müssten«, meint Anne-Melanie Mersi. Beide sind auch im Helferkreis Rheinau aktiv und bekamen über die Stadt ihre Familie zugeteilt. Die Mersis besuchten sie in Offenburg, um sie kennen zu lernen, überbrachten der völlig überraschten Familie die frohe Botschaft selbst und halfen ihr auch beim Umzug nach Hausgereut.

Neben der Sorge, wie das Umfeld reagieren würde, plagte die Mersis eine weitere Sorge: die Organisation. »Unser Alltag ist schon so kompliziert. Ich arbeite als Schulsozialarbeiterin in Straßburg, Ralph als Projektleiter bei der Bahn in Karlsruhe, dazu drei Kinder in zwei unterschiedlichen Schulen und Kindergarten«, erklärt Anne-Melanie Mersi. Aber sie sei äußerst positiv überrascht worden. Das Umfeld reagierte total positiv, was teilweise an der offenen, freundlichen Art der irakischen Familie liegen könnte, und die Familie selbst sei absolut unkompliziert und selbstständig. Außerdem steht als zweite Patenfamilie Familie Lüdtke zur Seite, die beispielsweise die Kinder jeden Mittag von der Schule abholt. 

»Wir haben der Familie gezeigt, wo was ist, helfen bei der Bürokratie, mehr Hilfe war von uns nicht notwendig. Die restliche Zeit verbringen wir gerne gemeinsam, um miteinander zu reden, zu lachen und uns unsere Kulturen näher zu bringen«, so Anne-Melanie Mersi. Auch kulinarisch tauschen sich die Familien gerne aus, laden sich gegenseitig zum Essen ein und tauschen auch mal ein Rezept aus. »Als wir jetzt für ein paar Tage in Frankreich Urlaub machten, haben wir die Familie richtig vermisst«, erklärt Anne-Melanie Mersi. 

Gefährlicher Alltag

Alia Ziko sprach als erstes ihre tiefe Dankbarkeit gegenüber Familie Mersi, Familie Lüdtke und Helga Caroli-Neumann, bei der sie Deutsch lernt, aus. Mossul, die Heimatstadt der Familie Zidan/Ziko, ist vom sogenannten Islamischen Staat (IS) besetzt, seither herrschen dort Angst und Terror (siehe Hintergrund). Zusätzlich gefährlich war, dass Alia Ziko zu den Schiiten gehört, während Ahmad Zidan Sunnite ist. Jeden Abend schrieb sich die Familie die Blutgruppe auf das Handgelenk, damit im Falle einer Explosion schneller geholfen werden könnte.

Zwei Wochen nach der Flucht explodierte die Firma, in der Ahmad als Automechaniker gearbeitet hatte. Er ist mit Leib und Seele KFZ-Mechaniker und froh, wenn er wieder auf Arbeitssuche gehen darf. Im November 2015 verkaufte Ahmad Zidan das Familienauto, um damit die Flucht zu finanzieren. Nach zehntägiger Flucht mit der Familie seines Cousin Azam Mariy zu Fuß, dem Bus sowie dem Boot von der Türkei nach Griechenland kam die Familie im Landeserstaufnahmelager in Karlsruhe an. Nach einem Monat wurde sie in die Containersiedlung nach Offenburg, die Familie von Azam Mariy in eine Handballhalle nach Sindelfingen verlegt. Nach weiteren zwei Monaten hatten die Zidan/Zikos Glück und durften in die Wohnung nach Hausgereut umziehen.

Hintergrund

Hintergrund I

Mossul liegt im Norden des Irak am Tigris, circa 350 Kilometer nördlich von Bagdad. Mit rund 2,9 Millionen Einwohnern ist es nach Bagdad die zweitgrößte Stadt des Landes. Mossul ist die Hauptstadt der Provinz Ninawa und gehört zu den »umstrittenen Gebieten« zwischen der Autonomen Region Kurdistan und dem Irak. Sie wurde im Juni 2014 von Kämpfern des Islamischen Staats (IS) erobert und war eine multiethnische und multireligiöse Stadt: Araber, Kurden, Assyrer, Turkmenen und Jesiden lebten hier. 

Wegen der Unsicherheit infolge des Irakkrieges 2003 verließen viele Menschen die Stadt, insbesondere Christen. Eine genaue Statistik der heute in der Stadt lebenden Bevölkerung gibt es nicht.

Hintergrund

Heimweh bleibt

Die Trennung von den Teilen der Familie und den Freunden, die im Irak geblieben sind, macht Alia Ziko und Ahmad Zidan oft zu schaffen. Trotz ihres fröhlichen offenen Wesens und ihrer tiefen Dankbarkeit, in Sicherheit sein zu dürfen, überfällt die Familie manchmal tiefes Heimweh. Besonders schlimm wurde es um das Newroz-Fest, das am Vorabend des 21. März gefeiert wurde und sowohl das kurdische Neujahr als auch den Frühlingsbeginn einläutet. 

Familie Mersi blieb das nicht verborgen und lud kurzer Hand zum Grillen ein. Alia Ziko und Ahmad Zidan wünschen sich sehnlichst, dass Cousin Azam mit seiner Familie mit dem sie ein neues Leben aufbauen wollten, in ihre Nähe ziehen könnte. Derzeit besuchen sich die Familien in den Schulferien. em

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