Landwirte senden "Signal der Nöte" an die Politik
Die Landwirte im Renchtal fordern, dass aus den Frostnächten Ende April politische Konsequenzen gezogen werden. So sollen sich Betriebe durch die Bildung steuerfreier Rücklagen absichern dürfen. In Lautenbach sagten am Donnerstag Bundes- und Landespolitikerinnen ihre Unterstützung zu.
Der Aufschrei, der nach den für die Obsterzeuger verheerenden Frostnächten von der Ortenau ausging, fand schnell Widerhall auf Bundes- und Landesebene. Das Landeskabinett stufte die Frostnächte inzwischen als Naturkatastrophe ein und sicherte ein Maßnahmenpaket zu. »Der Schaden ist vierfach so hoch wie 2011«, erklärte am Donnerstag Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch in Lautenbach. Damals hatten vom Frost betroffene Bauern sieben Millionen Euro erhalten. Die Hilfe soll indes erst nach der Ernte ausbezahlt werden, wenn erkennbar ist, wie hoch die Schäden tatsächlich sind.
Obwohl die Frostschäden in der Landwirtschaft fast schon ein mitteleuropäischer Problemfall seien, erwartet die Bundestagsabgeordnete Kordula Kovac, »dass wir am Anfang zu kämpfen haben, weil wir hier im Süden die meisten Schäden haben. Wir können aber eine Vorreiterrolle übernehmen.«
Wendelin Obrecht, der Vorstandsvorsitzende des Obstgroßmarkts Mittelbaden (OGM), plädierte dafür das »historische Ereignis zu nutzen«, um die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft neu zu ordnen. Er erneuerte die »uralte Forderung« der Landwirte, steuerfreie Rücklagen bilden zu dürfen und zu überprüfen, inwiefern Versicherungen für Ernteausfälle möglich sind. In Österreich, so Kovac, würden diese beispielsweise zu 70 Prozent vom Staat bezuschusst: »Aber wollen wir das?« Aktuell sind laut Gurr-Hirsch lediglich 400 von 27 000 Hektar Rebfläche versichert, was mit den hohen Versicherungssummen zusammenhänge. Auch die Neuausrichtung der Agrarförderung für Schutzmaßnahmen wie Hagelnetze oder Tunnel forderte Obrecht. »Wir müssen handeln, wenn wir sehen, dass sich das Klima dreht.« Gefragt sei die Hilfe zur Selbsthilfe. Dazu zähle auch, bürokratische Hindernisse abzubauen. »Man überzieht die Betriebe mit Kosten für nichts und wieder nichts«, meinte er mit Blick auf die alle zehn Jahre anstehende Genehmigung für Bewässerungsbrunnen. »Die Frostberegnung hilft, aber man braucht auch genügend Wasser.«
Forschung intensivieren
Genau 30 000 Liter pro Hektar und Stunde sind es laut Kordula Kovac, hinzu käme eine Stabilisierung der ganzen Anlage, da das Wasser den Boden aufweicht, so dass rund 5000 Euro pro Hektar zusammenkämen. Sie geht davon aus, dass die Frostnächte kein einmaliges Ereignis bleiben werden. »Wir müssen künftig stärker forschen zum Klimawandel und dessen Auswirkungen für den Obst- und Weinbau.« Letzteren nahm Markus Ell, Geschäftsführer der Oberkircher Winzer eG, in den Blick. »Wir müssen die Märkte bedienen und die Regale wieder auffüllen.« Mit finanziellem Schadenersatz sei es auf lange Sicht nicht getan. 2011 sei es schon mal passiert, dass bestehende Kontrakte wegen fehlender Mengen nicht eingehalten werden konnten. »Wir müssen auch die Möglichkeit bekommen, über Zukäufe agieren zu können«, forderte er.
Das »Signal der Nöte« sei angekommen, erklärte die Staatssekretärin. Nur reiche es auf Bundesebene nicht aus, wenn lediglich die baden-württembergischen Abgeordneten ein »Tohuwabohu« veranstalten. Wichtig sei, dass der Bund die Frostnächte als Naturkatastrophe anerkennt, betonte Franz-Josef Müller, Präsident des Landesverbands Erwerbsobstbau. »Unsere Obstbauern erwarten, dass man sie nicht alleine lässt.« Den stark betroffenen Betrieben müsse schnell geholfen werden, diese Solidarität fordere er auch von seinen Berufskollegen ein. Er erinnerte an die Einführung des Mindestlohns auch für Erntehelfer. Die durchschnittlichen Jahreseinnahmen eines Betriebs seien dadurch von 64 000 auf nur noch 30 000 Euro zurückgegangen. »Mit diesem Geld hätte man schöne Rücklagen bilden können.«
Pilotprojekt
Oberbürgermeister Matthias Braun will nicht warten, bis das nächste Schadensereignis da ist. »Ich werde mit dem Landrat über das Thema Wasserrechte sprechen, um unnötige Kosten für die Landwirte zu vermeiden«, kündigte er gestern an. Er forderte, dass künftig Landwirte stärker als bisher mit Schildern an den Straßen auf ihre Hofläden und Stände aufmerksam machen dürfen. »Wenn wir eine regionale Vermarktung wollen, müssen wir auch darauf hinweisen dürfen.« Der Verbraucher wünsche das auch. Braun bot an, dass sich Oberkirch für ein von Kordula Kovac angedachtes Pilotprojekt zur regionalen Vermarktung zur Verfügung stellt.