Oberkirch

»Man sieht die Fragezeichen in den Augen«

Patric König
Lesezeit 7 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
29. Januar 2015

Die Terroranschläge machen ihnen Sorgen, Angst vor Pegida haben sie nicht: Vorsitzender Hüseyin Colak, Vorstandsmitglied Cem Iscan und Moscheeführer Zülfikar Atlay vom Türkischen Verein Oberkirch (von links). ©Patric König

Von Gewalttaten im Namen Allahs distanziert sich der Türkische Verein Oberkirch klar. Extremisten und Kriegstreiber würden die Mitglieder der Oberkircher Gemeinde sofort anzeigen. Dialogbeauftragter Zülfikar Atlay glaubt nach den Pariser Anschlägen und den Demonstrationen von Pegida, dass Muslime unter Generalverdacht gestellt werden. Ein Interview über Terror und Toleranz. 

Wie fühlen Sie sich als Muslime  angesichts der Pegida-Demonstrationen gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes?

Atlay: Wir kriegen hier zum Glück nicht so viel davon mit, außer den Nachrichten vom Aufruhr. Schön ist es nicht, dass das Ganze so ausartet. Wir als Muslime denken schon, dass der Islam zu Deutschland gehört. Viele Türken leben schon seit 50 Jahren hier.

Und wie sehen Sie die Gewalttaten in Paris?

Atlay: Die heißen wir absolut nicht gut. Das sind Terroristen, die zu solchen Handlungen greifen. Fatal, dass man sie unter dem Stichwort Islam eingruppiert. In der Sure Mai’de, ayat 32, des Qur’an (Koran, d.Red.) heißt es: »Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne dass es einen Mord begangen hat, so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte.« Keiner, der dem Islam angehört, würde die Terroristen als Muslime dulden. Egal ob die Attentäter Boko Haram oder Al-Kaida angehören – das können keine richtigen Muslime sein. In der deutschen Gesellschaft wird es leider oft so aufgefasst:  »Terrorismus gleich Islam« und »Islam gleich Terrorismus«.

Missbrauchen Boko Haram, Al-Kaida und Co. den Islam für ihre politischen und wirtschaftlichen Ziele?

Atlay: Das ist nichts anderes als Machtgehabe. Die Führer dieser Gruppen sagen alle, sie handeln im Namen Allahs. Doch ihre Taten sind weder eine islamische Handlungsweise noch steht etwas in der Art im Koran.
Haben Sie das Gefühl, als Muslim unter Generalverdacht zu stehen?

Atlay: Ja. Man siehst das Fragezeichen in den Augen seiner Mitmenschen und wird schon mal auf die Geschehnisse in Paris angesprochen.  Wenn man den Leuten aber erklärt, dass der Terror im Islam nicht willkommen ist, bemerkt man den Aha-Effekt. Vor Kurzem habe ich am Offenburger Bahnhof erlebt, wie ein Bartträger, der wahrscheinlich noch nicht einmal Muslim war, als Terrorist beschimpft worden ist. Das gibt mir schon zu denken.

Was macht Ihnen mehr Sorgen: die antiislamischen Diskussionen in Leipzig und Dresden oder die Angst, dass es auch in Deutschland Terroranschläge von radikalen Islamisten gibt?

Atlay: Angst vor Pegida haben wir nicht. Das wird in ein paar Wochen im Sand verlaufen. Was die Terroranschläge betrifft: Das kann in Deutschland auch passieren. Ich denke nicht, dass die deutsche Polizei alles perfekt unter Kontrolle hat.

Wie wichtig ist in dieser aufgeheizten Lage religiöse Toleranz?

Colak: Der Papst hat dazu aufgerufen, dass Christen und Muslime gemeinsam für Gerechtigkeit, Frieden, Respekt und die Würde und Rechte jedes Menschen eintreten sollen.

Sehen Sie das genau so?

Atlay: Jeder sollte mit Anstand mit seinen Mitmenschen umgehen, auch mit Angehörigen anderer Religionen. Letztlich sind wir alle vom Herrgott erschaffen, egal welcher Religion wir angehören.

Fühlen Sie diesen Respekt durch Mohammed-Karikaturen à la »Charlie Hebdo« verletzt?

Atlay: Es ist nicht schön, dass man Karikaturen über den Propheten veröffentlicht oder Medien damit Geld verdienen wollen, wenn man weiß, dass das Anhänger einer Religion reizen könnte. Bilder vom  Propheten zu veröffentlichen, ist absolut tabu im Islam. Das ist der Punkt, den die meisten westlichen Länder nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Muhammad nicht zu malen, ist seit 1400 Jahren ein ungeschriebenes Gesetz – das gebietet der Anstand.

Rechtfertigen die Mohammed-Karikaturen die Terrorakte in Paris?

Atlay: Mit Sicherheit nicht.

Colak: Die Karikaturen sind nichts als eine Provokation, aber das rechtfertigt trotzdem nicht, mit der Waffe gegen sie vorzugehen. Man muss politische Lösungen finden. Alles andere führt zu Missverständnissen, Hass und Neid.

- Anzeige -

Warum gab es in Oberkirch anders als in anderen islamischen Gemeinden keine Mahnwachen für die Pariser Opfer bzw. für Presse- und Meinungsfreiheit?

Colak: Anders als die Gemeinde in Achern, die der DITIB (ein Dachverband türkisch-muslimischer Gemeinden in Deutschland) angehört, sind wir ein ungebundener Kulturverein. Wir sind nicht informiert worden.

Atlay: Es hat sich organisatorisch nicht ergeben. Wir hatten nicht beabsichtigt, keine Mahnwache abzuhalten. Wir wollen in absehbarer Zeit der DITIB beitreten. Wir müssen diverse Feinheiten absprechen, um der Organisation beizutreten. Einen eigenen Imam haben wir schon.

Was würden Sie tun, wenn ein Neuankömmling in der Moschee radikale Positionen vertritt und zur Gewalt im Namen Allahs aufruft?

Atlay: Dagegen würde sich die ganze Gemeinde mit Hand und Fuß wehren, aber nicht mit Gewalt: Wir würden die Polizei einschalten.

Und wie wollen Sie verhindern, dass jugendliche Gemeindemitglieder im Internet Hasspredigern auf den Leim gehen?

Atlay: Genau aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir einen Imam haben, der fünfmal täglich die Gebete hält und auf die Jugendlichen einwirkt, bei Treffen und Besprechungen.  Wir sind hier fremd: in der Türkei sind wir die Deutschen, in Deutschland die Türken. Damit unsere Kultur nicht im Sande verläuft, braucht es Erziehung. Der Imam übernimmt dabei den religiösen Part.

Sind schon Gemeindemitglieder im Internet  angesprochen worden, ob sie für den Islamischen Staat in den Krieg ziehen wollen?

Atlay: Nein, zum Glück nicht. Das ist eher in den Ballungszentren ein Problem. Hier kennt jeder jeden. Die Betreffenden würden schnell auffliegen und der Polizei gemeldet werden.

Colak: Viele Asylsuchende, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien und im Irak geflohen sind,  sind in der Ortenau gestrandet. Auch ihnen öffnet der Türkische Verein die Tür, so dass sie nicht komplett alleingelassen sind.

Der Türkische Verein engagiert sich auch bei der Aktion »Oberkirch hilft«. Warum war niemand von Ihnen dabei, als eine Gruppe aus Oberkirch das Flüchtlingslager in Midyat besuchte?

Colak: Jeder muss seinem Tagesgeschäft nachgehen. Wir wurden nicht eingeladen von den Initiatoren.

Und wenn es eine Einladung gegeben hätte?

Colak: Dann wären wir mitgegangen.  Aber es ist nicht getan mit einem Projekt für Midyat. Mein Heimatort liegt 30 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Im Urlaub sehe ich 24 Stunden am Tag, was dort abgeht. Die Flüchtlinge liegen dort auf der Straße. Ich sehe das Elend vor der Haustür. Der Bürgerkrieg in Syrien besteht seit vier Jahren. Warum sind die westlichen Hilfsorganisationen erst jetzt aufgewacht? Die Türkei hat über 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen und nimmt unabhängig von der Religionszugehörigkeit jeden auf, der humanitäre Hilfe benötigt.

Zurück nach Oberkirch:  Die Bertelsmann-Stiftung hat jüngst rund 1000 Unternehmen befragt, ob sie Auszubildende mit Migrationshintergrund beschäftigen. Die Antwort war in vielen Fällen nein. Haben es türkischstämmige Jugendliche auch in der Ortenau schwerer, an Lehrstellen zu kommen, als ihre gleich qualifizierten deutschen Altersgenossen?

Atlay: Ja, ich habe die Erfahrung schon gemacht, dass Bewerber mit ausländischem Namen ausselektiert werden.

Wo?

Atlay: Das möchte ich nicht sagen. Aber man erlebt das im Alltag, und das ist menschlich gesehen nicht in Ordnung. Jedem steht das Recht zu, dass mit seiner Bewerbung genauso umgegangen wird wie wenn er einen deutschen Namen hätte. Es darf keine Selektion geben, man muss die Integration konkret umsetzen.  Es gibt leider noch eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Auch das tut im Alltag weh.

Jugendliche, die keine Perspektive sehen und diskriminiert werden, sind sicher ein leichteres Opfer für Hassprediger und Extremisten ...

Atlay: Das ist die große Gefahr. Aber auch Diskriminierung ist keine Rechtfertigung, um zu Gewalt zu greifen. Der Islam ist eine Religion des Friedens und nicht der Auseinandersetzung. In der Sure Kafiron ayat 6 des Qur’an heißt es: »Euch Eure Religion und mir meine Religion.«

Weitere Artikel aus der Kategorie: Achern / Oberkirch

Beim ehemaligen Gasthaus Krone in Rheinbischofsheim geht es oft eng zu. Das beklagen Anwohner und Ortschaftsräte. Abgemeldete Autos aus Frankreich seien die Ursache.
vor 20 Stunden
Viele Autos bei der "Krone"
Ortschaftsrat und Bürger sammeln in Rheinbischofsheim kritische Stellen für die Verkehrsschau im April. Ärger bereitet vor allem wildes Parken.
Saisonstart beim Golfclub (von links): Clubmanagerin Tanja Taxis, Vizepräsident Klaus Sturn, Vizepräsidentin Ingrid Volkenand und Präsident Thomas Kohler im Geräteraum.
vor 23 Stunden
Der Golfclub setzt auf Naturnähe
Der Golfclub Urloffen mit seinen 900 Mitgliedern ist auch als Kaderstützpunkt des Golfverbands vorbereitet auf die neue Saison. Interessierte können jederzeit reinschnuppern.
Am 29. Januar brannte die „Neue Hütte“ ab. Da die Ermittlungen laufen, darf der Brandschutt noch nicht beseitigt werden.
28.03.2024
Untersuchungen laufen noch
In Rheinbischofsheim liegen Wochen nach dem Brand im Wald weiterhin Schuttreste einer Hütte.
Die Hesselhurster Kinder freuen sich schon jetzt auf die immer schönen Basteltage unter der Anleitung von Jugendleiterin Bianca Krieg beim Förderverein Dorfgemeinschaft Hesselhurst. ⇒Foto: Richard Lux
28.03.2024
Hauptversammlung
Hauptversammlung: Die Dorfgemeinschaft Hesselhurst zählt bereits 204 Mitglieder. Auch dieses Jahr sind wieder eine Menge Aktionen geplant.
Der Hegering Hinteres Renchtal hat die Wiederansiedlung des Luchses im Schwarzwald kontrovers diskutiert.
28.03.2024
Oppenau
Der Hegering Hinteres Renchtal diskutierte bei seiner Versammlung über den Luchs. Dessen Wiederansiedlung könnte vor allem mit den Schutzmaßnahmen für ein anderes Tier kollidieren.
Die ABL tritt bei der Gemeinderatswahl mit voller Liste an. 
28.03.2024
Achern
Die Acherner Bürger Liste tritt mit Personen aus allen Acherner Teilorten bei der Gemeinderatswahl an. Alle aktuellen Stadträte bewerben sich wieder.
Ehrungen beim SC Önsbach, von links Werner Huschka, Angelika Weber, Beate Hund, Ursula Schemel, Reiner Steurer, Roland Gutenkunst, Hermann Haungs, Bruno Tabor, Werner Ell, Gregor Harter und Monika Kast. 
28.03.2024
Achern - Önsbach
Der 886 Mitglieder starke SC Önsbach geht optimistisch in die Zukunft. Für die neue Saison wird wieder eine Fußball-Herrenmannschaft gemeldet.
Ein Teil der Geehrten der Kolpingsfamilie Lautenbach mit den Vorsitzenden und geistiger Leitung (von links): Vorsitzende Eva Breuer, Josef Müller, geistige Leitung Sabina Breidung, Bernhard Müller und stellvertretende Vorsitzende Stefanie Fischer.
28.03.2024
Lautenbach
Im zurückliegenden Kalenderjahr feierte die Lautenbacher Kolpingsfamilie ihr 75-jähriges Jubiläum. Darauf blickte man in der Jahreshauptversammlung zufrieden zurück. Außerdem wurden langjährige Mitglieder geehrt.
Sie kandidieren für den Stadelhofener Ortschaftsrat: von links Klaus Müller, Lena Blümle, Diana Vogt-Bruder, Sebastian Hund, Rainer Huber, Thomas Schadt, Frank Grimmig, Katja Hund, Marius Meier, Markus Plail, Fabian Knapp, Annika Spraul, Bastian Springmann und Dominic Ell (von links).
28.03.2024
Ortschaftsratswahl
14 Kandidaten für zehn Plätze – so lautet die Formel bei der Ortschaftsratswahl in Stadelhofen. Mit dabei ist erstmals auch eine 17-Jährige.
Die musikalischen Nachwuchstalente des Hans-Furler-Gymnasiums bekamen bei der 21. Soiree reichlich Beifall vom Publikum.
28.03.2024
Oberkirch
Die Soiree am Oberkircher Hans-Furler-Gymnasium ließ keine Wünsche offen. Die talentierten Nachwuchs-Musiker der Schule offenbarten dem Publikum ihre musikalische Begabung und ernteten dafür viel Applaus.
Yvonne Bierer, Tanja Weinzierle (links) und Michael Sauter (rechts) informierten über die Fällungen im Binzigwald.⇒Foto: Meier
28.03.2024
Binzigwald
Anwohner des Binzigwalds zeigten sich bei einer Begehung des Schonwaldes überrascht davon, dass dort mit schwerem Gerät Bäume gefällt worden waren. Die Förster nahmen vor Ort Stellung.
Sie kandidieren auf der CDU-Liste für den Ortschaftsrat Zusenhofen (von links): Christian Ell, Johannes Danen, Markus Grimmig, Marcel Zerrer, Daniela Serrer, Peter Müller, Selina Wurth, Alfons Braun, Felix Armbruster und Jens Junker. 
28.03.2024
Oberkirch - Zusenhofen
Jüngere Kandidaten treten für die CDU Zusenhofen bei der Ortschaftsratswahl an. Vorsitzender Dieter Blaeß lobt deren Engagement. Die vier CDU-Ortschaftsräte sollen mit Erfahrung punkten.

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • HYDRO liefert etwa Dreibockheber für die Flugzeugwartung. 
    26.03.2024
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl fustionieren
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl schließen sich zusammen. Mit diesem Schritt befinden sich die Kompetenzen in den Bereichen Ground Support Equipment (GSE) und Aircraft- & Engine Tooling unter einem Dach.
  • Alle Beauty-Dienstleistungen bietet die Kosmetik Lounge in Offenburg unter einem Dach.
    26.03.2024
    Kosmetik Lounge Offenburg: Da steckt alles unter einem Dach
    Mit einer pfiffigen Geschäftsidee lässt Elena Plett in Offenburg aufhorchen. Die staatlich geprüfte Kosmetikerin denkt "outside the box" und hat in ihrer Kosmetik Lounge ein außergewöhnliches Geschäftsmodell gestartet.
  • Konfetti, Flitter und Feuerwerk beschließen die große Preisverleihung im Forum-Kino in Offenburg. Die SHORTS feiern 2024 ihr 25. Jubiläum. 
    26.03.2024
    25 Jahre SHORTS – 25 Jahre Bühne für künftige Filmemacher
    Vom kleinen Screening in 25 Jahren zum gewachsenen Filmfestival: Die SHORTS der Hochschule Offenburg feiern Jubiläum. Von 9. bis 12. April dreht sich im Forum-Kino Offenburg alles um die Werke junger Filmemacher. Am 13. April wird das Jubiläum im "Kesselhaus" gefeiert.
  • Das LIBERTY-Team startet am Mittwoch, 27. März, in die Afterwork-Party-Saison. 2024 finden die Veranstaltungen in Kooperation mit reiff medien statt. 
    22.03.2024
    Businessaustausch jetzt in Kooperation mit reiff medien
    Das Offenburger LIBERTY startet mit Power in die Eventsaison: Am Mittwoch, 27. März, steigt die erste XXL-Afterwork-Party mit einem neuen Kooperationspartner. Das LIBERTY lädt zusammen mit reiff medien zum zwanglosen Feierabend-Businessaustausch ein.