Nach dem Abi ab ins Handwerk?
Die Handwerkskammer Freiburg streckt ihre Fühler in die Gymnasien aus: Mit einem Pilotprojekt, an dem auch das Oberkircher Hans-Furler-Gymnasium teilnimmt, möchte sie die Berufsorientierung stärken und Alternativen zum Unistudium darstellen.
500 Ausbildungs- und 600 Studienberufe stehen Abiturienten in Deutschland offen. Da kann die Entscheidung, den richtigen Berufsweg einzuschlagen, schon einmal schwierig werden. Einen ersten Schritt in die Berufswelt vermittelt das einwöchige Bogy-Praktikum in Klasse zehn – und im Hans-Furler-Gymnasium auch das Pilotprojekt »Berufsorientierung« (BO) der Handwerkskammer Freiburg.
Es richtet sich an die rund 90 HFG-Neuntklässler, die sich am Donnerstag im Forum am HFG informieren konnten – das erste von sechs Projektmodulen. Nicht alle Schüler werden bis zum Schluss mitmachen können: Es gibt fürs Hans-Furler-Gymnasium nur 24 bis 30 BO-Plätze. Die sind nicht zwangsläufig den Einserschülern oder den Wackelkandidaten reserviert: Sollte es zu viele Bewerber geben, entscheidet nicht die schulische Leistung, sondern ein Bewerbungsschreiben, in dem die Schüler ihre Motive erläutern. Die Auswahl treffen dann die Bogy-Koordinatoren der Schule, Melanie Voigt und Ingo Kruse.
Das zweite Modul richtet sich noch einmal an alle Neuntklässler: Ausbildungsbotschafter, Unternehmer und Berufsberater der Agentur für Arbeit rücken Alternativen zum herkömmlichen Unistudium in den Mittelpunkt: die duale Ausbildung, das duale Studium, das sich parallel an einer Hochschule und im Ausbildungsbetrieb abspielt, und die Selbstständigkeit.
Für die ausgewählten Schüler folgt im Juli die Kompetenzanalyse: Sie schätzen zunächst ihre Schlüsselqualifikationen wie Sorgfalt, Kontaktfreude, Organisationstalent selbst ein. Es folgt ein Test der kognitiven Fähigkeiten und eine Gruppenaufgabe, in der Beobachter die Selbst-, Sozial- und Methodenkompetenz der Teilnehmer feststellen. Ein 30- bis 45-minütiges Auswertungsgespräch liefert den ersten Fingerzeig, welches Berufsfeld den Interessen, Begabungen und Stärken des Schülers am besten entsprechen könnte.
Die praktische Berufserkundung (Modul vier) ist dann eingebunden in die Bogy-Woche der Zehntklässler im Oktober. Die Projektteilnehmer lernen im Gegensatz zu ihren Klassenkameraden gleich mehrere Berufe kennen. Zunächst können sie ihre berufsspezifischen Fähigkeiten in einem zwei- bis dreitägigen Praktikum in der Werkstatt der Gewerbeakademie Offenburg erkunden, anschließend geht es für zwei bis drei Tage in regionale Betriebe.
Die Chance, Chef zu sein
Die Chance, Chef zu sein, erhalten die Teilnehmer im fünften Schritt, wenn sie in einer mit einem kleinen Wettbewerb verbundenen Simulation selbst einen Schreinerbetrieb führen und unternehmerische Entscheidungen treffen.
Und zum Schluss erfolgt Ende November 2015 bei der Auswertung ein Realitätsabgleich zwischen Wunsch und Berufswirklichkeit. Auch wenn die Eltern bei allen Auswertungsgesprächen als Zuhörer willkommen sind, riet HFG-Schulleiter Peter Bechtold die Neuntklässler dazu auf, die Entscheidung über ihre berufliche Zukunft selbstständig zu treffen. Und die Latte immer mal wieder etwas höher zu legen. »Nur so lassen sich Ziele erreichen.«
»Herausragende Arbeit geleistet«
»Plumpe Werbung« strebe die Handwerkskammer Freiburg mit dem Projekt »Berufsorientierung« nicht an, erläuterte Armin Fink, der das Projekt für die Handwerkskammer Freiburg betreut. Vielmehr will man den Schülern Hilfe geben, den richtigen Berufsweg zu finden. Dass man so in zweiter Linie auch dem Fachkräftemangel begegnen will, versteht sich von selbst.
Je 22 000 Euro lassen sich Handwerkskammer Freiburg, Agentur für Arbeit und Wirtschaftsministerium das Pilotprojekt kosten, das zunächst an vier südbadischen Gymnasium erprobt wird: in Emmendingen, Kenzingen, Offenburg (Oken) und Oberkirch. Aufs Hans-Furler-Gymnasium fiel die Wahl, weil das Modell gut zum seit Jahren praktizierten Bogy-Konzept passe. Das HFG leiste hier »herausragende Arbeit«, lobte Martin Vossler vom Regierungspräsidium Freiburg.
Das Pilotprojekt ist zunächst auf einen Durchgang beschränkt. Laut Vossler besteht aber der Wunsch, dass es in der Fläche umgesetzt wird. Im neuen Bildungsplan sollen Wirtschaft und Studien- und Berufsorientierung ohnehin fester verankert werden.