Achern / Oberkirch
Prickelnd wie ein Glas Champagner
Wolfgang Winter
03. März 2008
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Die Groteske »Der Drache« des russischen Schriftstellers Jewgenij Schwarz feierte im ausverkauften Illenau-Theater Premiere. Die zeitlose, von Ina Lichtenstein bis ins Detail stimmig inszenierte Polit-Parabel kommt trotz Bedeutungsschwere federleicht und prickelnd-spritzig daher.
Achern. Seit 400 Jahren herrscht ein Drache über der Stadt. Sein Unterhalt kommt den Bürgern teuer zu stehen. 1000 Kühe, 2000 Schafe, 15 000 Hühner und zwei Zentner Salz vertilgt das Ungeheuer im Monat. Im Sommer und Herbst stehen zehn Gärten Salat, Spargel und Blumenkohl auf der Speisekarte. Damit nicht genug: Verlangt der Nimmersatt doch, ihm jährlich eine Jungfrau zum persönlichen Vergnügen auszuliefern. Die Bewohner haben sich mit dem Schicksal abgefunden. Aus grauer Vorzeit heißt es, dass ein Aufstand zwecklos sei, da der grausame Drache jeden Angreifer tötet.
Der Ausgangspunkt und vorhersehbare Fortgang der Geschichte wird von Autor Jewgenij Schwarz getreu der Schablone ungezählter Volksmärchen dargestellt. In Mythen und Legenden erzählen die Dichter weltweit vom Kampf eines Helden gegen den Drachen. Beim Illenau-Theater übernahm Uwe Lueb die Aufgabe. Er mimt den Drachentöter-Profi Lancelot, der vom Archivar (Helmut Schiffner) und seiner zum Jungfrauenopfer auserwählten Tochter Elsa (Carolin Fliegel) über den Stand der Dinge informiert wird. Genregemäß verliebt sich Lancelot in Elsa und fasst den Vorsatz, das Ungeheuer zu besiegen.
Kein normales Märchen
Doch halt, wer denkt, dass die Handlung bis ans Ende wie ein ganz normales Märchen dahinplätschert, irrt. Schwarz nahm in seinem 1943 entstandenen Stück die Nazidiktatur aufs Korn, Stalins Geheimdienst ahnte die Allgemeingültigkeit des Stoffs und verbot die Uraufführung. Die abgründige Doppelbödigkeit der grandiosen Textvorlage wird von Regisseurin Ina Lichtenstein glänzend herausgearbeitet.
Die Hauptrollen sind bestens besetzt. Patrick Berger ist ein Drache zum Fürchten, seine drei Köpfe gebärden sich zwar unterschiedlich, sind jedoch stets aus dem gleichen, eisenharten Diktatoren-Holz geschnitzt. Marion Wolf, die in der leicht abgewandelten Kopie einer NVA-Uniform der DDR auftritt, spielt den Adjutanten des Drachen eiskalt und abgefeimt. Wie sie am Ende in Business-Kluft sogar das Oberhaupt der eigenen Familie ans Messer liefern möchte, macht Gänsehaut.
Iris Frietsch als Bürgermeister ist ein echter Knaller. Allein sie ist das Eintrittsgeld wert. In der ersten Hälfte mimt sie den Verrückten, dass die Wände wackeln und selbst die Geister der Illenau neidlos Beifall klatschen. Im dritten Akt schlüpft sie glaubhaft in die Rolle des dem Größenwahn verfallenen Diktators und erzielt Lacher, die im Halse stecken bleiben. Die zahlreich aufgebotene Bürgerschaft besteht aus Wendehälsen, hier zeichnet der Dichter allein die Hoffnung auf eine in Verborgenheit kämpfende Opposition. Aber, wie jedes Märchen, hat auch der »Drache« zur Beruhigung der Gemüter ein Happyend.
Ensemble und technische Abteilung waren glücklich und freuten sich über den lang anhaltenden, stürmischen Beifall.