Langsamer als in den Städten verbreitete sich das Fahrrad auf dem Land. Nicht nur die bescheidenen Lebensverhältnisse, sondern auch ein gewisser Konservativismus verzögerten die Entwicklung zur Zweiradmobilität. Dabei waren die Vorteile unübersehbar. Es gab schnellere Verbindungen zur nächsten Stadt, die Arbeit in den dortigen Fabriken wurde attraktiv, der Besuch der Märkte und der Geschäfte wurde erleichtert. Schließlich bot das Fahrrad neue Freizeitmöglichkeiten, die heimische Umgebung konnte entdeckt werden.

Als einer der ersten dörflichen Klubs entstand 1904 der »Fahrradverein Renchtallust Nußbach«. Er veranstaltete Waldfeste und Christbaumfeiern im Winter und organisierte gemeinsame Ausfahrten. 1922 gründeten unter der Patenschaft des Nußbacher Vereins die Zusenhofener ihren Fahrradverein »Edelweiß«. Mit einem großen Fest begingen sie 1925 ihr dreijähriges Stiftungsfest. Im Mittelpunkt stand am Sonntagmorgen ein Straßenrennen nach Oppenau und zurück. Zum Blumenkorso stellten sich nachmittags viele auswärtige Fahrradfahrer auf. Auf dem Festplatz spielten die Musikkapellen von Zusenhofen und Nußbach zur Unterhaltung auf. Ein Jahr später traf man sich in Zusenhofen zur Bannerweihe, zwölf Vereine beteiligten sich am Umzug.
Der »Radfahrverein Ullenburg Ulm« veranstaltete ebenfalls 1926 ein Hauptrennen, ein Neulingsrennen ein Vereinsrennen und ein Gästerennen nach Lautenbach. Ein Glückshafen und ein Schießstand waren aufgebaut. Drei Backwarenstände und zwei Schankwirte sorgten für das leibliche Wohl. In Stadelhofen entstand 1925 der »Radfahrverein Renchtalperle«.

Die gegenseitigen Besuche der Vereine ermöglichten viele menschliche Kontakte und bauten die alten Rivalitäten zwischen den Dörfern ab. Und mancher Radler hat auch seine Festdame auf einem Radfahrerfest gefunden. In der Öffentlichkeit traten die Mitglieder gemeinschaftlich im Vereinsdress auf.

»Knochenschüttler«

Ein Fahrrad konnte man sich erst leisten, wenn man sein eigenes Geld verdiente. Die Nußbacherin Anna Keppke (1922 – 2016) finanzierte ihr Fahrrad nach dem Ende ihrer Schulzeit, indem sie Zeitungen austrug. »Kinder auf dem Dorf besaßen in der Regel kein Fahrrad«, erinnerte sie sich. Eine  Ausnahme machte der Sohn des Obsthändlers Lorenz Busam, der von einem Geschäftsfreund ein Rad erhalten hatte. Er verlieh gegen zehn Pfennig seinen »Knochenschüttler« an die anderen Dorfkinder, die auch einmal am Fahrradvergnügen teilhaben wollten.