Therapie als »Sieg über die bösen Dämonen«
Achern (wowi). Christian Rollers Lebensleistung wird in der Fachliteratur zwiespältig gewertet. Er gilt als Modernisierer, der, so urteilte der Historiker Dieter Jetter, »Baden eine der modernsten und brauchbarsten Irrenheilstätten der Welt« bescherte, andererseits habe sein Zwist mit der Heidelberger Medizinischen Fakultät »die Einführung der Irrenheilkunde als akademisches Lehrfach um weitere Jahrzehnte verzögert«.
Da sich die Universitätspsychiatrie erst in einem längeren Prozess aus der Anstaltspsychiatrie des 19. Jahrhunderts entwickelte, sei es jedoch rückblickend kaum möglich, hierfür bestimmte Daten anzugeben, erläuterte der renommierte Medizinhistoriker Heinz Schott in seinem Festvortrag unter der Überschrift »Christian Roller und seine Zeit – die Entwicklung der Psychiatrie«.
Historischer Kontext
In seinen vertiefenden Ausführungen versuchte der Festredner, »vor allem den historischen Kontext ins Auge zu fassen, in denen Roller tätig war«. Der Pariser Psychiater Dominique Esquirol (1772 bis 1840), von dem Roller »bekanntermaßen stark beeinflusst war«, beschrieb in seinem Lehrbuch die »moralische« (psychische) und »physische« (somatische) Behandlung der »Seelenstörungen«. Die Irren schienen den Medizinern der Zeit »grundsätzlich von demselben Unvermögen geschlagen wie die Wilden im fernen Afrika: nämlich in Freiheit vernünftig zu handeln«.
Damit seien die wesentlichen Elemente der moralischen Behandlung vorgegeben gewesen, zum einen die »Beschränkung des rohen Trieblebens durch Unterwerfung, Bändigung und Strafe«, sowie die »Entwicklung ihrer körperlichen und geistigen Anlagen durch Arbeit, Lebensordnung und religiöse Einkehr«. Die medizinisch-physischen Manipulationen sollten den Organismus unmittelbar angreifen: sei es durch Ableitung von Krankheitsstoffen, durch Umpolen der Lebenskraft oder durch Zuführen heilkräftiger Substanzen.
Isoliertes Leben
Roller kombinierte in seiner Therapeutik die herrschenden Lehrmeinungen, zog seine »eigene Quintessenz für die organisatorische und therapeutische Praxis« und erklärte das isolierte Anstaltsleben selbst als Heilmittel, berichtete Schott.
In einer solchen Anstalt »muss eine gewaltige, aber auf bestimmten Gesetzen ruhende Bewegung bestehen«, von der jeder ergriffen und von deren »Harmonie und Regelmäßigkeit« der »Maniakus« im Zaume gehalten werde, verkündete Roller in seinem Buch »Die Irrenanstalt in allen ihren Beziehungen«. Im Kapitel über die »Beschäftigung der Irren« hob er die Arbeit »in Garten und Feld« hervor, die wie keine andere Beschäftigung zum »Sieg über den bösen Dämon, der die Seelenruhe trübt«, beitrage.
Zusammenfassend stellte Schott fest, »dass die unterschiedlichen Behandlungsformen, wie wir sie bei Roller finden, durchweg dem wissenschaftlichen Selbstverständnis der Irrenheilkunde und ihrer Logik entsprachen«. Dem Anstaltsgründer sei es auf »die möglichen Korrekturen des Irreseins« angekommen, »auf das Wieder-vernünftig-machen der Unvernunft«. Insofern habe er sich im Einklang mit den anderen Psychiatern der Gründerzeit befunden.
ZUR PERSONProfessor Heinz Schott
Professor Dr. med. Dr. phil. Heinz Schott leitet seit 1987 das Medizinhistorische Institut der Universität Bonn. Seine umfassende, zusammen mit Rainer Tölle verfasste »Geschichte der Psychiatrie: Krankheitslehren – Irrwege – Behandlungsformen« füllt eine Forschungslücke.
Sie beleuchten die Geschichte der Krankenversorgung, die psychiatrisch bedeutsamen Krankheiten sowie deren Therapien. Auch von der Fachwelt bisher weniger beachtete Themen, etwa Dämonologie und Mesmerismus, sind berücksichtigt.
Die besondere Aufmerksamkeit der Autoren gilt schließlich der kritischen Auseinandersetzung mit dem Menschenbild in der Psychiatrie, wie sie sich in philosophisch orientierten Ansätzen, etwa der Daseinsanalyse oder der medizinischen Anthropologie, widerspiegeln.