Weihnachten nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches im Mai 1945 erwachte auch in Freistett unter schwierigsten Bedingungen das Leben neu. Zeitzeugin Leonore Fey aus Fessenbach erzählt von ihrem Heiligen Abend 1945 im Hanauerland. Eine Geschichte, die Mut macht in schwierigen Zeiten.
Plötzlich klopft es am Fensterladen. Leonore Fey, damals zwölf Jahre alt, zuckt zusammen: Ist das etwa die Militärpolizei, die der Familie an diesem Heiligen Abend einen Besuch abstattet? Schlimmes hatte man gehört von den französischen Besatzungssoldaten. Würden sie jemanden aus der sechsköpfigen Runde, die sich um den Weihnachtsbaum versammelt hatte, mitnehmen?
Die 81-Jährige, die seit mehr als 60 Jahren in Offenburg lebt, erinnert sich noch gut an den Weihnachtsabend 1945. Damals hatte sie mit ihrer Schwester Irene, ihrem Großvater und ihrer Mutter Lucie Helfrich nach den Evakuierungen des Krieges eine Bleibe in Freistett gefunden. »Es war eine düstere Zeit«, erinnert sich Fey an die Situation nach dem Krieg. Freistett war von Zerstörungen weitgehend verschont geblieben. Ihr Großvater, Polizei-Revierleiter in Straßburg, hatte sich dafür eingesetzt, das Dorf ohne großen Widerstand zu übergeben. Dennoch mangelte es an allen Ecken und Enden. Flüchtlinge wurden im Ort einquartiert. Neben der Lebensmittelknappheit trafen die Übergriffe von französischen Soldaten die Bevölkerung.
Ein Funke Hoffnung
In diesen schwierigen Tagen gab es aber auch einen Funken Hoffnung. Denn mit Leonore Fey und ihrer Familie verbrachte eine junge Frau mit ihrer fünf Jahre alten Tochter das Weihnachtsfest. Leonores Schwester Irene hatte die beiden am Rheinufer vor dem Tod bewahrt. Nun sitzen sie alle um den Weihnachtsbaum, im schwachen Licht der Kerzenstummel. Wieder klopft es. Eleonore Feys Mutter Lucie öffnet die Tür. Nichts. Abends ging in dieser Zeit niemand auf die Straße.
Wenige Augenblicke später pocht es wieder an der Tür. Mutter Lucie erblickt fünf junge Burschen in französischer Uniform. Sie sind vielleicht 18, vielleicht 19 Jahre alt. Obwohl Leonore Feys Mutter gut Französisch spricht – was sie wollen, erfährt sie nicht. »Meine Mutter war eine energische Frau«, erinnert sich Leonore Fey, »sie hat die Kerle hereingebeten.«
Tränen im Gesicht
Die Soldaten sind mindestens ebenso erstaunt wie die Weihnachtsgesellschaft. War es schon eine Riesenüberraschung gewesen, dass Leonore Feys Mutter überhaupt einen Weihnachtsbaum hatte auftreiben können – die unerwarteten Gäste waren es ebenso. Lucie Helfrich reicht den ungewöhnlichen Besuchern etwas Gebäck und Tee. Dann lässt sie sich am Klavier nieder und stimmt ein französisches Weihnachtslied an. Leonore Fey beobachtet die Szene in aller Stille. Was sie zu sehen bekommt, ist ihr bis heute in Erinnerung geblieben. »Den jungen Soldaten liefen die Tränen über die Wangen«. Als die Musik verstummt, verlassen die fünf Burschen das Haus ebenso unerwartet, wie sie gekommen waren. Fey sagt: »Wir haben sie nie wieder gesehen«.