Flüchtlinge: Moslems helfen im Verborgenen
Ortstermin in der Kehler Moschee. Ein paar Männer sitzen in der Teestube, im Nebenraum haben etwa zwölf Jungs beim Imam Koranunterricht – auch Flüchtlingskinder, wie Zeki Yildirim vom Türkisch-Islamischen Kulturverein betont. Die prächtige Moschee hinter dem Bahnhof steht allen muslimischen Gläubigen offen, aber auch Interessierte anderer Religionen sind willkommen. Für die syrischen Flüchtlinge gibt es aber noch eine zweite Anlaufstelle: Das Gebetshaus in der Alten Zollstraße, das eher arabisch geprägt ist. »Unser Imam spricht das Freitagsgebet natürlich auf türkisch und arabisch«, sagt Zeki Yildirim. »Aber ich habe auch schon Flüchtlinge in die Zollstraße gebracht, als gerade niemand hier war, der arabisch sprach.«
Die Kehler Muslime geben den Flüchtlingen aber nicht nur die Möglichkeit zum gemeinsamen Gebet. Sie helfen mit Geld und mit Lebensmitteln, mit Zeit, mit Auskunft und Begleitung. »Wir haben den Flüchtlingen die Handynummern unserer arabischen Gemeindemitglieder gegeben, die sie jederzeit anrufen können«, erzählt Samia Cherni, die vor 20 Jahren nach Deutschland kam. Das ist vor allem nachts oder am Wochenende wichtig, wenn die Sozialarbeiterin in der Flüchtlingsunterkunft oder andere Betreuer nicht da sind. Gründe gibt es genug: ein Wasserrohrbruch, ein krankes Kind oder Streitigkeiten.
Die Helfer können dann vermitteln, die Feuerwehr oder den Arzt rufen. »Wir sind näher an den Leuten dran, wir kennen ihre Sprache und ihre Kultur«, sagt die gebürtige Tunesierin, die auch im Dolmetscherpool der Stadt aktiv ist und an der Berufsschule junge Flüchtlinge unterrichtet. Dadurch erfahren sie auch unmittelbarer von den Bedürfnissen der Menschen, die sie in die muslimische Gemeinde weitertragen. Und noch eine Erfahrung bringen viele Kehler Muslime mit: »Wir wissen, wie man sich fühlt in einem fremden Land, dessen Sprache man nicht spricht«, so Yildirim. »Wir haben das als erste Gastarbeitergeneration genauso erlebt.«
Die fünf Säulen des Islam
90 Prozent der Hilfe läuft über Privatinitiativen und nicht über die Moschee, schätzt er. Jeder Moslem ist gehalten, nach den fünf Säulen des Islams zu leben. Dazu gehört auch das Almosen (»Stichwort«) – die Gabe muss aber diskret erfolgen, um die Ehre der Bedürftigen zu wahren. »Es gibt eine Überlieferung des Propheten, die besagt: Wenn die eine Hand hilft, soll das die andere nicht merken«, so Yildirim. »Die Hilfe der Muslime läuft daher eher im Verborgenen ab.« Viele geben ihr Almosen auch dem Roten Halbmond oder anderen Hilfsorganisationen, die mit dem Geld Menschen in Flüchtlingslagern in Jordanien oder der Türkei unterstützen.
Die muslimische Gemeinde ist über den Arbeitskreis Christen und Muslime mit der Kehler Flüchtlingshilfe vernetzt. Der vor 25 Jahren gegründete Arbeitskreis hat sich schon in den 1990er Jahren im Zuge des Bosnienkriegs für Flüchtlinge engagiert. Auch das sei ein Gebot des Korans, erläutert Yildirim. »Wenn dein Nachbar hungrig ins Bett geht und du bist satt, musst du helfen, sonst bist du keiner von uns«, zitiert er. Und fügt hinzu: »Die Flüchtlinge sind unsere Nachbarn. Wir leben in derselben Stadt.«
Almosen
Das Almosen gehört neben dem Glaubensbekenntnis, dem Gebet, dem Fasten im Monat Ramadan und der Pilgerfahrt nach Mekka zu den fünf Säulen des Islam. Die Höhe des Almosens richtet sich nach dem Privatvermögen: 2,5 Prozent davon sind an Bedürftige abzugeben. Gläubige Muslime halten sich daran - wer kein Almosen gibt, muss die Abrechnung vor dem Jüngsten Gericht fürchten.