Gelungene Inklusion in Kehl-Leutesheim
In Leutesheim lernen Kinder mit und ohne Behinderungen Seite an Seite - und das schon seit 13 Jahren.
»Trat ich heute vor die Türe, sapperlot, was sah ich da?« klingt es lauthals aus 23 Kinderkehlen. Rhythmisch stampfen die Füße auf den Boden, bei jedem Strophenwechsel reichen die mit Handtrommeln und Rasseln ausgestatteten kleinen Musiker ihre Instrumente weiter. Im Musikunterricht der Klasse 1a der Grundschule Leutesheim fällt auf den ersten Blick gar nicht auf, dass sich auch die Außenklasse der Astrid-Lindgren-Schule aus Hesselhurst (Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum) unter den Schülern befindet. »Funkelsterne« heißt die siebenköpfige Gruppe, die zum Schuljahr 2016/2017 gemeinsam mit der ersten Klasse eingeschult wurde. In den nächsten vier Jahren werden die Kinder mit Behinderung – außer in den Fächern Deutsch und Mathematik – den regulären Schulunterricht besuchen.
Von Inklusionsprojekten wie der Hesselhurster Außenklasse in Leutesheim profitieren beide Seiten, wie Lehrerin Sabine Auerbach berichtet: Es sei »auffällig, wie unauffällig die Außenklasse, etwa bei Schulfesten, innerhalb der Schulgemeinschaft ist.« Sabine Auerbach studiert mit ihren Schülern der Grundschule und der Außenklasse seit zehn Jahren Inszenierungen ein, die aufgeführt werden. »Die Kinder mit Behinderung blühen dabei auf und integrieren sich so gut, dass die Zuschauer oft gar nicht erkennen können, welche Kinder zu den Funkelsternen gehören«, sagt sie.
Barrieren abbauen
Dass diese Art des gemeinsamen Lernens für alle Seiten von Vorteil ist, davon konnte sich der Inklusionsbeauftragte der Stadt Kehl, Nicolas Uhl, bei einem Besuch der Schule überzeugen. Barrieren abzubauen fördere das Zusammenkommen und enttabuisiere das Thema Behinderung. »Inklusion beginnt in den Köpfen der Menschen«, sagt der Absolvent der Verwaltungshochschule Kehl, der aufgrund einer speziellen Form des Kleinwuchses von klein auf im Rollstuhl sitzt. Uhl hat selbst
Regelkindergarten und Regelschule besucht, und sagt, dass seine Mitschüler durch ihn einen Blick für Barrierefreiheit entwickelt hätten. Neue Sichtweisen und soziale Kompetenzen würden durch Inklusion gefördert. Wenn Menschen mit Einschränkung immer nur in Gruppen zusammen unterwegs seien, so Uhl, würden sie von »gesunden« Menschen auch meist als Gruppe, als »die Behinderten« wahrgenommen. Durch Inklusion würden Menschen mit Behinderung mehr als Individuen wahrgenommen.
Das Phänomen Mobbing sei in Leutesheim kein Thema, im Gegenteil, berichtet Sabine Auerbach: Die Mitschüler der »Funkelsterne« kümmerten sich von sich aus um die Kinder mit Behinderung. »Anfängliche Berührungsängste lösen sich schnell auf. Stattdessen entwickelt sich eine natürliche Offenheit gegenüber eingeschränkten Personen, die sich auch im Alltag zeigt«, berichtet der Elternbeiratsvorsitzende Alexander Geiger.
Nur in Deutsch und Mathe nehmen die »Funkelsterne« nicht am regulären Unterricht teil: Der Rechenunterricht wird für sie bildlicher aufbereitet und auch das Lesenlernen erfolgt zunächst mithilfe von Bildern und Symbolen. Ziel ist es, den Kindern mit Behinderung später ein Leben zu ermöglichen, das so selbstbestimmt wie möglich ist, daher gehören zum Unterricht auch Alltagskompetenzen wie Kochen oder den Abwasch zu erledigen. Nach der vierjährigen Grundschulzeit wechseln die Schüler der Außenklasse auf eine weiterführende Schule. Grundsätzlich wird eine normale berufliche Tätigkeit angestrebt, einige Schüler werden in Arbeit in spezialisierten Werkstätten und Betrieben vermittelt.
Freundschaft schließen
Die Lehrerin freut es, wenn die »Funkelsterne« Alltagssituationen meistern, zum Beispiel, wenn sie es schaffen, sich in einem vollen Café ein Eis zu bestellen. Auch bei solchen, über den Unterricht hinausgehenden Tätigkeiten, wird der positive Einfluss der Gesamtgruppe auf die Kinder mit Behinderung deutlich: Die Mitschüler motivieren die »Funkelsterne« und dienen ihnen als Vorbilder. Das zeige sich beispielsweise beim Schwimmunterricht oder in der gemeinsam absolvierten Verkehrsschule.
Zudem, so Geiger, setze sich die Inklusion nach dem Unterricht fort: Die Kinder treffen sich zum gemeinsamen Spielen, laden sich zu Kindergeburtstagen ein oder feiern zusammen Waldspeckfeste. »Über die Schule hinaus sind die Kinder Freunde geworden.«