Kritik an Bauprojekt in Kehl-Dorf
Nach dem Baubeginn in der Hauptstraße 160 in Kehl-Dorf (s. Foto) reißt die Kritik am Projekt nicht ab – im Gegenteil: Zunehmend wird die städtebauliche Entwicklung der Stadt insgesamt angegriffen. Denn die Hauptstraße 160 gilt nicht wenigen Kehlern nur als ein Beispiel unter vielen.
Die städtebauliche Entwicklung Kehls wird zunehmend kontrovers diskutiert. Nach dem Beginn des Projekts in der Hauptstraße 160 in Kehl-Dorf häufen sich die kritischen Stimmen – nicht nur zu diesem Bauvorhaben, sondern ganz generell zum Thema »Verdichtung in ländlicher Umgebung mit dörflichem Flair« – mit der möglichen Folge, dass dieses Flair zunehmend verloren geht.
Dass der Kehler Gemeinderat hier teilweise zu wenig steuere, hatte Stadtrat Sperling bereits im März 2015 im Technik-Ausschuss gemeint. In einer Stellungnahme für die Kehler Zeitung erläutert er diesen Gedanken: »Ich meinte damals, dass wir in Gebieten wie Kehl-Dorf die weitere Entwicklung mit Bebauungsplänen steuern sollten. In dem Verfahren zur Aufstellung der Bebauungspläne muss dann geklärt werden, ob eine Verdichtung der Bebauung erfolgen soll und welchen Umfang die Verdichtung haben soll, wenn sie gewünscht wird.«Sperling weiter: »Das ist in bebauten Gebieten oft eine schwierige Entscheidung, weil die Interessen der Grundstückseigentümer sehr unterschiedlich sind. Das zeigt sich zur Zeit besonders im Kronenhof. Ohne Bebauungspläne ist aber häufig eine zu weitgehende Verdichtung nicht zu vermeiden.« Sperling schließt mit den Worten: »Die Diskussion, ob für Kehl-Dorf ein Bebauungsplan notwendig ist, wurde bisher im Gemeinderat nicht geführt. Sie sollte bald erfolgen.«
Vorbehalte geäußert
Kehl-Dorf und der Kronenhof sind jedoch nur zwei Beispiele. Immer wieder kommen neue dazu, auch in den Kehler Stadtteilen: So diskutierte der Ortschaftsrat Bodersweier im Mai darüber, ob ein geplantes Mehrfamilienhaus in die Umgebungsbebauung passt. Die Gestaltung stieß auf Vorbehalte.
Und auch dort, wo es Bebauungspläne gibt oder geben soll, werden diese mitunter durchaus kritisch gesehen, wie zum Beispiel die Diskussion um den Entwurf des Bebauungsplans »Am Dreschschopf« im Korker Ortschaftsrat 2015 zeigte.
Mehrere Bürger haben sich über Facebook kritisch zu dem Projekt in der Hauptstraße gegeäußert oder haben ihre Meinung der Kehler Zeitung per E-Mail mitgeteilt.
Das meint der Kehler Tilmann Krieg:
»Es griffe sicher zu kurz, auf die Architekten zu zeigen, die den Vorgaben ihrer Auftraggeber entsprechen müssen und unter wirtschaftlicher Abhängigkeit stehen. Solange der Gemeinderat keine klaren Vorgaben macht, bietet er auch den Architekten keine Argumentationshilfe, um ortsgerecht zu bauen. Kehl ist derzeit Boomtown und könnte attraktive Bedingungen diktieren. Stattdessen diktieren, aus welchen Gründen auch immer, die Investoren – am eigenen Geldbeutel orientiert und nicht am Design der Stadt. Auf ein einzelnes Objekt braucht man sich dabei gar nicht einzuschießen: Die Hauptstraße insgesamt ist ein Offenbarungseid. Wo innerhalb weniger hundert Meter siebengeschossige Plattenbauten ebenso genehmigt werden wie einstöckige Hutschachteln als »Bistro«, herrscht kein Gestaltungswille des Gemeinderates, sondern das Gesetz der Investoren. Gerade eben wurde ja auch die Gestaltung der oberen Hauptstraße wieder abgeblasen – daran eiern die Kehler Gemeinderäte ja bereits seit 1992 erfolglos herum. Das wäre doch ein Thema für die angedachten »Kehler Architekturtage«.
Das meint der Kehler Hans-Peter Herrmann:
»Eigentlich hätte ein Blick in den Bebauungsplan genügen sollen, um einen verantwortlichen Städteplaner dazu zu veranlassen dieses Bauvorhaben in dieser Form abzulehnen. Laut Bebauungsplan greift an dieser Stelle der § 34 BauGB, dessen Absatz 1 mit dem Satz endet: »Das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.« Diese Einschätzung unterliegt ausschließlich der Baubehörde, die ihre Wertung dem Gemeinderat vorträgt, der zustimmend abnickt. Das Fachwerkhaus mit Scheunen steht unter Denkmalschutz. Trotzdem durfte die Scheune abgerissen werden zugunsten eines weiteren Flachdachblockes, der (Gott sei Dank) von der Straße kaum zu sehen ist. Die Rolle des Denkmalamtes ist hier ähnlich unverständlich wie zum Beispiel beim Gefängnisumbau.
So lange die Stadtverwaltung und der Gemeinderat diese Entwicklung als positives Signal für die städtebauliche Entwicklung in Kehl halten, wird diese optische Dissonanz weiter anhalten. Die Hauptstraße 160 ist nur ein Beispiel.
Ich finde diese Entwicklung bedenklich. Für mich entsteht der Eindruck, dass hier keinerlei Gesamtkonzept für die städtebauliche Entwicklung besteht. Alles wird den angesagten Imageprojekten wie »Tram/Rathausumfeld/Tulla
Alt/Schneeflären« untergeord-net. Ob mir diese Entwicklung gefällt oder nicht, darauf habe ich leider keinen Einfluss, wenn nicht endlich die schweigende Bevölkerung aufsteht und sich zu Wort meldet.
Das meint der Kehler Hans-Ulrich Müller-Russell:
»Eine geordnete Stadtplanung orientiert sich an den Grundsätzen gesunden Wohnens in wohnlicher Umgebung. Daran haben sich Weinbrenner und seine Schüler Anfang des 19. Jahrhunderts gehalten. Auch im Kehler Stadtbild ist das noch an einigen wenigen Stellen zu sehen, etwa an der östlichen Einmündung der Friedhofstraße in die Hauptstraße. Das Gebäude in der Hauptstraße 160 stellt diese Planungsgrundsätze auf den Kopf und zerstört das dörfliche Flair. Es verstößt zudem gegen Baurecht, denn es fügt sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Worauf wartet der Gemeinderat noch, bis er im Bebauungsplan »Kehl-Dorf« bestimmt, in welchem Maß ein Grundstück bebaut werden darf?
Oder will er sich weiter dem Druck der Investoren und ihrer Architekten aussetzen, die andere Ziele verfolgen als die Stadtplaner?