Üben für den Heldentod
Übungen für den Heldentod gab es während des Ersten Weltkriegs auch in Kehl. Während es in Kehl selbst keine Probleme gab, eine Jugendwehr auf die Beine zu stellen, sträubten sich die Bürgermeister in Marlen und Querbach dagegen, die Jugendlichen zum Eintritt in die Jugendwehr zu bewegen.
Kaum hatte der Erste Weltkrieg begonnen, wurde – auch in Kehl – schon darüber nachgedacht, wie die Jugend militärisch vorbereitet werden könnte. »Eine eiserne Zeit ist angebrochen, welche die höchsten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und die Opferwilligkeit jedes Einzelnen stellt«, heißt es in einer Bekanntmachung des Innenministers vom 5. September 1914, die sieben Tage später im Amtlichen Verkündigungsblatt für den Amtsbezirk Kehl zitiert wird. Während in Kehl selber die Bildung einer Jugendwehrabteilung gesichert war, musste das Bezirksamt in Marlen und Querbach mehrfach nachhaken und Druck auf die dortigen Bürgermeister ausüben. Offiziell allerdings war die Mitgliedschaft in der Jugendwehr freiwillig.
Hervorgegangen ist die Jugendwehr aus dem Jungdeutschlandbund, den der Feldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz 1911 auf Initiative des Kriegsministeriums ins Leben gerufen hatte. An den Zielen des Jungdeutschlandbundes ließ Goltz in der Empfehlung an die deutschen Eltern keinen Zweifel: »Erziehet eure Kinder im kriegerischen Geist und impfet ihnen vom frühesten Alter an Liebe zum Vaterland ein, für das sie sich vielleicht einmal opfern müssen.« Obwohl der Gründungsaufruf erst im Dezember 1911 ergangen ist, wurde die Abteilung des Jungdeutschlandbunds in Kehl bereits am 17. Oktober 1911 gegründet; Leiter war Hauptmann Schmidt, der Schwiegersohn des Zellstoff-Fabrikanten Ludwig Trick und Namensgeber der Villa Schmidt. Er soll den Jungdeutschlandbund großzügig mit Geldspenden unterstützt haben. Dass die Jugendwehr auch von offizieller Kehler Seite gefördert wurde, lässt sich nicht zuletzt aus dem Umstand schließen, dass am 16. Januar 1916 für die Jungmannen 100 Mützen zum Preis von 2,20 Mark bestellt wurden und der Gemeinderat genau einen Monat später 500 Mark bereitstellte, die »zur Ausstattung bedürftiger Jungmannen mit Röcken Verwendung finden« sollten. Auch ein Übungsraum wurde kostenfrei zur Verfügung gestellt.
Die theoretischen Unterweisungen fanden an einem Abend pro Woche und die paramilitärischen Übungen an den Sonntagnachmittagen statt. Dazu zählten Geländespiele, Orientierungsmärsche in Wald und Flur, das Ausheben von Schützengräben, Schießübungen und Handgranatenweitwürfe.
Kehl rügte Querbach
Während in Kehl die Rekrutierung der Jungmannen – gefragt waren vollkommen gesunde 16-Jährige – offenbar ohne Schwierigkeiten vonstatten ging, sträubten sich die Bürgermeister in Querbach und Marlen, die Jugendlichen zum Eintritt in die Jugendwehr zu bewegen. So rügte das Großherzogliche Bezirksamt in Kehl den Querbacher Bürgermeister Jakob Rapp in einem Schreiben am 10. März 1916 dafür, dass acht namentlich aufgeführte »Jünglinge zwischen 16 und 19 Jahren« der Jugendwehr nicht angehörten.
Ähnlich erging es – wie Archiv- und Museumsleiterin Ute Scherb herausgefunden hat – dem Bürgermeister Franz Marzluf der Dreiergemeinde Marlen-Goldscheuer-Kittersburg, als deren Hauptort damals Marlen fungierte. Die zum Bezirksamt Offenburg gehörende Gemeinde erhielt bereits am 3. November 1914 Post von Amtsvorstand Karl Steiner und musste sich fragen lassen, warum es in der Gemeinde noch keine Jugendwehrabteilung gebe. Handelte es sich bei dem ersten Brief noch um ein Rundschreiben, das an mehrere Gemeinden verschickt worden war, folgte am 16. November ein Schriftstück, bei dem »der Amtsvorstand extra den Füllfederhalter gezückt hatte«, wie Ute Scherb betont, um dem Schreiben besonderen Nachdruck zu verleihen: Wenn Franz Marzluf schon selber nicht in der Lage sei, die Jugendlichen für die Jugendwehr zu begeistern, so werde sich doch in der Gemeinde ein ehemaliger Soldat oder ein Militärvereinsmitglied finden, um die Gründung einer Jugendwehr-Abteilung in die Wege zu leiten, heißt es darin. Und weiter: »Der Pfarrer und die Herren Lehrer werden ihre Mitwirkung gewiss auch nicht versagen.« Eine Aussage, die beweist, dass gerade Pfarrer und Lehrer bei der kriegsideologischen Aufrüstung an vorderster Front agierten.
Der Brief von Amtsvorstand Karl Steiner, in dem am Ende gefordert wird, »dass innerhalb von acht Tagen« zu berichten sei, ist im Original in der Ausstellung »Auf Leben und Tod – Kehl im Ersten Weltkrieg« im Hanauer Museum zu sehen (s. auch Stichwort).
Dem Folgeschreiben vom 7. Dezember ist zu entnehmen, dass sich der Bürgermeister von Marlen auch durch das handschriftlich verfasste Schreiben nicht hat beeindrucken lassen: Darin wird nämlich mitgeteilt, dass jetzt ein Offenburger Rechtsanwalt den Auftrag bekomme, in Marlen eine Informationsveranstaltung über die Jugendwehr zu organisieren. Ute Scherb geht davon aus, dass am Ende auch in Marlen eine Jugendwehr gegründet wurde.
Vorwand für die Kneipe
Im Frühjahr 1917 – nach dem Grauen von Verdun – war die Begeisterung für die Jugendwehr wohl an einem Tiefpunkt angelangt. Dies legt ein weiteres Rundschreiben des Bezirksamts nahe: »Es ist dringend nötig«, heißt es darin, »dass ab und zu der Herr Bürgermeister durch persönliches Erscheinen bei Übungen das Interesse der Gemeinde-behörde bekundet«.
Weil offenbar so mancher Jugendliche die Übungsabende der Jugendwehr als Vorwand für einen Kneipenbesuch nutzte, wurden die Bürgermeister gedrängt, den »unbefugten Besuch von Wirtschaften« empfindlich zu ahnden.