Gemeinderat Kehl

Stadt am Limit? - Vetrano verteidigt »Reißleine«-Strategie

Klaus Körnich
Lesezeit 6 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
23. Februar 2017
Mehr zum Thema

Fühlt sich nach eigener Aussage bei seiner »Reißleine«-Rede »teilweise missverstanden«: OB Toni Vetrano. Er erklärte sich deshalb am Mittwoch noch einmal im Gemeinderat. ©Martin Egg

Die Tonlage zwischen Verwaltung und Stadträten verschärft sich: Am Mittwochabend hat es eine heftige Auseinandersetzung im Gemeinderat zwischen mehreren Stadträten und Oberbürgermeister Toni Vetrano gegeben.

»Wir schaffen es nicht«, war eine markante Aussage von OB Toni Vetrano am Mittwochabend im Gemeinderat – zu Beginn der Beratungen zum Doppelhaushalt 2017/18. Der OB nahm dabei Bezug auf seine »Reißleine«-Haushaltsrede vom 19. Dezember. Vetrano bezeichnete es als »hart«, die »Reißleine« ziehen zu müssen, weil dadurch Projekte – zum Beispiel das Radhaus – nicht realisiert werden können und andere aufgeschoben werden müssten. Liebend gerne würde er sagen können: »Ende des Jahres sind alle Kindergärten und Schulen saniert, um- und angebaut. Aber wir schaffen es nicht!« Die städtischen Mitarbeiter würden »bis zum Limit« arbeiten, sagte ihr Chef: »Bevor das System zusammenbricht, weil Ihnen die Mitarbeiter krank werden oder davonlaufen, bleibt nur eine Möglichkeit: Sie müssen die Reißleine ziehen. Genau das habe ich getan.«

OB: "Vorspiegelung falscher Tatsachen"

OB Vetrano: »Wenn – und das sage ich ganz deutlich – Mitglieder aus diesem Gremium oder aus dem Kreise der Ortsvorsteher Bürgerinnen und Bürgern suggerieren: Wir kriegen das schon hin, dann ist das Vorspiegelung falscher Tatsachen.« Er werde es nicht mehr akzeptieren, dass der Gemeinderat Projekte beschließt – im Wissen, dass diese mit den vorhandenen Arbeitskapazitäten nicht umgesetzt werden können, »um dann dem OB und dem Beigeordneten die Verantwortung zuzuschieben. Sollte dies wieder geschehen, werde ich mir diesmal erlauben, die Verantwortlichen, auch in öffentlichen Diskussionen, zu benennen.«

Der OB weiter: »Wenn Sie, meine Damen und Herren, ein Problem mit mir oder mit dem Beigeordneten haben, dann sagen Sie es bitte direkt und ersparen Sie uns doch alle Scheindiskussionen.« Die Besetzung offener Stellen sei nicht einfach, weil die Verwaltung »nicht immer der attraktivste Arbeitgeber« sei. Auf die Fremdvergabe von Aufträgen sei die Verwaltung auch selbst gekommen, allerdings bringe die Begleitung eines »Externen« immer noch »einen erheblichen Arbeitsaufwand mit sich«. Dies alles sei für die Stadträte nichts Neues. Es ärgere ihn, Vetrano, jedoch, »wenn komplexe Sachverhalte dargestellt werden, als gäbe es »einfache Lösungen – nur dass die Stadtspitze nicht drauf kommt«. Für jedes Projekt, »das nach vorne rutscht«, müsse ein anderes »hintenanstehen«, mahnte der OB.

Bürgermeister: »Verdammt viel geleistet«

Und weiter: »Manchmal – und so könnte es in Bodersweier geschehen – müssen wir auch bereit sein, auf dem Weg zum Ziel eine gewisse Zeit mit Übergangslösungen zu leben.« Das dies gehe, sei zum Beispiel in Kork beim Umbau des Kindergartens bewiesen worden.  Später widersprach Vetrano der Aussage von Stadtrat Wolfgang Maelger, dass es einen Graben zwischen Verwaltung und Rat gebe: »Ich sehe diese Gräben nicht – im Gegenteil: Die Verwaltung hat versucht umzusetzen, was Sie beschlossen haben«, so der OB.

Baubürgermeister Harald Krapp verwies auf die Vielzahl an Projekten, die die Verwaltung in den fünfeinhalb Jahren seiner Amtszeit umgesetzt habe: »Die Mitarbeiter haben verdammt viel geleistet.« Die Verwaltung sei »überlastet«.

CDU: Fast kommt es zum Eklat 

Richard Schüler, Fraktionsvorsitzender der CDU, kritisierte den OB – sichtlich erregt: »Wo sind denn Ihre Lösungsansätze? Zwei Jahre warten: Ist das die Lösung der Verwaltung?« Der Gemeinderat wolle die Kindergarten-Projekte nicht verschieben, so wie das die Stadtverwaltung vorhat: »Und was machen Sie? Es bleibt dabei, wie Sie es im Haushalt vorgestellt haben.« So könne er als Gemeinderat nicht arbeiten, meinte er verärgert. 

Auch CDU-Stadtrat Karim Said regte sich später bei der Beratung über die Haushaltsposten darüber auf, dass die Verwaltung – mit Hinweis auf die fehlenden personellen Kapazitäten – die Prioritäten setze und nicht der Gemeinderat.
Und ein sichtlich frustrierter Schüler sagte während dieser Diskussion: »Mir wird unwohl. Ich bitte um Verständnis: Ich werde die Sitzung verlassen.« Er blieb dann jedoch bis zum Ende im Gemeinderat.

- Anzeige -

Fraktion Grüne/Frauen/Jugend: "Graben zwischen Verwaltung und Rat"

Wolfgang Maelger, Sprecher der Fraktion Grüne/Frauen/Jugend, meinte: »Es ist jetzt offensichtlich geworden, dass der Graben zwischen Verwaltung und Gemeinderat in Teilen so tief geworden ist, dass wir den in dieser Form nicht überbrücken können.« Er forderte eine Diskussion über »Strukturen«. Diese seien bisher nicht erkennbar. »Wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir Lösungen brauchen.« Maelger weiter: »Manchmal sitze ich hier und weiß nicht, warum ich hier bin.«

Wenn man als verantwortlich gewählte Person nicht mehr wisse, warum man sich einbringe, »dann sind wir nicht mehr an der richtigen Stelle«. Er stelle sich die Frage oft und sage: »Schmeiß doch den ganzen Scheiß hin und bleibe zu Hause.« So wolle er nicht weitermachen. Maelger sprach von »Frust«. Maelger: »Das was wir jetzt tun, ist für die Imagebildung der Stadt echt beschissen.«

SPD: "Verwaltung und Räte sollen sich zusammenraufen"

Werner Müll, Fraktionssprecher der SPD, appellierte an die Stadträte und die Stadtverwaltung, sich »fraktionsübergreifend zusammenzuraufen«. Dann würde es auch Lösungen für das »personelle Kapazitätsproblem« der Verwaltung geben. Wenn sich der Gemeinderat jedoch nicht dem Problem stelle und nach Lösungen suche, »dann werden wir von der Öffentlichkeit grüppchenweise auseinandergenommen«. 

»Wir tun gut daran, uns fraktionsübergreifend nicht so auseinanderdividieren zu lassen, dass es später die ›Guten‹ gibt, die sich dafür einsetzen, dass es schneller geht, und die ›Bösen‹, die sagen: ›Die Verwaltung kann das nicht, also machen wir das später.‹« Manchmal gehe es nur um eine Verschiebung um »zwei oder drei Monate«. Müll betonte abschließend: »Auseinanderdividieren hilft uns nicht weiter.«

Freie Wähler: "Warum tust Du Dir das eigentlich noch an?"

Horst Heitz, Fraktionssprecher der Freien Wähler, meinte, seine Fraktion hätte sich ein Entgegenkommen der Stadtverwaltung gewünscht und »Lösungsansätze« bei solchen Projekten, bei denen die Fraktionen ein Vorziehen auf der Prioritätenliste gefordert hätten. »Das hat uns auch ein bisschen gefuchst«, sagte der Fraktionssprecher. Er, Heitz, habe sich in den vergangenen acht Wochen die Sinnfrage gestellt: »Warum tust Du Dir das eigentlich an?«

»Wir müssten uns jetzt zusammenraufen und eine Vertrauensbasis aufbauen«, sagte Heitz mit Blick auf die Zusammenarbeit von Gemeinderat und Stadterwaltung. Er habe zudem das Gefühl, dass »Ortschaften einfach ein paar Leute hier herpeitschen« und dann meinen, ihr Projekt rücke auf der Prioritätenliste an die oberste Stelle. 
 

 

Mehr zum Thema

Weitere Artikel aus der Kategorie: Kehl

Das Ehepaar wurde festgenommen und in das Konzentrationslager Westerbork eingeliefert.
vor 1 Stunde
Serie Kehler Stolpersteine
In Teil 10 unserer Stolperstein-Serie stellen wir heute Josua und Regina Schwarzkachel vor.
vor 1 Stunde
Ortenau-Check
Schon fast 500 Bürger der Stadt haben am Ortenau-Check der Mittelbadischen Presse teilgenommen.
Porträt / Klaus Körnich, Redaktionsleitung Kehler Zeitung
vor 3 Stunden
Kehl
Kiffen in Kehl, das KEL-Jubiläum und eine kleine Kollision: Das sind einige Themen des heutigen Kehler Stadtgeflüsters von Klaus Körnich.
Rund 30 Schausteller werden in diesem Jahr wieder beim Ostermarkt dabei sein. Neben dem charakteristischen Riesenrad wird es ein Kinderkarussell, Boxautos und viele weitere Fahrgeschäfte geben.
28.03.2024
Osterstimmung in Kehl
Ein farbenfrohes Programm bietet die Kehler Innenstadt an zwei Wochen rund um Ostern. Ein Highlight ist dabei mit Sicherheit der Ostermarkt vom 30. März bis zum 6. April.
Die in Warmhalteboxen verpackten Mahlzeiten werden ins Auto geladen. Unter dem Hauptgericht befindet sich eine erhitzte Metallplatte.
27.03.2024
Serie Senioren in Kehl (11)
Jeden Tag eine warme Mahlzeit frei Haus, das bieten die „Essen auf Rädern“-Dienste an. Wie das Ganze funktioniert, haben wir uns einmal angeschaut.
Erhabene Momente mit Varduhi Toroyan (Sopran), Qetoura Brinkert (Barockoboe) und Antoine Bergossi (Cembalo).
27.03.2024
Kehl
In der Kehler Christuskirche boten studierende Sänger Instrumentalisten des Conservatoire de la musique et de la danse und der Académie Strasbourg ein tolles Konzert mit Barockmusik.
Die Nominierungskandidaten der Freien Wähler Kehl (alphabetisch): Samuel Ackermann, Manuela Boesinger, Carlos De Oliveira Albuquerque, Juksel Dogan, Michael Eisenbeiß, Eva Erhardt, Robert Fautz, Anette Fien, Noor Halitim, Klaus Heidt, Markus Heidt, Horst Heitz, Kieffer Stephan, Markus Kleinhans, Kerstin Köbel, Gisela Kubitschek-Müller, Günter Predhel, Matthias Müll, Markus Murr, Sarah Parafinski-Grün, Kai Reimold, Diana Rupp, Jörg Schwing, Luca Senke, Martina Sommer-Müll und Willi Weißhaar.
27.03.2024
Kehl
"Für die am 9.Juni anstehende Kommunalwahl sind wir bestens vorbereitet", teilen die Freien Wähler Kehl mit, die nun ihre Liste mit Kandidaten für den Gemeinderat bekanntgegeben haben.
Am vergangenen Wochenende präsentierte die Theatergruppe aus Sand die Komödie "Hausarzt gesucht!" 
27.03.2024
Kultur
Die Theatergruppe Sand begeisterte mit neuem Stück: "Hausarzt gesucht!"
Lebensgroße Handpuppen in Tierform erzählten eine charmante Geschichte. 
27.03.2024
Kultur
Ortenauer Puppen-Parade: Ein volles Haus bescherte die charmante Komödie „Sag mal, geht’s noch?“ des Theaters Zitadelle dem Willstätter Bürgersaal.
Gründungsvorsitzende und Initiatorin des Clubs Ilse Teipelke begrüßte die Gäste zu deren Erheiterung als Voltaire verkleidet.
26.03.2024
Kehl
Im Kulturcafé wurde am Sonntag das zehnjährige Bestehen des Clubs Voltaires gefeiert. Zahlreiche Mitglieder erinnerten an die Anfänge der Gründung.
Matto Barfuss tauchte komplett ins Leben einer Gepardenfamilie ein. Seine Dokumentation  "Gepardenmensch" machte den Naturfilmer aus Freistetter berühmt.
26.03.2024
Kehl
Naturfilmer und Künstler Matto Barfuss begeisterte am Samstag im ausverkauften Theater der 2 Ufer mit seiner Multivisionsschau „Wild und weit – 30 Jahre Afrika“ das Publikum.
26.03.2024
Ortenau-Check
Ortenau-Check der Mittelbadischen Presse: In der Stadt am Rhein besteht besonders hohes Umfrageinteresse. Noch bis 20. April kann teilgenommen werden.

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • HYDRO liefert etwa Dreibockheber für die Flugzeugwartung. 
    26.03.2024
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl fustionieren
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl schließen sich zusammen. Mit diesem Schritt befinden sich die Kompetenzen in den Bereichen Ground Support Equipment (GSE) und Aircraft- & Engine Tooling unter einem Dach.
  • Alle Beauty-Dienstleistungen bietet die Kosmetik Lounge in Offenburg unter einem Dach.
    26.03.2024
    Kosmetik Lounge Offenburg: Da steckt alles unter einem Dach
    Mit einer pfiffigen Geschäftsidee lässt Elena Plett in Offenburg aufhorchen. Die staatlich geprüfte Kosmetikerin denkt "outside the box" und hat in ihrer Kosmetik Lounge ein außergewöhnliches Geschäftsmodell gestartet.
  • Konfetti, Flitter und Feuerwerk beschließen die große Preisverleihung im Forum-Kino in Offenburg. Die SHORTS feiern 2024 ihr 25. Jubiläum. 
    26.03.2024
    25 Jahre SHORTS – 25 Jahre Bühne für künftige Filmemacher
    Vom kleinen Screening in 25 Jahren zum gewachsenen Filmfestival: Die SHORTS der Hochschule Offenburg feiern Jubiläum. Von 9. bis 12. April dreht sich im Forum-Kino Offenburg alles um die Werke junger Filmemacher. Am 13. April wird das Jubiläum im "Kesselhaus" gefeiert.
  • Das LIBERTY-Team startet am Mittwoch, 27. März, in die Afterwork-Party-Saison. 2024 finden die Veranstaltungen in Kooperation mit reiff medien statt. 
    22.03.2024
    Businessaustausch jetzt in Kooperation mit reiff medien
    Das Offenburger LIBERTY startet mit Power in die Eventsaison: Am Mittwoch, 27. März, steigt die erste XXL-Afterwork-Party mit einem neuen Kooperationspartner. Das LIBERTY lädt zusammen mit reiff medien zum zwanglosen Feierabend-Businessaustausch ein.