Stadt am Limit? - Vetrano verteidigt »Reißleine«-Strategie
Die Tonlage zwischen Verwaltung und Stadträten verschärft sich: Am Mittwochabend hat es eine heftige Auseinandersetzung im Gemeinderat zwischen mehreren Stadträten und Oberbürgermeister Toni Vetrano gegeben.
»Wir schaffen es nicht«, war eine markante Aussage von OB Toni Vetrano am Mittwochabend im Gemeinderat – zu Beginn der Beratungen zum Doppelhaushalt 2017/18. Der OB nahm dabei Bezug auf seine »Reißleine«-Haushaltsrede vom 19. Dezember. Vetrano bezeichnete es als »hart«, die »Reißleine« ziehen zu müssen, weil dadurch Projekte – zum Beispiel das Radhaus – nicht realisiert werden können und andere aufgeschoben werden müssten. Liebend gerne würde er sagen können: »Ende des Jahres sind alle Kindergärten und Schulen saniert, um- und angebaut. Aber wir schaffen es nicht!« Die städtischen Mitarbeiter würden »bis zum Limit« arbeiten, sagte ihr Chef: »Bevor das System zusammenbricht, weil Ihnen die Mitarbeiter krank werden oder davonlaufen, bleibt nur eine Möglichkeit: Sie müssen die Reißleine ziehen. Genau das habe ich getan.«
OB: "Vorspiegelung falscher Tatsachen"
OB Vetrano: »Wenn – und das sage ich ganz deutlich – Mitglieder aus diesem Gremium oder aus dem Kreise der Ortsvorsteher Bürgerinnen und Bürgern suggerieren: Wir kriegen das schon hin, dann ist das Vorspiegelung falscher Tatsachen.« Er werde es nicht mehr akzeptieren, dass der Gemeinderat Projekte beschließt – im Wissen, dass diese mit den vorhandenen Arbeitskapazitäten nicht umgesetzt werden können, »um dann dem OB und dem Beigeordneten die Verantwortung zuzuschieben. Sollte dies wieder geschehen, werde ich mir diesmal erlauben, die Verantwortlichen, auch in öffentlichen Diskussionen, zu benennen.«
Der OB weiter: »Wenn Sie, meine Damen und Herren, ein Problem mit mir oder mit dem Beigeordneten haben, dann sagen Sie es bitte direkt und ersparen Sie uns doch alle Scheindiskussionen.« Die Besetzung offener Stellen sei nicht einfach, weil die Verwaltung »nicht immer der attraktivste Arbeitgeber« sei. Auf die Fremdvergabe von Aufträgen sei die Verwaltung auch selbst gekommen, allerdings bringe die Begleitung eines »Externen« immer noch »einen erheblichen Arbeitsaufwand mit sich«. Dies alles sei für die Stadträte nichts Neues. Es ärgere ihn, Vetrano, jedoch, »wenn komplexe Sachverhalte dargestellt werden, als gäbe es »einfache Lösungen – nur dass die Stadtspitze nicht drauf kommt«. Für jedes Projekt, »das nach vorne rutscht«, müsse ein anderes »hintenanstehen«, mahnte der OB.
Bürgermeister: »Verdammt viel geleistet«
Und weiter: »Manchmal – und so könnte es in Bodersweier geschehen – müssen wir auch bereit sein, auf dem Weg zum Ziel eine gewisse Zeit mit Übergangslösungen zu leben.« Das dies gehe, sei zum Beispiel in Kork beim Umbau des Kindergartens bewiesen worden. Später widersprach Vetrano der Aussage von Stadtrat Wolfgang Maelger, dass es einen Graben zwischen Verwaltung und Rat gebe: »Ich sehe diese Gräben nicht – im Gegenteil: Die Verwaltung hat versucht umzusetzen, was Sie beschlossen haben«, so der OB.
Baubürgermeister Harald Krapp verwies auf die Vielzahl an Projekten, die die Verwaltung in den fünfeinhalb Jahren seiner Amtszeit umgesetzt habe: »Die Mitarbeiter haben verdammt viel geleistet.« Die Verwaltung sei »überlastet«.
CDU: Fast kommt es zum Eklat
Richard Schüler, Fraktionsvorsitzender der CDU, kritisierte den OB – sichtlich erregt: »Wo sind denn Ihre Lösungsansätze? Zwei Jahre warten: Ist das die Lösung der Verwaltung?« Der Gemeinderat wolle die Kindergarten-Projekte nicht verschieben, so wie das die Stadtverwaltung vorhat: »Und was machen Sie? Es bleibt dabei, wie Sie es im Haushalt vorgestellt haben.« So könne er als Gemeinderat nicht arbeiten, meinte er verärgert.
Auch CDU-Stadtrat Karim Said regte sich später bei der Beratung über die Haushaltsposten darüber auf, dass die Verwaltung – mit Hinweis auf die fehlenden personellen Kapazitäten – die Prioritäten setze und nicht der Gemeinderat.
Und ein sichtlich frustrierter Schüler sagte während dieser Diskussion: »Mir wird unwohl. Ich bitte um Verständnis: Ich werde die Sitzung verlassen.« Er blieb dann jedoch bis zum Ende im Gemeinderat.
Fraktion Grüne/Frauen/Jugend: "Graben zwischen Verwaltung und Rat"
Wolfgang Maelger, Sprecher der Fraktion Grüne/Frauen/Jugend, meinte: »Es ist jetzt offensichtlich geworden, dass der Graben zwischen Verwaltung und Gemeinderat in Teilen so tief geworden ist, dass wir den in dieser Form nicht überbrücken können.« Er forderte eine Diskussion über »Strukturen«. Diese seien bisher nicht erkennbar. »Wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir Lösungen brauchen.« Maelger weiter: »Manchmal sitze ich hier und weiß nicht, warum ich hier bin.«
Wenn man als verantwortlich gewählte Person nicht mehr wisse, warum man sich einbringe, »dann sind wir nicht mehr an der richtigen Stelle«. Er stelle sich die Frage oft und sage: »Schmeiß doch den ganzen Scheiß hin und bleibe zu Hause.« So wolle er nicht weitermachen. Maelger sprach von »Frust«. Maelger: »Das was wir jetzt tun, ist für die Imagebildung der Stadt echt beschissen.«
SPD: "Verwaltung und Räte sollen sich zusammenraufen"
Werner Müll, Fraktionssprecher der SPD, appellierte an die Stadträte und die Stadtverwaltung, sich »fraktionsübergreifend zusammenzuraufen«. Dann würde es auch Lösungen für das »personelle Kapazitätsproblem« der Verwaltung geben. Wenn sich der Gemeinderat jedoch nicht dem Problem stelle und nach Lösungen suche, »dann werden wir von der Öffentlichkeit grüppchenweise auseinandergenommen«.
»Wir tun gut daran, uns fraktionsübergreifend nicht so auseinanderdividieren zu lassen, dass es später die ›Guten‹ gibt, die sich dafür einsetzen, dass es schneller geht, und die ›Bösen‹, die sagen: ›Die Verwaltung kann das nicht, also machen wir das später.‹« Manchmal gehe es nur um eine Verschiebung um »zwei oder drei Monate«. Müll betonte abschließend: »Auseinanderdividieren hilft uns nicht weiter.«
Freie Wähler: "Warum tust Du Dir das eigentlich noch an?"
Horst Heitz, Fraktionssprecher der Freien Wähler, meinte, seine Fraktion hätte sich ein Entgegenkommen der Stadtverwaltung gewünscht und »Lösungsansätze« bei solchen Projekten, bei denen die Fraktionen ein Vorziehen auf der Prioritätenliste gefordert hätten. »Das hat uns auch ein bisschen gefuchst«, sagte der Fraktionssprecher. Er, Heitz, habe sich in den vergangenen acht Wochen die Sinnfrage gestellt: »Warum tust Du Dir das eigentlich an?«
»Wir müssten uns jetzt zusammenraufen und eine Vertrauensbasis aufbauen«, sagte Heitz mit Blick auf die Zusammenarbeit von Gemeinderat und Stadterwaltung. Er habe zudem das Gefühl, dass »Ortschaften einfach ein paar Leute hier herpeitschen« und dann meinen, ihr Projekt rücke auf der Prioritätenliste an die oberste Stelle.