Fazit von Schulleiterin: 100 Tage Gemeinschaftsschule
Das Fazit der Betroffenen nach 100 Tagen Gemeinschaftsschule Hausach-Wolfach fällt sehr positiv aus. Die Schule will die erarbeiteten Konzepte noch weiter optimieren.
Mit diesem Schuljahr, heute vor genau 100 Tagen, ging die Gemeinschaftsschule Hausach-Wolfach mit der ersten Jahrgangsstufe an den Start. Gerechnet hatte man mit etwa 45 Schülern für zwei Klassen.
Tatsächlich sind es nun 77 Schüler, die in drei Klassen auf verschiedenen Niveaus von der Sonderschule bis zum Gymnasium in einer ganz neuen Lernkultur unterrichtet werden. Die 77 Schüler werden allerdings nur in den Nebenfächern in drei Klassen unterrichtet – in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik bilden sie mit insgesamt sechs Lehrern immer wieder neue gemischte Lerngruppen in den drei verschiedenen Niveaus. Zum Kollegium gehören auch Realschul- und Gymnasiallehrer, Sonderpädagogen, Pädagogische Assistenten, Schulbegleiter, Jugendbegleiter, Lehrbeauftragte und Sozialarbeiter.
Diese neue Lernkultur ist mit großem Aufwand verbunden – und wurde anfangs sehr kritisch gesehen. Wir fragten deshalb nun nach 100 Tagen nicht nur die Schulleiterin, sondern auch einen Lehrer, eine Mutter und eine Schülerin, wie sie mit dieser Lernkultur zurechtkommen.
Drei Fragen an . . .
. . . Schulleiterin Simone Giesler:
Wie ist es angelaufen – Ihr Fazit nach 100 Tagen?
Simone Giesler: Wir sind sehr gut gestartet. Der Startschuss für die neue Gemeinschaftsschule war auch für uns sehr spannend, aber die Rückmeldungen von Schülerinnen und Schülern und auch von Eltern bestärken und bestätigen uns. Die gute Vorbereitung und Planung hat sich bewährt. Das Team leistet tolle pädagogische Arbeit. »Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen«...Wir freuen uns schon auf den nächsten Jahrgang!
Gab es Schwierigkeiten, die so nicht vorausgesehen wurden?
Giesler: Schwierigkeiten eher weniger, aber Herausforderungen. Auf die unerwartet hohe Schülerzahl mussten wir schnell reagieren, die Räume ausweiten, die Ausstattung anpassen, was uns letztlich aber auch gelungen ist. Entwicklungsfelder haben wir - wie alle anderen Schularten auch - in Bereichen, die neu auf alle Schularten zugekommen sind. Beispielsweise im Bereich Sprachförderung oder Inklusion, da gilt es vorhandene Konzepte weiterzuentwickeln und zu optimieren, damit jedes Kind in seinen Bedürfnissen bestmöglich gefördert wird.
Was ist besser angelaufen, als erwartet?
Giesler: Ich würde sagen, dass die Kinder sich bestens hier in der Schulgemeinschaft eingelebt haben, sie haben sich schnell mit der neuen Lernkultur vertraut gemacht. Neue Lerninstrumente wie Kompetenzraster, Lernkarten, Lernpläne, Lerntagebuch und Coachinggespräche werden schon ganz selbstverständlich genutzt. Auch die vielfältigen künstlerischen, sportlichen und musikalischen Angebote im Rahmen der Talentförderung unterstützen die Entwicklung der SchülerInnen und bestärken sie in ihrem Selbstwertgefühl. Die Rückmeldung, dass sie sich an unserer Schule wohl fühlen und gerne hier lernen, sagt eigentlich alles.
. . . Lehrer Oliver Lemke:
Es heißt, die Gemeinschaftsschule mache Einzelkämpfer zu Teamworkern und verlange ihnen zeitlich mehr ab – wie beurteilen Sie Ihre neue Arbeitssituation?
Oliver Lemke: Die Arbeitszeit verlagert sich von zu Hause in die Schule – und das mit den Teamworkern stimmt natürlich. Man muss in der Gemeinschaftsschule zusammenarbeiten – damit ergibt sich auch eine Arbeitsteilung. Wir haben für jedes Unterrichtsfach unterschiedliche Teams – für die komplette Stufe, fürs Coaching, und ein Team, das aus den drei Klassenlehrern und der Schulleitung besteht. Die Gemeinschaftsschule steht ja noch am Anfang, und wir Pioniere müssen sicher mehr arbeiten. Ich empfinde meine Arbeitssituation als sehr intensiv, aber ich empfinde das nicht als Mehrbelastung.
Neulich standen wir Lehrer zusammen auf dem Flur, und eine Kollegin stellte fest: »Es sind hier 80 Schüler auf unserem Gang – und man hört sie nicht!« Es ist einfach eine tolle Lernatmosphäre.
Wenn jeder Schüler in jedem Fach in einem anderen Tempo arbeitet, wie behalten Sie als Lehrer da den Überblick?
Lemke: Wir haben genaue Dokumentationen, woran jeder Schüler gerade arbeitet – da kann man auf einen Blick sehen, in welchem Fach der Schüler wie weit ist. Alle zwei Wochen gibt es ein Coachinggespräch von etwa einer Viertelstunde zwischen dem Lerncoach (Lehrer) und dem Schüler. Hier wird geschaut, was der Schüler in den letzten zwei Wochen gearbeitet hat, und es werden gemeinsam die nächsten Schritte geplant. Schüler, die vielleicht noch Schwierigkeiten haben, sich selbst zu organisieren, bekommen hier Hilfe.
Wichtig ist auch die Absprache mit den Kollegen immer freitags nach Unterrichtsschluss: Wie weit sind die Schüler gekommen, was müssen wir nächste Woche an Infos anbieten?
Wie beurteilen Sie das Arbeitsverhalten Ihrer Schüler, wenn es nun keine Noten mehr gibt?
Lemke: Eine Leistungsbeurteilung ist natürlich immer noch vorhanden, über den Lernentwicklungsbericht zum Halbjahr und zum Schuljahrsende. Und nach jeder Lernkarte kommt ein Lernnachweis, gibt es eine Rückmeldung über den prozentualen Lernstand. Da ist auch ein Nichtbestehen möglich, dann muss der Lernnachweis noch einmal wiederholt werden. Zusätzlich gibt es ein Graduierungssystem, mit dem gutes Verhalten mit mehr Freiheit belohnt wird.
. . . Schülerin Emily Knäble
Wie fühlst Du Dich in der Gemeinschaftsschule?
Emily Knäble: Richtig toll, wirklich gut. Vor allem die Lernkarte gefällt mir. Da sieht man, was man noch machen muss und wieviel Zeit man dafür hat.
Viele Erwachsene denken, dass sich Fünftklässler noch nicht so gut selbst organisieren können beim Lernen. Wie funktioniert das bei Dir?
Emily: Ich weiß nicht, wie das bei anderen ist. Bei mir klappt das richtig gut. Ich mag es, wenn ich sehe, was ich noch zu tun habe und teile mir das gern ein.
Wer die Schule noch von früher kennt, denkt, man kann in der Gemeinschaftsschule viel besser faulenzen, wenn man nichts arbeiten will – es gibt ja auch keine Noten. Ist das so?
Emily: Die Lehrer achten da schon drauf, dass jeder Schüler etwas macht. Faulenzen geht nicht. Und das mit den Noten ist nicht so wichtig, man muss ja immer nach einer gewissen Zeit einen Lernnachweis schreiben, und da gibt es ja die Prozentzahlen. Die sagen aus, wieviel man von diesem Thema begriffen hat. Wenn es zu wenig ist, muss man ins Lernatelier. Das sind zusätzliche Stunden für Schüler, die noch Zeit oder Hilfe brauchen. Manche gehen dort freiwillig rein, manche werden auch vom Lehrer geschickt. Dort macht man dann das, was man noch nachholen muss. Wenn ich merke, ich brauche die Zeit, gehe ich auch dort rein.
. . . Mutter Stefanie Tritschler
Hat die Gemeinschaftsschule das gebracht, was Sie sich für Ihr Kind erhofft haben?
Stefanie Tritschler: Nach 100 Tagen kann man vielleicht noch nicht so viel sagen wie nach einem Schuljahr. Aber ich bin sehr zufrieden, das klappt echt gut. Es hat ja geheißen, dass es keine Hausaufgaben gibt, das war für meinen Sohn ein Kriterium. Er hätte auch in die Realschule gehen können, aber dass er in der Gemeinschaftsschule keine Hausaufgaben mehr machen muss, gab den Ausschlag. Sein kleiner Bruder findet das übrigens so toll, dass er auch in die Gemeinschaftsschule will.
Viele Eltern waren skeptisch, ob ihr Kind ohne Noten auch wirklich arbeitet. Wie klappt das?
Tritschler: Das klappt sehr gut. Auf Wunsch gibt es ja noch Noten, wir haben gerade ein Schreiben aus der Schule bekommen, in dem uns das angeboten wird. Aber an der Prozentzahl sieht man sehr gut, wieviel die Kinder erreicht haben, das genügt völlig. Und den Lernnachweis bekommen wir Eltern auch regelmäßig und müssen ihn auch unterschreiben.
Was könnte an der Gemeinschaftsschule noch besser laufen?
Tritschler: Mir fällt da gar nichts ein, wo es noch richtig hakt. Ich habe mir die Kommunikation unter den Lehrern schwierig vorgestellt. Aber soweit ich das beurteilen kann, klappt das auch sehr gut. Nein, mir fällt nichts ein, was noch besser laufen könnte. Mein Sohn fühlt sich sehr wohl in der Schule.