Fahrrad-Lesung des Stadtschreibers im strömenden Regen
Die Leselenz-Stadt Hausach ist immer wieder für eine Überraschung gut. Wie die erste »Fahrrad-Lesung« mit Joachim Zelter. Trotz strömenden Regens radelten mehr als 30 Besucher mit dem Stadtschreiber von Lesung zu Lesung.
Es war wohl eine Mischung aus radfahrenden Literaturfreunden, bücherverliebten Radfahrern und Ski-clubradlern, die mit Joachim Zelter schon unterwegs waren und jetzt miterleben wollen, wie der Typ denn so liest. Der Typ liest klasse. Der liest so, dass man vom Hören seiner Kolumen, die er fürs Offenburger Tageblatt geschrieben hat, dreimal so viel hat wie nur vom Lesen.
Doch von vorn, denn die Stadtschreiberlesung am Sonntagnachmittag musste man sich erst einmal verdienen. Gut 30 Besucher waren mit dem Fahrrad zur Stadthalle gekommen – selbst Leselenz-Leiter José F. A. Oliver ist nach rund zehn Jahren mal wieder aufs Rad gestiegen. Und das Wetter? »Hausach ist ein Fasentstädtle, und die Katzenmusik oder die Elfemess fallen auch nicht aus, wenn’s regnet«, gab Oliver als Losung aus, und ab ging’s feucht-fröhlich zum ersten »Aufstieg« zur »Monika« ins Einbachtal.
Mehr Schriftsteller als Brillengeschäfte
Im Gespräch mit José Oliver verrät Joachim Zelter dort, dass er »eigentlich gar kein sportlicher Mensch« sei, dass er Hausach als »wunderbare Erleichterung des Berufs« erlebe, und dass dagegen Tübingen eine »Wüste der Einsamkeit und ein Dschungel der Schlangengruben« sei. Aber immerhin habe Tübingen mehr Schriftsteller als Brillengeschäfte. »Bleiben Sie doch hier, dann hat Hausach auch mehr Schriftsteller als Brillengeschäfte«, versucht ihn Bürgermeister Manfred Wöhrle abzuwerben.
Mit seiner »Ode an den Matscher«, wie man seine erste gelesene Rad-Kolumne auch überschreiben könnte, gewinnt Joachim Zelter die Herzen der Skiclub-Radler im Sturm. »Matscher« ist Matthäus Schmider, der schon mal 600 Kilometer am Tag mit dem Rad runterspult, jeden Winkel des Schwarzwalds kennt und der, so flachst Oliver, gut als Sportbeauftragter des Hausacher Leselenzes taugen würde.
Die Geister, die man rief . . .
Und dann kommen die Hausacher in den Genuss einer Lesung aus einem Roman, der noch gar nicht erschienen ist – aber, wie könnte es anders sein an diesem Tag – vom Radfahren handelt. Und im übertragenen Sinn vom Mitläufertum, vom Leistungsdruck und darum, wie man es schafft, Menschen ohne Stacheldraht in einem System zu halten.
Der Stadtschreiber liest von Klaus Urspring, der die »mittleres Gruppe« eines Radtreffs leitet und diese zu Höchstleistungen anspornt. Und dann lernte Joachim Zelter hier Matthäus Schmider kennen und fühlte Oscar Wilde bestätigt und dessen Zitat, dass nicht die Literatur ein Abbild der Realität sei, sondern umgekehrt die Realität ein Abbild der Literatur: »Man hat da was geschrieben, und dann kommen die Geister, die man rief . . .«
»Ich suche den Stoff nicht aus, der sucht mich aus«
Joachim Zelter gesteht, dass alles, was er schreibt eigene Obsession ist: »Ich suche den Stoff nicht aus, der sucht mich aus.« Ein Zelter-Buch durchläuft zwei Phasen. Eine ungestüme, in der er drauf los schreibt, und eine kritische Phase der Überarbeitung. In dieser Phase sei er hier in Hausach gerade mit mehreren Werken gewesen.
Mittlerweile regnet es draußen Bindfäden und man beschließt, die zweite Lesung nicht in Gutach-Turm, sondern gleich hier in Einbach anzufügen. Auch dafür hat Zelter eine Passage aus seiner Politsatire »Der Ministerpräsident« herausgesucht, die vom Radfahren handelt – und wie auf dem Rennrad die Rückkehr eines Politikers nach schwerer Erkrankung inszeniert wird.
»Die Würde des Lügens«
Klatschnass kommt die Gruppe dann zur letzten Lesung im Molerhiisle an – um zu sehen, wie so ein Stadtschreiber lebt – und eher nicht, um kleine Pfützen auf seinem Fußboden zu hinterlassen. In der kurzen Lesung aus »Die Würde des Lügens« kommt kein einziges Fahrrad vor. Aber Joachim Zelter erfüllte damit einen Wunsch von José Oliver, für den dieses Buch eines der besten Sittengemäldes der 70er-Jahre ist. Das hätte auch Gisela Scherer gefallen, deren Namen das Stipendium Joachim Zelters trägt. Dass die Veranstaltung nach einer Verschiebung genau auf ihren Namenstag fiel, empfand Oliver als glückliche Fügung.