Hausach

Heimatbesuch aus Bolivien

Claudia Ramsteiner
Lesezeit 5 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
30. August 2014

(Bild 1/2) Erwin Kohmann vor dem Dorfwirtshaus gegenüber dem Friedhof in Hauserbach. Dort ist er aufgewachsen, bis er mit 18 Jahren dem Orden der Franziskaner beitrat. Seit fast 50 Jahren lebt Erwin Kohmann in Südamerika, seit Dienstag ist er im Heimaturlaub. Auch seinen ehemaligen Konvent in Bamberg will er noch besuchen. ©Claudia Ramsteiner

Erwin Kohmann aus Bolivien ist für drei Wochen im Dorfwirtshaus auf Urlaub – und hat unglaublich viel zu erzählen von dem Land, das ihm zur Heimat wurde.

Hausach. Er kommt immer wieder gern zu seiner Schwester Gerda ins Hausacher Dorfwirtshaus. Aber Heimaturlaub trifft es eigentlich nicht mehr richtig, denn seine Heimat ist Vallegrande, etwa 250 Kilometer südlich von Santa Cruz in Bolivien. Fast 50 Jahre lebt Erwin Kohmann in Südamerika, mehr als die Hälfte seines Lebens hat er in Bolivien verbracht und ist heute ehrenamtlicher Präsident seiner  Gemeinde Chilcar – was man bei uns einen Ortsvorsteher nennen würde.
Vor sieben Jahren erzählte der Wahl-Bolivier dem Offenburger Tageblatt, dass im Januar 2006 mit Evo Morales erstmals ein Indio zu Boliviens Staatspräsident gewählt worden war. Er erkannte Tendenzen der Besserung, »aber was 120 Jahre schiefgelaufen ist, kann man nicht in eineinhalb Jahren ändern«, sagte er damals. Jetzt, sieben Jahre später, hört sich der Bericht Erwin Kohmanns wesentlich zuversichtlicher an. Morales, der »einfache Bauer ohne Abitur« habe in diesen Jahren unglaublich viel bewirkt. »Eigentlich hat man jetzt erst gemerkt, wie groß das Ausmaß der Ungerechtigkeit war«, so Kohmann. Morales habe zunächst die Erdöl- und Erdgasförderung nationalisiert. Vorher hätten die Erdölkonzerne 82 Prozent des Gewinns mitgenommen, 18 Prozent blieben in Bolivien. »Die Regierung hat das umgedreht, plötzlich war Geld da – man musste es nur noch nützlich einsetzen«. Das »Petrolium-Geld« fließt
nach einem Schlüssel in die Zentralregierung, die Departe-
mentsregierungen (vergleichbar mit unseren Bundesländern), in die Stadtverwaltungen und in die Universitäten.
Großes Ziel von Evo Morales sei eine Krankenversicherung für alle Bolivianer. Begonnen habe er mit kostenlosen Vorsorgeuntersuchungen für schwangere Frauen, zur Entbindung im Krankenhaus gibt es noch 20 Euro Starthilfe. Es würden Krankenhäuser gebaut, Ärzte ausgebildet – allerdings stoße die Gesundheitsversorgung mangels Personal noch an ihre Grenzen. Etwa 70 Prozent der Bevölkerung hatte keinerlei Altersversicherung. Nun bekomme jeder Bolivianer über 60 Jahre eine Mindestrente von umgerechnet 30 Euro. »Das sichert nicht nur das Überleben, es bringt auch die Wirtschaft in Schwung«, sagt Kohmann.
Parallel dazu wurde das Bildungswesen reformiert. Statt der »Papagaien-Pädagogik« setze die Lehrerausbildung jetzt darauf, Inhalte zu erarbeiten. Die Lehrer würden mit Gehaltserhöhungen zur Weiterbildung animiert. In diesem Jahr erhalten erstmals alle Abiturienten einen Laptop, der bereits mit den wichtigsten Inhalten der Universitäten bestückt ist: »Damit können jetzt auch Arme studieren, die sich bisher das Lehrmaterial nicht leisten konnten«.
Das höre sich jetzt vielleicht fast zu euphorisch an, »trotzdem menschelt es natürlich wie überall«, schmunzelt der 70-Jährige. Dass er aber noch erleben darf, wie in Bolivien die Diskriminierung der Landbevölkerung, der Indios und der Frauen bekämpft wird, wie gegen das Kolonialherrentum und das Patriarchat angegangen wird, das lässt ihn noch lange weitererzählen. Dass er vor gut 20 Jahren die Ordenskutte an den Nagel gehängt hatte, lag nämlich nicht allein daran, dass er heiraten wollte – er störte sich auch daran, dass sich die Katholische Kirche von der Theologie der Befreiung abgewandt hat. Es sei viel wichtiger, sich an den urchristlichen Werten zu orientieren, als alle Menschen katholisch machen zu wollen. »Der argentinische Papst ist da genau der Richtige«, findet er.
Ché Guevara, der in seinem Vallegrande begraben ist und dessen Andenken er hilft aufrecht zu erhalten, ist für ihn einer, der den Glauben praktiziert hat. Mit Gewalt? Kohmann widerspricht. Ché sei leider als Guerilla viel bekannter denn als Staatsmann. »Ich war zu jener Zeit ganz bewusst gewaltfrei – und habe miterlebt, wie die Bauern, die sich bei meinen gewaltfreien Aktionen beteiligt haben, zu Tode gefoltert wurden« zeigt er zumindest Verständnis für einen, der meint, in einem kalten Krieg das Gleichgewicht nur mit Waffen halten zu können. Kohmann ist übrigens gerade dabei, die Lehren von Marx neu zu entdecken.
Auch wenn er kein Missionar mehr ist, wird seine Arbeit noch immer von der Hausacher Pfarrgemeinde unterstützt. Die jüngste Spende verwendete er dafür, einen Gemeindesaal und einen Spielplatz zu bauen sowie für die Unterstützung einer Protestaktion der Behindertenvereinigung, die mit Rollstühlen durchs ganze Land gefahren ist, um auf die Bedürfnisse der Behinderten aufmerksam zu machen.
Bis 30. September wird Erwin Kohmann in Hausach sein.  In dieser Zeit will er auch noch seinen ehemaligen Konvent besuchen, um nach alten Bildern zu forschen. Beweismaterial, das einem Indianerstamm aus Paraguay bei seiner Klage gegen den Staat wegen Völkermords helfen soll. Ein Stammeshäuptling hatte ihm als Ordensbruder einst vorgeworfen, die Christen lebten ihren Glauben nicht, sie seien nur sonntags fromm. Erwin Kohmann versucht, den Glauben und das Leben zu verbinden. Es scheint ihm zu gelingen.
Beim 70er-Klassentreffen im Oktober ist Erwin Kohmann bereits abgereist. Er trifft sich aber heute, Samstag, um 19.30 Uhr in der »Burgschänke« mit seinen Kameraden des Jahrgangs 43/44.

Info

Erwin Kohmann

Schon mit 18 Jahren zog es den jungen Hausacher Werkzeugmacher zum Franziskanerorden mit dem Ziel, Missionar zu werden. Nach einigen Jahren bei den Franziskanern in Bamberg wurde er 1966 in Paraguay eingesetzt, seit 1977 lebt und arbeitet er in Bolivien. Der Liebe wegen legte er die Ordenskluft ab, blieb aber Entwicklungshelfer, baute ein Ausbildungszentrum für Jugendliche auf und suchte als Landwirt nach neuen Praktiken und Produktionsmöglichkeiten für den Lebensunterhalt der Landbevölkerung. Der 70-Jährige hat seine Milchkühe aufgegeben, nicht aber die Landwirtschaft. Er ist noch immer Saatgutproduzent für Kartoffeln, Weizen und Bohnen. Sein Sohn Michael (20) studiert in Deutschland Ökologische Landwirtschaft in Witzenhausen bei Kassel.

Weitere Artikel aus der Kategorie: Kinzigtal

Bürgermeister Martin Aßmuth (rechts) gratulierte den für ihren langjährigen Einsatz geehrten Jubilaren Dominic Ketterer (von links), Andreas Griesser und Kevin Ketterer. 
vor 1 Stunde
Hofstetten
Stolze 130.000 Euro investierte Hofstetten zuletzt in die Feuerwehr. Neben einigen Anschaffungen gibt es auch positive Nachrichten bei der Jugendfeuerwehr. Und es wurden langjährige Aktive um Kommandant Dominic Ketterer geehrt.
Eifrig malten die Kinder beim Familienkonzert im Haslacher Haus der Musik Schlösser für das fehlende Bild der Ausstellung.
vor 4 Stunden
Haslach im Kinzigtal
Anton Andante und Zäzilie Zeitgeist führten beim 18. Familienkonzert im Haslacher Haus der Musik durch Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“.
Die Besucherzahlen unter anderem im Bergwerk "Segen Gottes" sind Thema im Gemeinderat.
vor 6 Stunden
Haslach im Kinzigtal
Der Gemeinderat Haslach trifft sich am Dienstagabend zur öffentlichen Sitzung. Unter anderem werden der Tourismusbericht 2023 und der Wirtschaftsplan der Stadtwerke vorgestellt.
Ein Drittel des Warentauschtags-Erlöses geht an das Freudenstädter Team der Stiftung Eigensinn um Geschäftsführerin Dina Bühler (Vierte von rechts). 
vor 6 Stunden
Haslach im Kinzigtal
Der Haslacher Verein Kiebitz hat die insgesamt 1500 Euro Erlös des Warentauschtags für gute Zwecke gespendet. Der Betrag wurde diesmal unter drei Empfängern aufgeteilt.
Infostände und Vorträge, Ausstellung und Austausch, das alles bot der erste Tag der Biene am Samstag in der Friedrich-Grohe-Halle.
vor 6 Stunden
Schiltach
Die Organisatoren der Veranstaltung in der Schiltacher Grohe-Halle waren zufrieden. Auch Vorträge und Infostände wurden geboten.
Der Hausacher "Liederkranz" in seiner Blüte: 2006 in der Hausacher Stadthalle mit "Carmina Burana". 
vor 13 Stunden
Hausach
Der Gemischte Chor "Liederkranz" in Hausach könnte 2025 sein 150. Vereinsjubiläum feiern. Dazu wird es nicht kommen: Der Verein soll nach emotionaler Diskussion am 17. Mai aufgelöst werden.
Unbekannte sind in der Nacht von Sonntag auf Montag in den Haslacher Kastenkeller eingebrochen und haben dort Geld und einen Computer gestohlen. 
vor 15 Stunden
Haslach im Kinzigtal
Bislang unbekannte Diebe sind vermutlich in der Zeit zwischen 17.15 Uhr am Sonntag und 7 Uhr am Montag in den Haslacher Kastenkeller in der Grieshabergasse 7 eingebrochen.
Adrian Sonder ist ab 2. Juli Oberbürgermeister von Freudenstadt. 
vor 16 Stunden
Kinzigtal
Der Dreikampf um die Nachfolge von Julian Osswald als Oberbürgermeister von Freudenstadt wurde am Sonntag bereits im ersten Wahlgang entschieden: Adrian Sonder heißt der strahlende Sieger.
Übergabe der Zertifizierungsurkunde als Premium-Wanderweg (von links): Christine Schuler, Thomas Geppert, Jochen Becker vom Deutschen Wanderinstitut und Simon Vollmer. 
vor 16 Stunden
Wolfach
Wolfachs zweiter Premium-Wanderweg, der Grenzgänger-Steig, wurde am Samstag am Spitzfelsen offiziell eingeweiht. Dabei gab's viel Lob und das offizielle Siegel des Deutschen Wanderinstituts.
Kinder der Wolftalschule mit Workshopleiter Udo Wenzl.
vor 18 Stunden
Oberwolfach
Die Dritt- und Viertklässler gaben beim Oberwolfacher Jugendforum in der Festhalle am Freitag den Ton an. Sie zeigten auf, was ihnen im Ort gefällt – und was nicht.
Käthe (Ute Landenberger) versucht, ihrem Mann Karl-Eugen (Michael Willkommen) schonend den Verlust des Familienautos beizubringen. Das Lenkrad war das einzige, was davon übrig geblieben ist. 
vor 23 Stunden
Mühlenbach
Ute Landenberger und Michael Willkommen ließen bei ihrer schwäbischen Ehe-Comedy kein Klischee aus und trieben dem Publikum in der Mühlenbacher Gemeindehalle die Lachtränen in die Augen.
Eine gelungene Premiere feierte Musiklehrer Simon Kurz mit der Schul-Big-Band "New Sound" im "Musicafé" des Robert-Gerwig-Gymnasiums. 
vor 23 Stunden
Hausach
Die RGG-Big-Bands "New Sound" und "United Sound" hatten für ihre Jazz-, Rock- Latin- und Funktitel am Freitagabend im Hausacher "Musicafé" ein großes Publikum.

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • Auch das Handwerk zeigt bei der Berufsinfomesse (BIM), was es alles kann. Hier wird beispielsweise präsentiert, wie Pflaster fachmännisch verlegt wird. 
    13.04.2024
    432 Aussteller informieren bei der Berufsinfomesse Offenburg
    Die 23. Berufsinfomesse in der Messe Offenburg-Ortenau wird ein Event der Superlative. Am 19. und 20. April präsentieren 432 Aussteller Schulabsolventen und Fortbildungswilligen einen Querschnitt durch die Ortenauer Berufswelt. Rund 24.000 Besucher werden erwartet.
  • Der Frühling steht vor der Tür und die After-Work-Events starten auf dem Quartiersplatz des Offenburger Rée Carrés.
    12.04.2024
    Ab 8. Mai: Zum After Work ins Rée Carré Offenburg
    In gemütlicher Runde chillen, dazu etwas Leckeres essen und den Tag mit einem Drink ausklingen lassen? Das ist bei den After-Work-Events im Rée Carré in Offenburg möglich. Sie finden von Mai bis Oktober jeweils von 17 bis 21 Uhr auf dem Quartiersplatz statt.
  • Mit der Kraft der Sonne bringt das Unternehmen Richard Neumayer in Hausach den Stahl zum Glühen. Einige der Solarmodule befinden sich auf den Produktionshallen.
    09.04.2024
    Richard Neumayer GmbH als Klimaschutz-Pionier ausgezeichnet
    Das Hausacher Unternehmen Richard Neumayer GmbH wurde erneut für seine richtungsweisende Pionierarbeit für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Die familiengeführte Stahlschmiede ist "Top Innovator 2024".
  • Sie ebnen den Mitarbeitern im Hausacher Unternehmen den Weg zur erfolgreichen Karriere (von links): Linda Siedler (Personal und Controlling), Patrick Müller (Teamleiter Personal), Arthur Mraniov (Pressenführer Schmiede) und Heiko Schnaitter (Leiter Schmiede und Materialzerkleinerung).
    09.04.2024
    Personal entwickelt sich mit ökologischer Transformation
    Als familiengeführtes Unternehmen baut die Richard Neumayer GmbH auf Transparenz, kurze Wege und Nähe zu den Mitarbeitern. Viele Produkthelfer und Quereinsteiger haben es auf diese Weise in verantwortungsvolle Positionen geschafft.