Rückkehr aus Dankbarkeit
Die Musicalproduktionen des Robert-Gerwig-Gymnasiums sind etwas ganz Besonderes. Wer hier in seiner Schulzeit richtig eingetaucht ist, den lassen sie nie mehr los. Und so kehren viele auch lange nach ihrem Abitur alle zwei Jahre zurück, um wieder dabei zu sein – wie Giovanni »Gino« Santo, der im »Kleinen Horrorladen« 1998 Blut leckte und sich später in Hauptrollen der Musicals »Josef« und »Jesus Christ Superstar« in die Herzen des Publikums spielte, ist nun zum zweiten Mal als Profi wieder dabei. Der Theaterpädagoge führt, wie vor zwei Jahren bereits bei »Hair«, die Regie bei »Evita«, das am Freitag Premiere feiert.
Sie haben nach dem Abitur am Robert-Gerwig-Gymnasium Theaterpädagogik studiert und wurden Schauspieler, Theaterpädagoge und Regisseur. Wo arbeiten Sie jetzt?
Giovanni Santo: Ich lebe in Münster und arbeite hier und da in ganz Deutschland, wo ich als Theaterpädagoge oder Regisseur engagiert werde. Die Schauspielerei habe ich hinter mir gelassen, ich habe meinen Platz gefunden. Als Schauspieler ist man für seine Rolle verantwortlich – als Regisseur für das Gesamtkunstwerk. Das ist noch faszinierender.
Kamen Sie durch die Musicalprojekte am Robert-Gerwig-Gymnasium zu Ihrem Beruf?
Santo: Ja, hier wurde der Grundstein gelegt. Als Peter Lohmann mich dezent gezwungen hat, in den Chor zu gehen. Mittlerweile bin ich ihm sehr, sehr dankbar, dass er mir damals gezeigt hat, was ich will. Auch später Reinhardt Bäder. Ihre Arbeit hier war eine ganz wichtige Voraussetzung dafür, dass ich jetzt da stehe, wo ich stehe. Die Aufführungen in Hausach haben mir sehr viel gebracht: Selbstbewusstsein und die Erkenntnis, dass man so einen Beruf ergreifen kann. Künstlerische Berufe haben ja so einen Touch, dass man damit kein Geld verdienen kann und sich ins Unglück stürzt.
Sie raten zum Beruf an und auf der Bühne?
Santo: Ich sehe hier Leute im Chor, die singen und spielen können und die große Lust daran haben. Klar kann der Beruf auch brotlos und unglücklich machen. Aber wenn ich sehe, wie manche jungen Leute hier aufblühen, dann sage ich: Hey, lass das Teil deines Lebens sein. Die sollen das unbedingt weitermachen – es muss ja nicht als Beruf sein. Mit mir sind viele Ehemalige dabei, die einen ganz anderen Beruf ergriffen haben, aber trotzdem alle zwei Jahre hier mitmachen.
Was ist das für ein Gefühl, an die alte Schule zurückzukommen?
Santo: Ein sehr dankbares. Das weiß ich schon seit »Hair«. Ich werde super aufgenommen. Es herrscht eine sehr professionelle Atmosphäre, weil viele Leute sehr viel wollen. So wurde beispielsweise eigens auch für die Tanzchoreografie eine Tanzlehrerin engagiert. Hier muss man nicht den Hund zum Jagen tragen. Wir proben oft bis Mitternacht, und das neben dem Alltag, der Schule und dem Beruf. Da gibt es dann manchmal skurrile Situationen, wo die Schüler kommen, die Pause sei nun schon eine Minute überzogen, ob wir nicht weitermachen könnten. Ich sehe mich hier noch als Schüler, weiß, was ich damals gebraucht habe, und versuche, das zu geben.
Was zu geben?
Santo: Durch Begeisterung und Leidenschaft mitreißen, das funktioniert hier ganz großartig. Und zwar nicht nur beim Chor und den Solisten, auch das Bühnenbildnerteam, die Kostümleute. Das hört sich jetzt fantastisch an, aber es ist so!
»Evita« ist ja als Stoff nicht ganz einfach – wie bringt man das Jugendlichen bei?
Santo: Das war bei der Konzeption ein großes Fragezeichen. Wir sind zu diesem Musical gekommen, weil die Musik einfach toll ist. Sie ist ja auch von Andrew Lloyd Webber, sehr rockig, erinnert etwas an »Jesus Christ Superstar«. Es ist nicht nur das berühmte »Don’t cry for me, Argentina« – da gibt es noch viele fetzige Lieder. Das war mein Zugang zum Stück, da kannte ich die Geschichte noch gar nicht. Wichtig ist, dass der Ansatz nicht nur ist: Wo sind die Jugendlichen, wie kann ich aus ihnen herausarbeiten – sondern auch: Wo sind sie noch nicht und wo können sie neue Dinge über sich und die Welt erfahren.
Das klingt sehr theoretisch – wie gehen Sie da vor?
Santo: Evita war ein Idol, aber auch ein Mensch wie du und ich. Am Anfang stand die Frage: Wie gehen wir mit Idolen um? Wie ist das, wenn ihr Idole anhimmelt? Was hat Evita Menschliches an sich? Den ersten Tag des ersten Probenwochenendes widmen wir ganz der Rollenfindung. Was hat diese Rolle für Ängste und Träume, was hat sie für Geschwister, für Freunde, wie war ihre Kindheit? Am zweiten Tag stehen die Beziehungen der Rollen untereinander im Mittelpunkt. Wir versuchen, das durch Improvisationen zu entwickeln. Ich schicke die Leute in ihrer Rolle in Szenen, die im Stück gar nicht vorkommen. Das ist manchmal fast wie Familienaufstellung. Wir arbeiten mit vielen Subtexten und mit Bildern. Erst am dritten Tag, nach zehn bis zwölf Stunden Arbeit, widmen wir uns dem Stück.
Das hört sich einem riesigen Aufwand an. Wie viele Stunden proben Sie denn?
Santo: Unzählige. »Evita« hat etwa 30 Szenen. Beim ersten Durchspiel widmen wir jeder Szene etwa eine Stunde, dann noch einmal zwei, in denen überprüft wird, ob das, was wir in der ersten Probe gemacht haben, noch stimmt. Die Szene wird zunächst ganz ohne Emotion gelesen – nur um die Information aufzunehmen, was diese Rolle in dieser Szene will. Wenn ich dann sage: Jetzt spielt!, passiert oft noch nicht viel. Aber ich vermittle den Schauspielern: Ihr seid nicht dafür verantwortlich, dass es gut ist. Das ist meine Aufgabe, weil nur ich das von außen sehe. Eure Aufgabe ist es, mir Angebote zu machen. Dann spielen sie.
Wer Sie bei der Probe beobachtet, merkt: Sie arbeiten viel mit Lob?
Santo: Ja, aber nicht nur. Die Darsteller wissen mittlerweile, dass ich nur auf der Sachebene an die Szenen gehe. Die Probenatmosphäre ist zwar schön, aber auf der künstlerischen Ebene knallhart. Wenn ich sage: Danke für dein Angebot, aber es funktioniert so nicht, dann ist das ein professioneller Umgang, dann fühlen sich die Darsteller ernst genommen. Und trotzdem haben wir unendlich viel Spaß miteinander.