Wanderer in den Schlaf »gerauscht«
Harald im Spring aus Schiltach und sein Freund Falk Schrade aus Berlin überqueren die Alpen entlang des Fernwanderwegs E 5. Über ihre Erlebnisse berichtet im Spring exklusiv im Offenburger Tageblatt in einer fünfteiligen Serie. Heute: Von Sonthofen nach Zams.
Ab Sonthofen erwartet uns entlang der »Iller« ein 14 Kilometer langer Hochwasserdamm bis nach Oberstdorf. Das verheerende Hochwasser 2005 ist noch in guter Erinnerung und Informationstafeln erläutern die Zusammenhänge menschlicher Eingriffe in die Natur mit sogenannten »Jahrhunderthochwassern«.
Nach erholsamer Nacht am Christlessee gelangen wir in das Herzstück des E 5 zwischen Oberstdorf – Meran. Nach einer Rast auf der Kemptner Hütte geht es über den Hauptkamm der Allgäuer Alpen zum Mädelejoch (1974 Meter), der Landesgrenze nach Österreich, und weiter zur Unteren Rossgumpen-Alm, wo ein grandioser Wasserfall mit Becken (Gumpe) zum Baden einlädt und uns bei sternenklarer Nacht in den wohlverdienten Schlaf rauscht.
Auf dem Weg ins Lechtal treffen wir auf die mit 200 Meter längste Seilhängebrücke Österreichs. In der Mitte der mit Stahlseilen gespannten 1,20 Meter breiten Brücke schauen wir durch Gitterböden 100 Meter tief hinunter in das Höhenbachtal. Jeder Schritt der sich über die Brücke wagenden Menschen ist zu spüren. Für eine Traglast von 630 Personen zugelassen, bleibt die Brücke bei Sturm und Gewitter gesperrt.
Kommt nicht in Frage
In Holzgau angekommen, werden E 5-Wandergruppen meist durch das Madautal gefahren. Als »echte« Alpenüberquerer kommt das für uns nicht in Frage – auch nicht für Norbert, den wir unterwegs treffen. Gewitterschauer lassen die Waldwege schnell zu Bächen werden und bescheren uns zwei Zwangspausen, die wir im Schutz einer Höhle und auf einem Jägerhochsitz verbringen. Die nächste Hütte, hinter einem anspruchsvollen Klettersteig gelegen, ist vor Sonnenuntergang kaum mehr zu erreichen, zumal ein weiteres Gewitter naht.
Murmeltiere beäugen uns kritisch, als wir uns auf 2200 Metern Höhe zu einem Zeltlager entschließen. Leider hat Norbert nur ein einwandiges Zelt dabei, das vielleicht für den Kinderspielplatz, niemals aber für eine Bergtour geeignet ist. Schon bald steht er durchnässt vor unserem Zelt und bittet um Obdach. Die einzig mögliche Lösung ist klar: Alle Rucksäcke regengeschützt in Norberts Zelt – und wir drei Männer wie die Sardinen in der Büchse in unser Zwei-Mann-Zelt.
Frühstück gegen Obdach
Bereits um 7 Uhr sind alle wieder auf den Beinen, gerade als eine Steinbockherde die nahen Geröllhänge passiert.
Nach Überquerung des Leiterjöchl (2516 Meter) samt Klettersteig spendiert uns Norbert zum Dank für das gewährte Asyl ein üppiges Frühstück im Württemberger Haus, bevor er Richtung Meran weiterzieht. Der Abstieg über das Zammer Loch hinunter nach Zams erfolgt über einen schmalen Steig, der einst für Milchkühe als Weg zur Unter- und Oberlochalm aus dem Fels gesprengt wurde. Beim letzten Auftrieb 1890 musste jedes der 120 Rinder von einem Treiber begleitet werden.
Wir nächtigen auf einem »Märchenwiese« genannten Rastplatz hoch über Zams, sind erst eine Woche unterwegs, und doch kommt es uns vor wie eine Ewigkeit, so viel haben wir bereits gesehen und erlebt.
Einen Bildvortrag zur Reise gibt es am Samstag, 19. September, um 19.30 Uhr im Schenkhaus Schenkenzell. Den dritten Teil der »Alpenüberquerung« lesen Sie am Freitag, 4. September.
Kommerziell
Manche Reiseveranstalter komprimieren ihre »Alpenüberquerung« mit Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel marktgerecht auf sechs Tage. Nur etwa zwei Drittel der auf eigenes Risiko geführten Wanderer kommen am Ziel an. Eine Frau, die vorzeitig ausgestiegen war, meinte: »Ich habe verdammt viele Steine gesehen – aber kaum Berge!« Kommerzielle Interessen verhindern eine Rücksichtnahme auf »schwächere« Gruppenmitglieder, bei Abbruch oder Ausschluss durch den Reiseleiter werden keine Kosten erstattet.