Einblicke ins jüdische Leben
Die Geschichte der Juden in Lahr ist viel älter, als die Gräuel des Dritten Reiches. Auf Einladung des Historischen Vereins Mittelbaden hat die Kulturhistorikerin Juliana Bauer gestern rund 50 Interessierte durch die Stadt geführt.
Der Rundgang begann gestern am Gurs-Mahnmal zur Erinnerung an die deportierten Juden, das sich auf dem Friedrich-Ebert-Platz befindet. Am Ende der Führung, bei der es viele Stolpersteine zu sehen gab, erzählte die Kunst- und Kulturhistorikerin Juliana Bauer, was man über die Juden des Mittelalters in Lahr wisse. Die Westseite des heutigen Marktplatzes war bis 1876 als Judengasse bekannt. Nachdem die Juden im Jahr 1862 Freizügigkeit bezüglich ihres Wohnortes erhielten und per Gesetz gleichgestellt wurden, zogen viele Juden der Umlandgemeinden in die Stadt.
Aber Juden müsse es bereits ab dem frühen 14. Jahrhundert in Lahr gegeben haben. Bauer bemühte dazu das berühmte Bürgerbuch aus dem Jahr 1356, das im Rückblick Juden als »Bürger von Lahr« erwähnte. Warum im Rückblick? Man sei sich heute sicher, dass sich Juden in Lahr zwischen 1330 und 1349 angesiedelt haben. So erwähnt das Bürgerbuch einen Judenbrunnen und eine Judengasse. Die Gasse sei nur so genannt worden, wenn hier mehrere Familien gewohnt hätten.
Die erste Pestwelle, die zwischen 1348 und 1352 Europa erfasste, führte zu den ersten Pogromen gegen Juden. Aufgrund der eigenen Brunnen, ihrer rituellen Hygienevorschriften und aufgrund ihres Erfolgs als Kaufleute und Geldverleiher boten sich die Juden als »willkommene Sündenböcke« an. Das wird auch im Jahr 1349 in Lahr zu einem Pogrom geführt haben. Hier verwies Bauer auf das »Martyrologium des Nürnberger Memorbuches«, das im ausgehenden Mittelalter alle Pogrome soweit bekannt teilweise mit Namen oder der Anzahl der Opfer und den Orten verzeichnete, die es im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gegeben habe.
»Lahr wird hier zweimal erwähnt.« Es ist also sicher, dass es 1349 in Lahr Pogrome gegeben hat. Es wird sich aber hier ähnlich wie in Freiburg und Straßburg verhalten haben, wo die Scheiterhaufen loderten, bevor die Pest mehrere Monate später in Mitteleuropa das erste Mal auftrat. Es habe, dies sei sicher, zu jener Zeit noch keine Verzeichnisse über die Pest und Opfer gegeben. Ein Grund für die Verfolgung könnten Schulden bei Juden gewesen sein. Im Januar hätten die Herrschaften zu Straßburg und Freiburg die Entschuldung gegenüber der Juden beschlossen. Die Pest trat erst im Spätjahr zuerst in Freiburg auf und weitete sich dann in den Norden aus. Die Erwähnung der Juden posthum könne als eine Art Schuldeingeständis gewertet werden.
Etwa 140 Juden in Lahr
Ob es danach zu einem späteren Zeitpunkt Juden in Lahr gegeben habe, sei nicht bekannt. Erst mit der Emanzipation im 19. Jahrhundert entstand wieder eine jüdische Gemeinde in Lahr. Diese war allerdings verhältnismäßig klein. So habe es in Lahr im Gegensatz zur wesentlich größeren Gemeinde in Kippenheim mit Synagoge nur einen Gebetsraum in der Bismarckstraße gegenüber dem Spital gegeben. Um 1900 lebten etwa 140 Juden in Lahr, was einem Prozent der Bevölkerung entsprach.
An einigen der Stolpersteine erinnerten Juliana Bauer und Doris Gerteis vom Historischen Verein an die Schicksale dieser Mitbürger bis zum Ende des Zusammenlebens im Dritten Reich. Nach der Reichspogromnacht wurden die Juden in der Schlossergasse im sogenannten Judenhaus kaserniert. Am 24. Oktober 1940 wurden 21 Juden aus Lahr zunächst ins französische Gurs deportiert. Oft folgte danach der Transport in die Todeslager Auschwitz oder Sobibor. An diese Schicksale erinnern heute die 56 Stolpersteine in Lahr.