Friesenheim bekommt keinen Ortschaftsrat
Die Kerngemeinde Friesenheim bekommt keinen Ortschaftsrat. Das entschied der Gemeinderat mit deutlicher Mehrheit. Über den Vorschlag der Verwaltung, vor dem Beschluss eine Bürgerinfo zu machen, wurde nicht abgestimmt.
Kommt Friesenheim im Vergleich mit den vier Ortsteilen zu kurz? Die Mehrheit im Gemeinderat ist nicht dieser Meinung und stimmte am Montagabend gegen den Antrag der GLU, einen Ortschaftsrat einzurichten. Erst die Bürger an einem Abend zu Wort kommen zu lassen und dann zu entscheiden, dieser Vorschlag der Verwaltung fiel unter den Tisch.
Bereits im Juni 2015 stellte die GLU den Antrag, der aus zwei Forderungen bestand: ein Ortschaftsrat für Friesenheim oder die Auflösung der bestehenden Ortschaftsräte. Dieses heiße Eisen wollte der damalige Bürgermeister Armin Roesner nicht mehr anfassen und überließ es Erik Weide. In den fast anderthalb Jahren »hat das Thema für Diskussionen gesorgt, sicher auch für emotionale«, stellte der neue Rathauschef am Montag fest. Das Interesse an der Sitzung hielt sich jedoch in Grenzen. Etwa eine Handvoll Friesenheimer Bürger war erschienen. Hans Killius übergab eine Liste mit 120 Unterschriften pro Ortschaftsrat (die Kerngemeinde hat rund 5500 Einwohner).
»Chancengleichheit herstellen«
Dietmar Kairies (GLU, Friesenheim) begründete den Antrag. Über 40 Jahre liegen die Eingliederungsverträge zurück. »Die Ortsteile haben davon profitiert.« Ein »Ende der Ortschaftsverfassung« sei nicht festgelegt worden, »was viele Bürger und ich als einen großen Fehler ansehen«. Die Auflösung der Ortschaftsräte können nur sie selber bestimmen, womit »kaum zu rechnen« sei. »Da ich nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag warten will, habe ich den Antrag gestellt«, so Kairies weiter. »Chancengleichheit« will er durch einen Ortschaftsrat Friesenheim herstellen. Er kann zum Beispiel »Vorschläge für den Haushalt unterbreiten. Für Friesenheim macht das ausschließlich die Verwaltung.« Kurz: »Friesenheim steht schlechter da.«
Weide und die Verwaltung regten eine »Einwohner-Versammlung« an. Danach könnte »zeitnah« der Gemeinderat über das Thema Ortschaftsrat abstimmen.
Dann begann das Hauen und Stechen. Charlotte Schubnell (CDU, Friesenheim) legte als Erste los. Benachteiligungen seien nicht erkennbar – siehe beispielsweise »Neues Ortszentrum« oder Sanierung Adler-/Kronenstraße. Auch die Kosten – geschätzt 100 000 Euro – sprechen gegen einen Ortschaftsrat. Bürgermeister und Gemeinderat vertreten die Kerngemeinde gut. »Das Rad soll nicht rückwärts, sondern vorwärts gedreht werden. Wollen wir noch mehr Verwaltung, noch mehr Bürokratie?!« Weide sah das ähnlich: »Der Gemeinderat ist für den Kernort zuständig. Ich bin jeden Tag in Friesenheim unterwegs, in den Ortsteilen nicht.«
Ewald Schaubrenner (CDU, Oberschopfheim) blickte zurück: Viele Politiker-Generationen haben in über 40 Jahren versucht, aus fünf Orten eine Einheit zu bilden. »Sie haben gelernt über den Tellerrand zu schauen. Diese Männer und Frauen haben Großes geleistet. Viele Millionen wurden für den Kernort ausgegeben. Hier ist der Mittelpunkt der Gemeinde.«
Peter Zimmermann (Freie Wähler, Heiligenzell) fand: »Von den Friesenheimern ist keine große Begeisterung für einen Ortschaftsrat zu erkennen.« Der Bürgermeister sei immer der Ortsvorsteher der Kerngemeinde gewesen. Durch einen Ortschaftsrat würden »Doppelstrukturen« geschaffen. Markus Rottler (SPD, Friesenheim) entgegnete: »Es geht im Ortschaftsrat nicht um Macht oder Befugnis, sondern darum, sich zu identifizieren.«
»Gräben aufreißen«
»Jeder Gemeinderat kann etwas in den Haushalt einbringen. Das hat immer funktioniert«, meinte Julius Haas (CDU, Oberweier). Eine Bürgerinfo bringe nichts: »Die, die ihren Standpunkt haben, bleiben dabei.« Martin Althauser (Freie Wähler, Friesenheim, sprach auch für Christian Erb) hielt dagegen: »Hier wird versucht, das Thema zu beerdigen, indem man darüber abstimmt ohne die Bürger zu hören.« Kairies bekräftigte: »Alle, die ihre Unterschrift auf die Liste gesetzt haben, würden sich an der Nase herumgeführt fühlen.« Michael Jäckle (CDU, Oberschopfheim) widersprach: »Wenn wir in die Bürgerinfo reingehen, werden Gräben aufgerissen.«
Alle Argumente schienen ausgetauscht, das Diskutieren endete nicht – bis Richard Haas (Freie Wähler, Oberweier) einen sogenannten Antrag zur Geschäftsordnung stellte. Er forderte, über den GLU-Antrag abzustimmen – und das musste auch getan werden. Beim Thema Ortschaftsrat Friesenheim waren sieben Gemeinderäte dafür, 16 dagegen, zwei enthielten sich. Beim Thema Abschaffung Ortschaftsräte waren sechs dafür, 18 dagegen und einer enthielt sich.
Chance vergeben
Wird Friesenheim benachteiligt? Realistisch gesehen: Nein. Was aber im Gegensatz zu den Ortsteilen fehlt, ist das große Wir-Gefühl. Das ist am mangelnden Rückhalt für Vereine zu sehen. Das zeigt die Beteiligung bei den Wahlen, die in Friesenheim stets am niedrigsten ist. Hätte ein Ortschaftsrat etwas daran geändert? Eine sichere Antwort auf so eine Frage kann es erst geben, wenn das Experiment gewagt worden wäre. Ein erster Fingerzeig, in welche Richtung Volkes Wille geht, hätte eine Bürgerinfo sein können. Ein großes Interesse hätte signalisiert, dass die Friesenheimer mehr Wir wollen. Danach hätte der Gemeinderat immer noch entscheiden können. Aber diese Chance wurde vertan.
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Stimmen aus der Diskussion
»Die Landesregierung wünscht sich eine stärkere Bürgerbeteiligung. Wenn wir die abwürgen, würden wir das ad absurdum führen.«
Dietmar Kairies, GLU, Friesenheim
»Der Kernort war nie benachteiligt. Das ist die rationale Seite, aber Politik ist auch Emotionalität. Und ja, die Friesenheimer fühlen sich benachteiligt.«
Fred Kletzin, SPD, Heiligenzell
»Ich finde es schade, dass das Ortsteildenken noch nicht aus den Köpfen von allen Friesenheimer Gemeinderäten verschwunden ist.«
Ewald Schaubrenner, CDU, Oberschopfheim
»Sie, Herr Bürgermeister, sind nur eine Stimme im Gemeinderat. Es ehrt Sie, wenn Sie eine Bürgerinfo wollen, aber auch Ihnen sind Grenzen gesetzt.«
Julius Haas, CDU, Oberweier