Graffiti-Projekt für das Asylbewerberheim
Jahrzehntelang ist Graffiti als Verunstaltung von Flächen betrachtet worden, heute werden Spray-Künstler sogar von öffentlicher Stelle beauftragt. Gestern startete ein Projekt am Asylbewerberheim in der Geroldsecker Vorstadt.
Es ist früh am Morgen in der Geroldsecker Vorstadt. Stéphane Helbert, elsässischer Graffiti-Künstler, schüttelt eine Dose Farbspray, setzt sie, peilt, drückt den kleinen Knopf auf der Dose und beginnt zu sprühen. Mit Silbergrau beginnt er ein Wort von hinten nach vorne zu schreiben, das er mit Schwarz etwas versetzt noch einmal nachzieht. »Integration« steht jetzt da auf der Wand genau neben dem Eingang zum Asylbewerberheim. Danach zieht er scheinbar wahllos Wellenlinien über die gesamte Mauerlänge.
Anders als noch vor vielen Jahren gibt es heute keinen Bürgerprotest und auch keine Polizei, vor der Helbert die Flucht ergreifen müsste. Im Gegenteil: Landrat Frank Scherer, Lahrs Baubürgermeister Tilman Petters und sogar der Gebäudemanager des Landratsamts stehen daneben und beobachten den Künstler interessiert. Schließlich handelt dieser in öffentlichem Auftrag. So etwas hätte es früher nicht gegeben.
»Tolerance«, »Freedom«, »Future« und »Peace« sowie »One nation under a groove«, »Integration« und »Inspiration« – diese Schlagworte bilden das Grundgerüst, aus dem die farbigen, harmonischen Wellenlinien entspringen beziehungsweise sich vereinen.
Der aus Straßburg stammende Crossover-Künstler Helbert mit dem Künstlernamen »Antistatik« erläuterte dazu: »Dieses Geflecht stellen wir mit Hilfe verschiedenfarbiger Linien dar. Jede Linie beginnt mit einem der Schlagworte Toleranz, Frieden, Zukunft und Freiheit, jede Farbe steht für eine andere Länderflagge: Gemeinsam bilden sie ein starkes, harmonisches Geflecht und münden zum Schluss in einem solidarischen Gefüge – in einer Gemeinschaft wie im Song ›One nation under a groove‹, ein musikalischer Meilenstein des Sängers George Clinton aus dem Jahr 1978. Der Song thematisiert die Grenzen in der Gesellschaft, die andere Menschen aus dieser ausschließen, und ruft zu Gemeinschaft, Unabhängigkeit und Freiheit auf.«
»Wir haben versucht, gemeinsam Konzepte zu erarbeiten und sind nach der Idee eines Geflechts auf die zeitlosen, harmonischen und doch dynamischen Wellenlinien gekommen«, fasst Jürgen Feuerstein zusammen. Er ist Chef des gleichnamigen Lahrer Unternehmens und mit der Marke »Molotow« Weltmarktführer für Graffiti-Bedarf.
»Die Flüchtlinge, die bei uns Zuflucht suchen, sollen sich, wenn vielleicht auch nicht daheim, so doch wenigstens wohl fühlen und optimal integriert werden können«, betonte Landrat Frank Scherer gestern Morgen bei der Vorstellung des Graffiti-Projekts.
Scherer weiter: »Das haben wir hier in Lahr mit der umfassenden Sanierung der beiden Gebäude bereits erreicht. Das Graffiti ist nun das i-Tüpfelchen, das der Unterkunft auch von außen eine freundlichere Ansicht gibt. Das Thema des Graffitis ›Integration – Inspiration‹ interpretiere ich in zwei Richtungen: Wir brauchen viel Inspiration, damit Integration gelingt. Gelingt uns aber Integration, dann inspiriert sie uns zu mehr Vielfalt und Buntheit, was unserer Gesellschaft gut tut.«
Auch Lahrs Baubürgermeister Tilman Petters zeigt sich begeistert: »Obwohl es so aussieht, als ob es jeder könnte, braucht es in beiden Fällen, also der Integration und dem Gestalten der Mauer, das passende Werkzeug, viel Arbeit und Feingefühl.«
Vorausgesetzt das Wetter hält, soll das Kunstwerk auf der 80 Meter langen Mauer noch in dieser Woche fertig werden. Die Bewohner der Asylunterkünfte werden mit kleineren Auffüllarbeiten und an der Verschönerung der Mauer-Innenseiten beteiligt.