Unter einem Dach mit den Lebach-Mördern
Die Täter lieferten Schlagzeilen – ein Urteil hatte große Auswirkungen auf die Medienbranche. Die Täter der Bluttat in Lebach 1969 wohnten danach einige Tage bei einer Frau, die heute in Nonnenweier lebt.
Eines der größten Gewaltverbrechen der Nachkriegszeit – so wurde der Soldatenmord von Lebach 1969 ziemlich schnell in der Presse genannt. Zwei Männer töteten am 20. Januar drei Soldaten und klauten Patronen, Pistolen und Gewehre. Die 86-jährige Selma S.*, die heute im Feierabendhaus in Nonnenweier wohnt, beherbergte damals die Täter unter ihrem Dach – ohne etwas zu wissen natürlich. 40 Jahre betrieb sie mit ihrem Mann unter anderem die Café-Pension »Ellbach« in Baiersbronn-Mitteltal.
Kurz vor Ostern 1969 mieteten sich bei ihr zwei junge Männer ein, die sich als Studenten ausgaben. Mit Blick auf ihr ungewöhnliches Verhalten und überhaupt ihr gesamtes Benehmen gewann die Pensionswirtin auch bald den Eindruck, dass es sich um ein homosexuelles Paar handeln müsse, was um diese Zeit noch nach Paragraph 175 Strafgesetzbuch strafbar war. Die Bezeichnung für die Betroffenen war im Volksmund damals daher 175er, was auch im vorliegenden Fall so ausgedrückt wurde.
Bald fiel ihrer gesamten Familie jedoch auf, dass sich die beiden jungen Männer auch sonst sehr merkwürdig benahmen. Auffällig waren dabei ihre langen Abwesenheiten und die Vermeidung jeglicher Kontakte. Sie waren unter anderem zu keinem Gespräch bereit und beantworteten auch keine Fragen. »Andererseits hatten wir oft Gäste, die sich zurückgezogen benahmen«, sagt Frau S. im Gespräch mit dem Lahrer Anzeiger.
Ihr damals 13-jähriger Sohn jedoch machte sich so seine Gedanken. Der Soldatenmord war immer noch in den Medien präsent. »Und wenn die beiden die Mörder sind?«, meinte er zu seiner Mutter. »Ich habe ihm geantwortet: ›Du liest zu viele Abenteuergeschichten‹«, erinnert sich Frau S. Hätte sie anders reagiert, wäre sie um 60 000 Mark reicher gewesen – so hoch war die Prämie für die Ergreifung der Täter.
Der Sohn war es auch, der die Männer vor ihrer Abreise mit zwei besonders schweren Säcken zu ihrem Auto gehen sah. Heute weiß man, dass sich darin unter anderem die bei dem Überfall erbeuteten 1000 Schuss Gewehr-, 50 Schuss Pistolenmunition, zwei Pistolen P 1 und drei Gewehre G 3 befunden haben.
Am Dienstag nach Ostern, am 8. April 1969, hatten die anderen Ostergäste die Pension verlassen, und der Mann von Frau S. war auf Reisen, sodass sie mit den beiden angeblichen Studenten allein im Haus war. Erst am Donnerstag kam ihr Mann zurück und bemerkte einen benzinähnlichen Geruch im Haus. Auch hier stellte sich später heraus, dass es sich dabei wohl um Waffenöl handelte, mit dem die Täter die Waffen gereinigt haben.
Am Samstag, 12. April 1969, reisten die Täter ab und bekamen eine Rechnung, die sie – wie alle Speisen und Getränke – bar bezahlten. Aufgrund dieser Rechnung, die man später bei der Durchsuchung ihrer Wohnung und Sachen fand, standen nach der Ermittlung der Täter plötzlich Beamte des Bundeskriminalamtes vor der Tür der Pension, um Auskünfte über den Aufenthalt der beiden in dem Hause einzuholen. Bei der Durchsuchung der Räume fanden sie unter anderem einen Zettel, auf dem die Telefonnummer des Büros der Kaiserin Soraya stand. Wie sich herausstellte, hatte sich der Täter Ditz bei der Wahrsagerin »Buchela«, deren Hinweis zur Ergreifung der Täter führte, mehrmals als Privatsekretär von Soraya ausgegeben.
Auf die Frage »Was haben denn die beiden getan?« bekam Frau S. die Antwort: »Schalten Sie heute Nachmittag das Radio ein.« Damit war jedoch die Geschichte für die Pensionswirtin noch nicht zu Ende. In den nächsten Tagen melden sich Reporter von Illustrierten und Zeitungen wie zum Beispiel »Die Bunte«, »Stern« und »Bild« – telefonisch oder sie kamen einfach vorbei. Frau S. erzählte freimütig ihre Geschichte, ohne zu wissen, dass ihr dadurch zum zweiten Mal eine Chance für eine entsprechende Prämie entgangen war. Sie hätte Geld verlangen können für die Informationen. »Aber das wusste ich nicht«, bekennt sie.
Eine ganze Woche lang belagerte das ZDF ihr Haus, weil sie einen Film unter anderem über den Aufenthalt der Täter drehten. »Es war alles sehr aufregend«, erinnert sich Frau S. »Trotzdem waren wir froh, als alles rum war und wir endlich wieder ein normales Leben führen konnten.«
*Auf Wunsch der Betroffenen wird nicht ihr voller Name genannt und auch kein Foto veröffentlicht.
ZDF-Film
Der ZDF-Film zu dem Lebach-Fall kam nie ins Fernsehen. Die Täter klagten dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht – mit Erfolg. Das Grundsatzurteil ging als Lebach-Urteil in die Rechtsgeschichte ein und bewirkt, dass bis heute in deutschen Medien Namen und Gesichter von Strafgefangenen mit Rücksicht auf eine Resozialisierung unkenntlich gemacht werden müssen.
Der Lebach-Fall und seine Aufklärung
Am Sonntag, 20. Januar 1969, überfielen gegen 2 Uhr Hans-Jürgen Fuchs und Wolfgang Ditz die Wachstation des Fallschirmjägerbataillons 261 in Lebach (Saarland), töteten drei der fünf Wachsoldaten im Schlaf und verletzten zwei schwer, einer starb wenig später. Außerdem entwendeten sie 1000 Gewehrpatronen, 50 Schuss Pistolenmunition, zwei Pistolen P 1 und drei Gewehre G 3. Nach der größten Fahndungsaktion der Nachkriegszeit wurden die Täter ermittelt. Es handelte sich um drei homosexuelle Männer aus Landau in der Pfalz, die sich durch Erpressung Geld beschaffen und damit ins Ausland gehen wollten. Dazu brauchten sie die Waffen, und dazu hatten sie das Wachbuch mitgenommen und Seiten davon ihren Erpresserbriefen angehängt. Nach einem in der Fernsehsendung »Aktenzeichen XY ungelöst« ausgestrahlten Aufruf wurden sie auf Grund eines Hinweises der Wahrsagerin »Buchela« ermittelt, die von den Tätern mehrfach aufgesucht worden war. Am 7. August 1970 verurteilte das Saarbrücker Landgericht die beiden Haupttäter zu zweimal lebenslänglich und einen Mittäter zu sechs Jahren Freiheitsstrafe.