Wahl ab 16 – nicht alle sind reif genug
Das ist neu im Land: Bei den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg zählen erstmals auch die Stimmen der 16- und 17-Jährigen. Rund 200 000 junge Menschen können am 25. Mai ihre Kreuzchen machen, 285 davon in Friesenheim. Aber wollen sie das überhaupt? Der Lahrer Anzeiger diskutierte mit fünf Jugendlichen über das Thema »Wahl ab 16«. Der Kommunalpolitik Gesicht und Stimme in der Runde gab Gerhard Homberg (69), der seit 43 Jahren im Gemeinderat sitzt und der einen 16-jährigen Sohn hat.
Nachdem diese Woche die Wahlbenachrichtigungen in Friesenheim verschickt wurden, müsste nun allen 16- und 17-Jährigen klar sein: Sie dürfen am 25. Mai zum ersten Mal mitentscheiden, wer in Ortschaftsräte, Gemeinderat und Kreistag einzieht. Das Wissen um alles, was mit den Kommunalwahlen zusammenhängt, scheint bislang allerdings gering zu sein. Das ist zumindest der erste Eindruck, der bei der Gesprächsrunde des Lahrer Anzeigers entsteht. Moderator Frank Hansmann diskutierte in der Werkreal- und Realschule Friesenheim mit Niklas Gohr (17), David Kümmeth, Elena Uhl, Adrian Wolff und Serkan Yildiz (alle 16) über »Wahl mit 16«. Mit am Tisch saß Gerhard Homberg (69, CDU), der sich nach 43 Jahren aus dem Gemeinderat Friesenheim verabschiedet.
Auch Homberg hat bei seinem 16-jährigen Sohn die Erfahrung gemacht: »Er hat sich noch nicht in dem Maß mit den Kommunalwahlen beschäftigt, wie ich mir das wünschen würde. Aber er will zur Podiumsdiskussion mit Lahrer und Friesenheimer Gemeinderäten am 7. Mai ins MPG Lahr gehen.« Unterstrichen wird das vermeintliche Desinteresse durch die Einschätzung der fünf Jugendlichen, wie viele ihrer Altersgenossen ihr Wahlrecht nutzen werden. »Weniger als die Hälfte«, meint David Kümmeth. »30, 40 Prozent«, glaubt Niklas Gohr. »Wenn überhaupt«, sagt Elena Uhl.
Bevor nun die Erwachsenen über die Politikverdrossenheit der Jugend jammern, sollten sie sich erst einmal an die eigene Nase fassen. Bei den Kommunalwahlen 2004 und 2009 in Friesenheim traten gerade knapp über 50 Prozent der volljährigen Wahlberechtigten den Gang zur Urne an. Dabei wird im Gemeinderat und den Ortschaftsräten bestimmt, wo es in der Kommune langgeht. Auch die Politiker selber taugen nicht immer als Vorbild. »Als ich neulich auf n-tv einen Bericht über den Bundestag sah, war ich enttäuscht. Da war nur die Hälfte da und Frau Merkel spielte mit dem Handy«, sagt Niklas Gohr.
Das Wichtigste aber ist: Die Politiker scheinen nicht zu wissen, wie die Jugendlichen ticken. Auf die Frage, wo sie sich ihre Informationen über die Kommunalwahlen herholen, antworten alle fünf: »Aus dem Internet.« Und genau da haben sie, als sie sich auf die Diskussion vorbereiten wollten, wenig bis gar nichts gefunden. Klar, einzelne Parteien und Listen aus Friesenheim sind im Netz, mehr oder weniger ausführlich. Aber dazu müssten die jungen Leute erst wissen, wer alles antritt. Das bedeutet: suchen, langwierig herumklicken. So funktioniert das junge Hirn nicht. »Wenn die Politiker uns wirklich ansprechen wollen, dann sollte es eine Internetseite geben, auf der alles erklärt wird«, sagt Elena Uhl. »Und es sollten verständliche Texte sein«, ergänzt Serkan Yildiz. Facebook muss es gar nicht mal sein. »Das ist voll mit Müll«, meint Niklas Gohr. »Da geht das unter.«
Und wie sieht es mit der »erwachsenen« Art der Informationsbeschaffung aus? Den Flyern der Parteien und Listen, die demnächst in den Briefkästen landen werden? Die wollen sich die Jugendlichen durchlesen. »Ich will schauen, was die für eine Meinung haben, wie sich die Kandidaten präsentieren, ob sie sympathisch sind«, sagt David Kümmeth. »Wenn man rein nach dem Aussehen wählt, macht das aber keinen Sinn«, schränkt Adrian Wolff ein. »Wenn jemand für Jugendthemen ist, dann wähle ich den schon.« Dem stimmen die anderen zu. Jugendthemen sind auch wichtiger als das Alter der Kandidaten. Ob 26 oder 56 – »nur jemand zu wählen, weil er jung ist, macht keinen Sinn«, sagt Elena Uhl.
Homberg empfand das vor 43 Jahren anders: »Als ich 1971 in den Gemeinderat kam, war ich 26. Alle anderen waren ab 40 aufwärts. Mein junges Alter war mit ausschlaggebend, dass ich gewählt wurde.« Damals galt die Wahl ab 21. Dass jetzt die Grenze bei 16 ist, ist für ihn richtig: »Heutzutage wird in der Schule mehr Wert auf politische Bildung gelegt. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Schüler reifer sind und zur Wahl gehen können.« Das sehen die Jugendlichen am Tisch anders. »Bei uns in der Klasse sind viele Jungs unreif. Die interessiert das überhaupt nicht«, sagt Niklas Gohr. »Die Mädchen sind weiter. Vielleicht liegt das auch an der Erziehung.« »Die, die wissen, was geht, sollen wählen und die, die einfach nur irgendwas ankreuzen, die sollen es lassen«, sagt Serkan Yildiz.
Er selber darf, überraschend für ihn und die anderen, nicht wählen, weil er einen türkischen Pass hat und damit kein EU-Bürger ist. Dabei ist er ein engagierter junger Mann. Er ist in der Schülermitverwaltung aktiv und kämpft in Schuttern für ein Jugendbüro: »Wir brauchen mehr als den Raum, der donnerstags von 18 bis 22 Uhr auf ist. Wir wollen mittags, abends und am Wochenende hingehen, und wir wollen Angebote wie in Friesenheim.« Derzeit sammeln er und seine Mitstreiter Unterschriften, die dem Gemeinderat übergeben werden sollen. Und so jemand darf nicht wählen? »Das ist nicht gerecht«, findet David Kümmeth. Serkan Yildiz juckt das weniger: »Ich finde das nicht schlimm. Außer mir kenne ich niemand, der einen türkischen Pass hat.«
Ob es ihm nach der Abgabe der Unterschriften schnell genug gehen wird, bis in puncto Jugendangebot in Schuttern eine Entscheidung fällt? Langsam mahlen die politischen Mühlen, oft zu langsam für die Jugend, meint Hans Lögler, der als Schulleiter die Heranwachsenden und als ehemaliger Gemeinderat (1984 bis 2011) die Kommunalpolitik kennt: »Jugendliche mit 14 sind anders als mit 16. Die Geduld ist nicht so vorhanden.« Elena Uhl stimmt ihm zu: »Wir sollen uns jetzt für etwas engagieren, von dem wir später nichts haben? Das ist ein Widerspruch.« Aber sicher kein Desinteresse an Politik. Das ist schlicht und ergreifend Frust.