Zwei Offenburger besteigen Eiger-Nordwand
Ein echtes »Ausdauertier« und ein Schüler haben es gemeinsam geschafft: Martin Siefermann (28) und Florian Zink (18) haben im Frühjahr als erste Mitglieder des Alpenvereins Offenburg die Eiger-Nordwand bezwungen – und das ziemlich spontan. Eindrücklich berichten sie von ihrem Aufstieg an dem legendären Berg. Sie mussten mit einigen Schwierigkeiten kämpfen – und sich stets aufeinander verlassen können.
Die Eiger-Nordwand ist für jeden Alpinisten ein Lebensziel. Doch schon vor dem Abitur diesen Gipfel zu besteigen, ist etwas ganz Besonderes. »18 Jahre ist relativ jung für so eine Tour«, sagt Martin Siefermann über seinen Bergkameraden Florian Zink. Der Grund ist nicht nur die Kondition, sondern die Logistik: Zu den Füßen der interessanten Gipfel kann man nur kommen, wenn man ein Auto hat oder den Transport bezahlen kann. »Generell kommen Jugendliche nur dann zum Bergsport, wenn die Eltern das auch schon machen.«
Der Plan: Florian und Martin kennen sich vom Alpenverein Offenburg, sind seit zwei Jahren öfter zusammen auf Bergtour. Florian Zink ist zum Zeitpunkt der Tour noch Schüler, hat diesen Sommer sein Abitur am Schillergymnasium gemacht. Außerdem ist er ein extrem guter Bergsportler: Er ist Kandidat für den Exped-Kader, das ist die Nationalmannschaft für den Bergsport. Martin Siefermann, von Beruf Maschinenbautechniker, kommt aus dem Mountainbike-Sport. »Vor Jahren schon habe ich mit dem Alpenverein schöne Touren gemacht«, berichtet er. »Ein paar Wochen vor der Eiger-Tour war ich in Chamonix. Da waren einige Wände von ähnlicher Schwierigkeit.«
Zu diesem Zeitpunkt erfuhren die beiden, dass an der Eiger-Nordwand gute Verhältnisse herrschen würden: guter Trittschnee und genügend Eis. So entstand der kühne Plan ziemlich spontan einige Wochen zuvor. 1800 Meter Wandhöhe waren zu bezwingen. Die beiden hatten sich die »Heckmair-Route« vorgenommen, benannt nach einem bekannten Bergsteiger. Sie umfasst knapp vier Kilometer Kletterstrecke – dank der vielen Querungen. Geschichtlich ist dies wohl die berühmteste Nordwand der Alpen, und sie ist nicht einfach zu durchsteigen.
Die Ausrüstung: Beim Packen galt es möglichst jedes Gramm zu sparen: In den Rucksack kamen Isomatte, Daunenjacke und warmer Daunenschlafsack, Ersatzhandschuhe, Handy, Stirnlampe, ein Liter Wasser, Kocher und Essen. Die Kletterausrüstung bestand aus Seil, Klettergurt, Helm, sechs Expressschlingen, einem Satz Keile, fünf Friends (mechanische Klemmgeräte), sechs Eisschrauben, Sicherungsgerät und einzelnen Karabinern – alles in allem circa zehn Kilogramm. Dazu kamen noch Eispickel. »Die trägt man um den Hals, damit man die Hände frei hat«, erklärt Siefermann. Sie hatten sich bei Profis nach dem nötigen Equipment erkundigt. »Letztlich war es etwas zu viel«, geben sie zu. »Aber besser zu viel als zu wenig.«
Das Training: Das ganze Jahr über üben sich die beiden im Klettern, Bouldern, auf Skitouren, Hochtouren, im Eisklettern und in Nordwänden. Angefangen hat es in Zermatt mit einer Besteigung des Matterhorns (Hörnligrat), dann ging es in Chamonix den Frendopfeiler hinauf, am Tag danach das Cheré Couloir, und zwei Wochen vor dem Eiger erlebten die beiden drei spannende Eisklettertage auf der Nordseite der Aiguille Vert.
Die Eiger-Tour: Um 4 Uhr ging es zu Hause los. Drei Stunden später kamen die beiden in Grindelwald an, kurz darauf fuhr die erste Bahn zur »Kleinen Scheidegg«. Dort stiegen sie um und fuhren zur Station Eigergletscher. »Wir haben unsere Skier mitgenommen und an der Station Eigergletscher deponiert«, erzählt Siefermann. »Nicht um Spaß zu haben, sondern um später kostenfrei wieder nach Grindelwald zu gelangen. Wir müssen Sparfüchse sein, Flo ist Schüler!« Es folgten 30 Minuten Fußweg bis zum Einstieg in die Nordwand. Der Schnee war schön hart, das Laufen angenehm. »Obwohl wir die ersten Schneefelder aus zeitlichen Gründen seilfrei gingen, hatten wir am Einstieg Klettergurt und Equipment angelegt«, erklärt Siefermann. Der Grund: Die Nordwand nimmt an Steilheit stetig zu. In der Wand mit dem Abgrund im Auge ist das Anlegen nicht leichter.
Tag 1: Die Schwierigkeiten im Übergang zum gemischten Fels und Eisgelände ziehen schnell an. Die schweren Seillängen sind die Stellen »Schwieriger Riss«, »Hinterstoißer Quergang« und »Erstes Eisfeld«. »Unser Seil hat 60 Meter. Die verbale Kommunikation war wegen des Windes oft nicht möglich. Sichtkontakt bestand sehr häufig auch nicht.« Dann geht das Seil aus... Martin fragt sich: was tun? Hat Flo schon Stand? »Nochmal kurz was hochschreien, schnell abbauen und am laufenden Seil nachklettern, Schlappseil als Nachsteiger vermeiden«, so beschreibt er seine Vorgehensweise. Wenn man falle, würden wohl beide fallen.
Die Route ist nicht immer leicht zu erkennen. In der Wand kann der Überblick schnell verloren gehen. Die letzten Spuren der Vorgänger sind nur sehr schwach. Der Wind bedeckt die Spuren mit Schnee. Am Stand wird beraten, wo man sein könnte und wo es weitergeht. Kurz vor dem Biwak die letzten beiden Seillängen in der wärmenden Sonne, die sich in der Nordwand nur selten zeigt – bis das Biwak in Sichtweite ist.
Das Biwak: Das Biwak ist nur ein schmales Schneeband, wo man liegen kann. Erst wird alles abgesichert. Das Biwak ist exponiert, den Gurt mit der Sicherung lassen die beiden im Schlafsack angelegt. Das Abendessen besteht aus gefrorenem Brot mit warmem Tee. Dann heißt es Isomatte und Schlafsack ausrollen und versuchen zu schlafen. Martin Siefermann berichtet: »Den Schlafsack habe ich von innen mit Karabiner zugeknöpft, weil der Wind mir sonst die Backe weggeblasen hätte!« Die Teeflasche kommt zum Wärmen mit in den Schlafsack. Um 6 Uhr ist die Nacht zu Ende: Rucksack packen, noch eine Kleinigkeit essen und trinken, um 7 Uhr geht die Tour weiter.
Tag 2: Die Routenfindung ist einfacher, da es für die beiden nur eine ersichtliche Möglichkeit gibt, nach oben zu kommen. Dafür nimmt die Schwierigkeit zu. »Rampe mit Wasserfallkamin«, »Rampeneisfeld« und »Brüchiges Band« fordern gewaltig. »Vor Anspannung machen die beiden kaum ein Foto. Die Abstände zum Sichern sind sehr weit und es ist sehr steil, außerdem sehr kalt. Zum Fotografieren muss man die Handschuhe ausziehen. Beim Klettern wird es warm. Beim »Götterquergang« ist eine unglaublich schöne Sicht geboten. Die letzte technisch schwere Seillänge kommt: Der »Quarzriss«. Links eine Platte, in der man mit Steigeisen vergebens nach Halt sucht, und vorn eine überhängende Felsformation. »Ich war froh, als ich mein Eisgerät oben eingeschlagen hatte und mich daran aus dem Überhang befreien konnte«, berichtet Siefermann.
Der Ausstiegsriss bot für Florian Zink im Vorstieg eine spannende Reibungskletterei. Das bedeutet, man hat keinen richtigen Griff, sondern nur platte Wand. Man klettert sehr wandnah mit viel Körperspannung – hin zur einzigen Sicherungsmöglichkeit, einem rostigen alten geschlagenen Haken. Die letzten 250 Klettermeter zum Grat können die jungen Alpinisten keine Sicherung im Firnschnee legen. Somit klettern sie am ungesicherten laufenden Seil nach oben.
Die letzten Meter zum Gipfel geht es über »Mittellegigrat«. Um 19.30 Uhr ist es geschafft: Die Eiger-Nordwand ist bezwungen! Viel Zeit zum Genießen des Gipfelglücks bleibt nicht, es ist spät. Noch fünf Seillängen über die Westflanke abseilen. Es wird dunkel. Die beiden entscheiden sich, nochmals auf einer leicht abschüssigen Platte zu biwakieren. Der ständige Druck im Klettergurt lässt die Beine einschlafen – den Menschen hält er wach.
Tag 3: Nun folgt nur noch der Abstieg bis zur Station Eigergletscher. Dort geht es auf Skiern in Richtung Grindelwald, von dort eine halbe Stunde zu Fuß zum Auto. Die ganze Zeit sind die beiden Bergsteiger erfüllt von einem riesigen Glücksrausch: Juchhu! Wir haben es geschafft!
»Dieses Hochgefühl hielt eine gute Woche an«, berichtet Martin Siefermann. Inzwischen hat er neue Pläne: »Wenn das Wetter mitmacht, würden wir gern die Matterhorn-Nordwand oder die Grande Jorasses unter die Füße nehmen.« Jeder Alpinist versteht das: Diese Gipfel sind die drei »Probleme der Alpen«, die jeder ambitionierte Bergsteiger gern schaffen möchte.