Eröffnungsabend des Offenburger Lesesommers begeistert Gäste
Einen weiten Themenbogen schlugen die Vorleser am ersten Abend des diesjährigen Lesesommers – vier von ihnen Novizen am Lesepult.
Als sicher im besten Sinne genießende und urteilende Leser begrüßte die Leiterin der Stadtbibliothek Sibylle Reiff-Michalik die 151 Zuhörer am Montagabend. Die Anzahl der Besucher im Kreuzgang des alten Kapuzinerklosters im Grimmelshausen-Gymnasium war exakt feststellbar, weil der Freundeskreis der Stadtbibliothek, zusammen mit dem Mildenberger Verlag und dem Offenburger Tageblatt Partner der Veranstaltung, einen Büchergutschein verloste.
Hans-Peter Kopp, seit Juli Bürgermeister für Finanzen, Kultur und Soziales, machte mit Markus Zusaks 2009 preis-gekröntem Buch »Die Bücherdiebin« den Anfang, und zwar in der Version als E-Book, da bei diesem »die Schrift groß skaliert« werden kann. »Die Sprache« habe ihn »beim ersten Lesen sofort angesprochen«. Und in der Tat findet Zusak einprägsame poetische Bilder, ein »Gesicht wie zerdrückte Pappe«, »ihr Lächeln am Verhungern« oder »Augen aus Freundlichkeit gemacht«, zu denen deftige und häufig verwendete Kraftausdrücke einen unvergesslichen Kontrast bilden.
Mit Rudyard Kiplings »Wie der Leopard zu seinen Flecken kam« hatte die freie Gartenjournalistin Silke Kluth ein fantastisches Stück geballten Sprachwitz und -reichtum unter anderem deshalb ausgesucht, weil die Übersetzung aus dem Englischen (bekanntlich nicht immer ein Quell reiner Freude) hervorragend gelungen ist. Mit klarer Stimme, nie übertreibend beim Hineinschlüpfen in eine Person, verkörperte sie Jäger und Beute in Steppe und Dschungel (als diese noch ungefleckt und ungestreift »sattsam graugelblich-bräunlich« waren) so anschaulich, dass man die rechtschaffene Empörung der erfolglos bemühten Jäger über die Tricks ihrer »Frühstücke, Mittagessen und Abendessen« völlig nachvollziehen konnte.
Auf der Bühne ein Profi, aber neu in der Rolle des Vorlesers, folgte der Pfarrer und frisch gebackene Stadtrat Norbert Großklaus in Marion Poschmanns »Die Sonnenposition« dem Protagonisten Alfried, aus einer (wie man heute sagen würde) sehr »geerdeten« Familie mit einem »Widerwillen gegen Fragen der Seelenkunde« stammend, auf seinem Berufsweg als »Irrenarzt in einer Schlossruine«.
Die viel zu selten gestellte Frage, ob »Sitzendleser« oder »Liegendleser« ihr Tun mehr genießen könnten, riss Sibylle Reiff-Michalik bei der Vorstellung der Redakteurin Daniela Köhne an: Die bekennende »Sitzend-Leserin« und Gartenexpertin beleuchtete Wohl und Wehe des stolzen Gartenbesitzers, der die kostbare eigene Krume weder mit Tieren noch gar mit Nachbarn gern teilt, in Jakob Augsteins »Die Tage des Gärtners«. Scharfsinnig werden auch die menschlichen Laster umgegraben und etwa vor den Risiken des Voyeurismus gewarnt. Denn nicht nur erfährt man bei diesem schimpflichen Tun, was man nie wissen wollte, zur Strafe wird man auch »die Bilder nie mehr los!«.
Einen tiefen Blick in die Welt des Fußballs gewährte Bernd Grether mit »Schiedsrichter Fertig« von Thomas Brussig: Die völlig überschätzte Kommunikation entlarvt er als »lautes unentrinnbares Quaken« und im Übrigen völlig nutzlos. Denn ohne den nicht hinterfragbaren Befehl der Trillerpfeife »würde man sich immer noch über die Qualifikation von 1962 streiten!«. Er enthüllt, dass »die neuen Stadien, die Arenen« so angelegt sind, dass »noch das Letzte aus dem Mob herausgeholt« werden kann. Merke: »Der gute Lärm darf nicht nach oben entweichen – da tut er ja keinem weh!«
Und während Schiedsrichter Fertig über eine »akustische Unbespielbarkeit des Platzes« philosophiert, kann der Lesesommer, der noch bis Freitag jeden Abend stattfindet, als »akustisches Sommermärchen« gelten.