Ein bisschen Luxus mit Lametta
Weihnachten in Zeiten der Not: Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches ging es für die meisten Menschen darum, zu überleben. Weihnachten war aber auch ein Symbol der Hoffnung. Edelgard Kirchner erzählt ihre Geschichte, die Mut macht.
Geschickt streichen Edelgard Kirchners Finger über die Tasten des Klaviers, in der Ecke steht ein Weihnachtsbaum. Gebannt lauschen ihre Zuhörer den weihnachtlichen Klängen. Dann: Applaus. Der Beifall tut der 89-Jährigen gut. Seit drei Jahren lebt sie im Offenburger Pflegeheim Vinzentiushaus. Ihre Beine sind kraftlos geworden, sie sitzt im Rollstuhl. Am meisten aber schränkt sie ein, dass sie kaum noch sehen kann. Beim Klavierspielen blüht Edelgard Kircher wieder auf. Erneut huschen ihre faltigen Finger über die schwarzen und weißen Tasten.
"Eine schlimme Ruhe"
Die Falten erzählen Geschichten. Zum Beispiel davon, wie sie als junge Frau das erste Weihnachtsfest nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte. Ihr Vater betrieb damals eine Besteckfabrik im westfälischen Mettmann. Von der Zerstörung des Krieges blieb die Kreisstadt bis auf wenige Ausnahmen verschont. Die schlimmen Folgen des Krieges bekam die Familie dennoch zu spüren. "Nach dem Kriegslärm herrschte plötzlich Ruhe - aber es war eine schlimme Ruhe", erinnert sich Kirchner. Die britischen Soldaten hatten das Haus der Familie beschlagnahmt. Nur um die Hühner zu füttern, bekam sie manchmal einen Passierschein ausgestellt.
Wohin sollten sie also gehen? Für den Winter 1945 hatte die Familie eine Bleibe bei Bekannten gefunden. Dort feierte Edelgard Kirchner auch ihr erstes Weihnachten im Frieden. Zu Zehnt hatten sie sich am Heiligen Abend vor einem geschmückten Weihnachtsbaum versammelt. Sogar Lametta hatte die Familie auftreiben können. Ein wenig Luxus in kargen Zeiten der Not. "Nach dem Krieg gab es ja nicht viel", erzählt die Rentnerin. Gänsebraten? Undenkbar.
Die Zuversicht bleibt
In den folgenden Jahren ging es etwas bergauf. Die Soldaten gaben das beschlagnahmte Wohnhaus der Familie zurück, das aber nicht lange in deren Besitz bleiben sollte. Mit der Währngsreform kam die D-Mark. Die alte Reichsmark verlor ihre Gültigkeit. Und Kirchners Vater wurde quasi mittellos. Die Zuversicht aber blieb. Edelgard Kirchner wagte im vom Krieg schwer gezeichneten Pforzheim einen Neuanfang.
Kirchner setzt zu den letzten Takten an. Noch einmal drückt sie konzentriert die Tasten des Klaviers, dann verstummt das Instrument. Ein Leuchten in ihren Augen lässt spüren, wie befreiend das Musikmachen für die 89 Jahre alte Frau ist. Befreiend von den drögen Stunden auf ihrem Zimmer, in denen sie immer auf der Suche nach Beschäftigung ist.