Er gab vielen die Würde zurück
Als Obdachloser kam Wilhelm Rosenberg nach einem jahrelangen Wanderleben nach Offenburg ins St.-Ursula-Heim. Und dort machte er sich als Kämpfer für die Belange sozial schwacher Menschen und deren medizinische Versorgung unverzichtbar. Nun ist er mit 73 Jahren gestorben.
Offenburg. Wilhelm »Willi« Rosenberg, am vergangenen Freitag im Alter von 73 Jahren verstorben, hat viele Leben gelebt und manche fast nicht überlebt. Er war ein Obdachloser. Doch in Offenburg wurde er in den 90er-Jahren im St.-Ursula-Heim nicht nur sesshaft. Dort gab er den Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, durch sein soziales Engagement ein Stück weit ihre Menschenwürde zurück. Als ausgebildeter Krankenpfleger habe er gesehen, dass es in den Wohnheimen »eine Gesundheitsversorgung so gut wie nicht gab«, schrieb er in seiner Biografie.
Wilhelm Rosenberg gelang es alsbald, und dieses Mühen hat er nie aufgegeben, die Öffentlichkeit auf die gesundheitliche Gefährdung Obdachloser aufmerksam zu machen. Roland Saurer, ehemaliger Leiter des St.-Ursula-Heims, und Wilhelm Rosenberg wurden 1999 Gründungsmitglieder der Initiative »Offenburger Pflasterstube«, die Wohnsitzlosen bis heute eine erste medizinische Versorgung bietet. 2007 ging daraus der Solidaritätsverein hervor mithilfe der Unterstützung der Offenburger Bürgerstiftung St. Andreas.
Rosenberg war zudem einer der Ersten, der sich für die Rechte Obdachloser, Berber, Wohnungsloser und sozial schwacher Menschen im Land einsetzte. Aus dem legendären »Marsch auf Stuttgart« im September 1998 entstand 1999 die Landes-Arbeits-Gemeinschaft-Wohnungsloser-Menschen in Baden-Württemberg (LAG).
Die Mutter setzte ihn aus
Nirgendwo zuhause zu sein, das hatte er gleich nach seiner Geburt erfahren müssen. »In den Kriegsjahren wurde ich in Bochum-Werne geboren«, schilderte er in seinen Erinnerungen. »Meine Mutter Lina Kämmerer Rosenberg, Jüdin, setzte mich gut verpackt in einem Karton vor dem katholischen Waisenhaus aus.« Die ersten drei Jahre verbrachte er dort, dann nahmen ihn Pflegeeltern auf. Mit 14 begann er eine Bäckerlehre und fügte später eine Ausbildung zum Krankenpfleger an.
Was ihn fortgetrieben hat, beschreibt er nur als Schilderung seiner Stationen und Reisewege. Das autonome Leben zu suchen vielleicht, in der Türkei, Iran und Pakistan, halb Europa als Aussteiger mit langen Haaren und Hippie-Kleidern unterwegs zu sein, das war ein weltweites Phänomen. Nur einmal kehrte er zur Pflegemutter zurück, »nach drei Wochen hielt ich es nicht mehr aus«. Mit Rucksack und einer Flöte im Gepäck verdiente er fortan seinen Lebensunterhalt als Straßenmusiker in Deutschland. Zuvor hatte er zehn Jahre in England verbracht – allerdings mit festem Wohnsitz, er pflegte einen Verwandten bis zu dessen Tod.
Rosenberg war verheiratet und hat zwei Töchter. Irgendetwas hat ihm das Sesshaftwerden nicht erlaubt, er ging wieder auf »Platte«. In Offenburg war der freiheitsliebende Mann bei der Besetzung der »Augustaburg« bereits 1993 bekannt geworden. Im April 1994 kam er zum zweiten Mal nach Offenburg und wählte das Ursulaheim als Heimat. Der damalige Heimleiter Roland Saurer bestärkte ihn, die pflegerische Arbeit der Mitbewohner aufzunehmen. Mit einem Karton voller gespendetem Verbandsmaterial und Salben lief Rosenberg durch das Haus und versorgte Blessuren an Leib und Seele.
In dem bereits verstorbenen Hannes Lübke fand der »Pillenwilli«, wie sie ihn liebevoll nannten, einen Freund und Mitstreiter für ein weiteres Anliegen. Denn die Ausgrenzung dieser Menschen ging damals über den Tod hinaus. Lübke und Rosenberg setzten sich für würdige Bestattung und Grabstätte auf dem Offenburger Friedhof ein. Doris Kölz, Mitarbeiterin der sozialen Arbeit im St.-Ursula-Heim, beschreibt Wilhelm Rosenberg als einen, der kritisch sein konnte, jedoch die Gabe hatte, mit allen Menschen zu kommunizieren.
»Philosophisch begabt«
»Wilhelm Rosenberg war einer der Hauptakteure der Betroffenenpolitik. Weit mehr noch, Rosenberg war eine hochgebildete, philosophisch begabte Persönlichkeit, die sowohl autonom als solidarisch agieren konnte«, sagt Saurer, Rosenbergs Engagement hat der Caritas-Diözesan-Verband 2005 mit einem Ehrenbrief gewürdigt. Seine letzten Jahre hat er, schon schwer lungenkrank, in einer dem Ursula-Heim angegliederten kleinen Wohnung verbracht.
Bewegt über den Tod dieses Mannes, der trotz seines leidvollen Schicksals immer den Anderen gesehen hat, sind viele Menschen über unsere Stadt hinaus. Vielleicht spricht ihm, der seine Familie vermutlich durch den Holocaust verloren hat, jemand das jüdische Totengebet »Kaddisch«. »Der Seele beim Aufstieg helfen« ist in etwa dessen Anliegen.