»Rock auf’m Hof«: »Fröhlicher Totentanz« im Grünen
Auch beim vierten Mal war das Wetter dem Reichenbacher Rockfest auf dem Oberen Schwärzenbachhof wohlgesonnen. So kamen am Samstag vom frühen Abend bis Mitternacht gut 800 Gäste in der seit Wochen ausverkauften »Festivalzone« der Familie Sester voll auf ihre Kosten.
»Wenn Engel reisen«, besagt ein altes Sprichwort, »dann lacht der Himmel«. Dies gilt im Grunde genommen offenbar auch dann, wenn Engel ein Rockfest in Reichenbach am Ende des Schwärzenbachtals feiern. Entsprechend begrüßte Josef Sester mit »Bauer« auf seinem Namensschild und bester Laune die 700 zahlenden Besucher – mehr sind behördlich nicht zugelassen – sowie rund 100 Freunde und Helfer: »Wir sind wohl alle Engel«. Himmlisch schön ist auf jeden Fall das rund 200 Jahre alte Hofgebäude, »ein Kinzigtalhaus, wie es auch im Gutacher Freilichtmuseum Vogtsbauernhof steht«, so Josef Sester, »das in den vergangenen Tagen in eine Festivalzone umgewandelt wurde«, wie Bäuerin Irene Sester sagte, »dank unserer großen Sester-Familie und deren Freunde.«
Ein guter Freund ist Jürgen Zöller, der an der Seite des Ehepaars Sester und dessen drei Kinder sowie Elke Blocher, die professionell die Öffentlichkeitsarbeit fürs Rockfest übernimmt, voller Vorfreude das Publikum auf dem grasgrünen Halbrund begrüßte: »Wie geil ist das denn hier!« Der 68-jährige Profimusiker, der bis 2014 insgesamt 27 Jahre für die berühmte Kölner Band »BAP« trommelte, blickte zurück ins Jahr 2008, als er zum wiederholten Mal Urlaubsgast auf dem Hof war: »Dort oben am Lagerfeuer entstand die Schnapsidee für ein solches Rockfest«, das nach der Premiere 2010 rasch zum Selbstläufer wurde.
»Wow, was für eine Kulisse!«, zog auch Olli Roth wieder den Hut, eine feste Größe im musikalischen Netzwerk Zöllers. Der Sänger, der seinen imposanten Resonanzkörper voll ausreizt sowie die Gitarre ebenso beherrscht wie gewitzte Moderation, reiste drei Tage vorher an, um die Entstehung besagter »Festivalzone« live zu erleben. Einige der vielen Stammgäste dürften indes Christoph Stein-Schneider vermisst haben, der andersweitig eine Verpflichtung hatte. Der Gitarrist, der in den Vorjahren nicht nur wegen seiner coolen Anzüge bleibende Eindrücke hinterließ, werde »als persönlicher Ausgleich« nachträglich »zwei Nächte auf unserem Hof verbringen«, hatte Josef Sester bei der Pressekonferenz im Juli erklärt.
Starke Verbundenheiten spürbar
Mit Thomas Blug sprang zum zweiten Mal ein höchst begnadeter Lead-Gitarrist als Ersatz ein. Dem »Fender Stratocaster King of Europe 2009«, der bei »Hey Joe« von Jimi Hendrix sein edles Instrument sogar im Genick spielend beherrschte, hatte mit Lyle Närvänen von der Urbesetzung der legendären »Leningrad Cowboys« einen weiteren Virtuosen an seiner Seite. »Unser Finne«, so Zöller, gehört zu »meinem neuen Hauptbaby«. Demnächst erscheint die erste CD von »Zöller & Konsorten«. Am Samstag spielte indes neben der Gegenwart die Vergangenheit die Hauptrolle. Zöller kündigte einen »fröhlichen Totentanz« an, da das Programm in erster Linie Songs von Musikern umfasste, die kürzlich starben, wie David Bowie und Prince, »oder schon länger in der Heaven-Band rocken«, wie Roth meinte.
Mit dem »Cadillac Walk« von Willy DeVille machte die Zöller-Network-Band, in der Bassist Alfredo Hechavarria aus Kuba seine Reichenbach-Premiere mit späterem Saitenriss feierte, gleich mächtig Dampf. Für Gänsehäute sorgte Sängerin Nicatea bei Songs von Amy Winehouse und Janis Joplin. Das »Berliner Stadtkind« rockte liebend gerne zum zweiten Mal in diesem Naturidyll. Und bei »Red House«, einer alten Hendrix-Perle, durfte Klaus Bayer, seit 36 Jahren in der Ortenauer Cover-Band »Mainstreet«, im Duett mit Blug gewissermaßen die erste Geige spielen. »Ohne gemeinsame Probe mit Hinweis am Freitag: du schaffst das!«, schüttelte der Sänger und Gitarrist beglückt den Kopf.
Mit »Mainstreet« in Person von Armin Hertle, dem zweiten Urgestein an der Gitarre, Michéle Adler (Gesang), Philipp Schienle (Keyboard), Andrea Kiefer (Bass) und Bernd Fissler (Drums) servierte Bayer zum dritten Mal in Reichenbach »Highlights der Rockgeschichte« unter anderem von Adele und Melissa Etheridge, dazu bemerkenswerte Versionen von den bekannten »sieben Brücken« und »Stairway to heaven«. Was auch Rudi wohl gefiel, der eher langsam zwischen Bühne und tanzenden Besuchern vorbei stolzierte. Gut möglich, dass dieser schneeweiße Hahn der Sesters sich in zwei Jahren erneut in der so angenehm entspannten Menschenmenge blicken lässt.
"Unser Oberstromer" Ewald Gißler
Viele Zuhörer hatten Decken ausgebreitet, noch mehr genossen eine »Rockwurst« nach delikater Art der Gastgeber, die sich auch wieder auf »unseren Oberstromer«, so Zöller, verlassen konnten. »Starkstrommeister« Ewald Gißler sorgte einmal mehr für genügend Saft für ein solches Konzertereignis am Ende des Tals und wurde auf die Bühne gebeten. Denn der »32. Cousin« von Josef Sester feierte seinen 40. Hochzeitstag. Dass Gißlers Ehefrau Karola krank zuhause das Bett hüten musste, kann getrost als einziger Schönheitsfehler dieser Feststunden betrachtet werden. »So lange ich die Sticks halten kann, bin ich hier dabei«, hatte Zöller schon vor dieser nächsten einzigartigen Rock-Party unter Sternenhimmel versprochen. Nicht zuletzt Anni Bätza, 88 Jahre junge Mama von Irene Sester aus dem Hessischen, freut sich bereits auf die Neuauflage 2018.