568 Hausbesitzer in Biberach müssen Beiträge nachzahlen
Mit seinem Beschluss, die 19. Änderung des Bebauungsplans »Östlich der Bahnlinie« nicht zurückzunehmen, zog der Gemeinderat Biberach einen vorläufigen Schlussstrich unter die Diskussionen um Beitragsnachzahlungen. Fakt ist, die 568 Grundstückseigentümer müssen Beiträge nachzahlen. Gemeinderat und Rathausspitze betonten, sie hätten alles getan, um die Nachzahlungen zu verhindern. Die Rechtslage sei aber eindeutig.
Die Sitzung des Biberacher Gemeinderats am Montag in der Festhalle dürfte mit nahezu 300 Zuhörern einen neuen Rekord aufgestellt haben. Die Besucher, vor allem Anwohner »Östlich der Bahnlinie« waren gekommen, um zu hören, wie Verwaltung und Gemeinderat ihr im Vorfeld schon angekündigtes »Nein« zu einer erneuten Beratung des Bebauungsplans begründen. Und sie wollten natürlich wissen, ob die anstehenden Beitragszahlungen zu verhindern sind.
Rückblick: Im Jahr 2012 beschloss der Biberacher Gemeinderat im Rahmen der zwischenzeitlich 19. Änderung des Bebauungsplanes »Östlich der Bahnlinie«, dass im Baugebiet durch eine Erhöhung der Wandhöhe um 1,40 Meter künftig das Dachgeschoss ausgebaut gebaut werden darf. Man wollte Bauherren mehr Möglichkeiten geben. Letztlich hatte auch die Baurechtsbehörde auf eine Anpassung des Bebauungsplans gedrängt.
Vier Jahre später fielen die Grundstückseigentümer des betroffenen Gebiets aus allen Wolken, als sie am 23. Juni in einer von der Gemeinde anberaumten Informationsveranstaltung in der Festhalle mitgeteilt bekamen, dass jeder von ihnen einmalige Nachzahlungen in oft vierstelliger Höhe beim Wasser- und Abwasserbeitrag zahlen sollte. Denn mit der Erhöhung der möglichen Geschosse waren die Grundstücke auch im Wert gestiegen.
Ob tatsächlich gebaut wird oder nicht, unterscheidet das Abgaberecht nicht. In der Folge organisierten Anja und Timo Lienhard den Widerstand der Anwohner, sammelten Unterschriften für einen sogenannten »Einwohnerantrag« und Geld für einen Anwalt, der die betroffenen Grundstückseigentümer beraten sollte (wir berichteten).
Keine guten Nachrichten für die Anwohner
Rechtsanwalt Thomas Burmeister hatte jedoch keine guten Nachrichten für die Anwohner östlich der Bahn: Anja Lienhard berichtete in der Sitzung, dass der Anwalt die Auffassung der Gemeinde teilt, »dass ein Widerspruch keinen Erfolg haben wird, da es rechtlich keine Gründe dafür gibt«. Dies bestätigten auch viele Rechtsurteile.
»Eine Lösung ist aus seiner Sicht zwar möglich, setzt aber die Änderung des Bebauungsplans voraus. Da aber durch eine Geschossminderung die Eigentümer Schadensersatz fordern können, ist es erforderlich, dass alle Eigentümer eine Schadensersatzverzichtserklärung unterschreiben. Es wohl sehr schwer sein, von allen Eigentümern eine Verzichtserklärung zu bekommen«, so Anja Lienhard, die daraufhin auf den Einwohnerantrag zur Neuberatung des Bebauungsplans verzichtete.
Nachdem Biberachs Bürgermeister Daniela Paletta ein persönliche Stellungnahme abgeben hatte (siehe Kasten), gaben auch Gemeinderäte ihre Sicht der Dinge wider. Angelika Ringwald (CDU) rechtfertigte nochmals die Entscheidung von 2012, den Bebauungsplan zu ändern. Dadurch würde Bestehendes optimal ausgenutzt und Ressourcen an Grund und Boden geschont. »Wenn Sie die Wertsteigerung des Grundstücks auch jetzt nicht spüren, so doch in Zukunft die Enkel oder ein Grundstückskäufer«, so Ringwald.
"Das wäre rechtswidrig"
Gerhard Matt (SPD) begann sein Statement mit einer Entschuldigung: »Ich entschuldige mich für die Informationspolitik nach der Bebauungsplanänderung von 2012«, betonte er. Matt machte keinen Hehl daraus, dass er betroffen war, wie respektlos Bürgermeisterin Daniela Paletta bei der ersten Informationsveranstaltung im Juni angegangen worden sei. »Der Fehler wurde offensichtlich vom Vorgänger gemacht«, so Matt. Ringwald und Matt betonten, dass man einen Bebauungsplan nicht ändern könne, um damit Beiträge zu umgehen. »Das wäre rechtswidrig«, so Matt.
Die Beitrags-Nachzahlung allerdings ist rechtens und die Bescheide müssen noch dieses Jahr rausgehen, so Rechnungsamtsleiter Bodo Schaffrath. Ratenzahlung sei nicht möglich.
Paletta: "Ich hab`s nicht verbockt!"
Auf eine Wortmeldung von Hendrik Hund aus den Zuhörer-Reihen, der unter anderem süffisant feststellte, das es bisher grade mal eine Entschuldigung gab, reagierte Bürgermeister Daniela Paletta vehement: »Ich hab’s nicht verbockt!«, rief sie aus. »Meinen Sie, mir ist es wohl dabei, wenn das halbe Dorf gegen die Verwaltung und gegen mich ist? Mir tut das Ganze unendlich leid«, meinte sie und versprach, dass es solch eine Informationspolitik bei ihr nicht geben werde. Angelika Ringwald sprang ihr bei: »Wir haben zwei Rechtsanwälte beauftragt, nur um einen Weg zu finden, die Beitragsnachzahlungen abzuwenden!«
Hendrik Hund hakte nach, fragte, was der Gemeinderat tun will, um Frieden ins Dorf zu bringen: »Geben Sie irgendein Signal der Entschuldigung, bauen Sie einen Spielplatz oder entschärfen Sie die Zufahrt zum Schwimmbad!«.
Ein anderes Signal hatte die Bürgermeisterin bereits gegeben: Da die Gemeinde verpflichtet war, für das Treffen der Bürgerinitiative Hallenmiete zu verlangen, übernahm sie im Gegenzug die Kosten für die Flyer der Anwohner. Und Daniela Paletta kündigte auch den Versuch an, die entstandenen Anwaltskosten der Anwohner ersetzen zu wollen. Dafür gab’s dann zum ersten Mal Beifall vom Publikum für sie.
Defizite aufgedeckt
Am Ende war der Widerstand der Anlieger »Östlich der Bahnlinie« in Biberach nicht von Erfolg gekrönt. Die Beitragsnachzahlungen nach der Bebauungsplanänderung von 2012 werden fällig, der Plan selbst bleibt, wie er ist.
Für die engagierten Bürger ist das jedoch keine komplette Niederlage. Sie zeigten Courage und deckten so manche Defizite auf. So etwa, dass Bau- und Abgabenrecht nicht immer die Krönung der Logik sind. Und durch sie wurde auch deutlich, dass Offenheit und verständnisvoller Umgang mit den Bürgern oberste Maxime der Arbeit im Rathaus sein sollten.
Die Vorgänge in Biberach haben bereits Signalwirkung auf andere Gemeinden, die ihre Beschlüsse sicher noch intensiver als bisher prüfen. Das nützt zwar den betroffenen Biberachern nichts, allerdings haben sie nun eine Verwaltung, die nach diesen Erfahrungen hypersensibel mit der Bürgernähe umgehen dürfte. Immerhin. Dietmar Ruh
Neuanfang suchen und finden
Bürgermeisterin Daniela Paletta gab zu Beginn der Sitzung eine 15-minütige Erklärung ab. Hier ein Auszug:
»Über die Bebauungsplanänderung wurde seit der Informationsveranstaltung am 23. Juni viel gesprochen, diskutiert und geschrieben. Es wurde viel Unmut und Unverständnis gegenüber der Haltung von Gemeindeverwaltung und Gemeinderat, an dieser Bebauungsplanänderung und den beitragsrechtlichen Folgen festzuhalten, geäußert, teils öffentlich und in nicht akzeptabler und beleidigender Weise.
Wir haben uns deshalb dazu entschlossen, diese Bebauungsplanänderung heute auf die Sitzung zu nehmen und ausführlich zu erläutern (...).
Wir stehen heute hier, erfüllt von immer wieder neu enttäuschten Erwartungen, verletzten Gefühlen, von ausgesprochenen oder unausgesprochenen Vorwürfen. Was jetzt zählt ist eine Aussprache, die bereinigt, neu anfängt und in der man sich versöhnt und Neuanfänge sucht und finden muss. Versuchen wir, an unserem dörflichen Frieden zu arbeiten. Jeder Einzelne von uns.
(...) Es ist politisch sicher nicht glücklich, dass anlässlich der Änderung des Bebauungsplans im Jahre 2012 nicht ausdrücklich auf die daraus folgenden Beitragspflichten hingewiesen wurde. Ein Abwägungsmangel erfolgt daraus aber nicht.
Es wäre ein einmaliger Missbrauch der kommunalen Selbstverwaltung, wenn wegen solcher Motivation ein Bebauungsplan zurückentwickelt würde. Die Gemeinde würde sich in Ihrer Entwicklung zusätzlich beschneiden und auf Jahre zurückgeworfen. Und es gibt keinen Grund aus städtebaulicher Sicht, den Bebauungsplan zu ändern.«