Initiative "Zu-Flucht" thematisiert Abschiebungen trotz Arbeit
Die Abschiebepraxis in Baden-Württemberg stand bei einer Diskussionsveranstaltung der Initiative »Zu-Flucht« in der Kritik. Im Fokus stand das Thema »Abschiebung von arbeitenden Flüchtlingen«. Auch die Unternehmen fordern in der Hinsicht mehr Hilfe und Klarheit.
»Keiner verlässt aus Jux und Dollerei seine Heimat für immer«, betonte Reinhard Kirpes am Donnerstagabend, als der Offenburger Rechtsanwalt mit seiner Initiative »Zu-Flucht« zur Diskussion ins Stadtteil- und Familienzentrum Innenstadt im Bürgerpark eingeladen hatte. Er und seine Mitstreiter wollten auf die Not von Flüchtlingen aufmerksam machen. Viele von ihnen verteidigte Kirpes in den vergangenen Jahren als Rechtsanwalt – oft in hoffnungsloser Situation.
Momentan meldeten sich zahlreiche verzweifelte Arbeitgeber bei ihm, die ihre Arbeitskräfte nicht durch plötzliche Abschiebung verlieren wollen. Ein Kurzfilm des Magazins »Monitor« verdeutlichte beispielhaft die Lage eines jungen Afghanen: Als dieser in Deutschland endlich zur Ruhe kam, eine fürsorgliche Familie und Arbeit gefunden hatte, wurde er abgeschoben.
Große Bereitschaft
Rund 100 Gäste nahmen die Möglichkeit wahr, miteinander ins Gespräch zu kommen. Wie Kirpes berichteten die Unternehmerfrauen Heike Groen und Susanne Sester über ihre Erlebnisse mit Ämtern, Behörden und Geflüchteten aus Afghanistan, Gambia, Syrien, Nigeria oder dem Kosovo.
Simon Kaiser, zuständig für Aus- und Weiterbildung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Südlicher Oberrhein, lobte die Offenheit und Bereitschaft vieler Betriebe Flüchtlingen gegenüber. »Zwar werden momentan nur wenige Menschen aus der Ausbildung abgezogen«, sagte er. Dennoch herrsche eine große Verunsicherung: »Wir wissen nicht, wie wir beraten sollen.«
Ein Handwerksunternehmer sagte: »Wir Mittelständler haben keine Personalabteilung, keine Lobby und scheuen die Zeit für umfangreiche Dienste.« Eine spezielle Anlaufstelle als Wegweisung durch das Wirrwarr sei notwendig. Manche Behörden hätten zu wenig wenig Einblick in den praktischen Arbeitsalltag.
Peter Stocker aus Ichenheim sieht die Ausbildung von Flüchtlingen als »eine Art der Entwicklungshilfe«, die viel Gutes auch im Heimatland der späteren Rückkehrer bewirken könnte. Er wünschte sich, »dass die Handwerksbetriebe bei den Behörden mehr Gehör finden, weil Handeln nur nach Aktenlage unmenschlich ist«.
Die unterschiedlichen Vorgehensweisen der Abschiebepraxis in den Bundesländern seien schwer zu durchschauen, sagte Simon Kaiser. Für Betroffene, Arbeitgeber und Berater sei die Rechtslage äußerst unbefriedigend. »Bei der IHK übernehmen sogenannte Kümmerer eine Lotsenfunktion«, so Simon Kaiser. Die Handwerkskammer biete ebenfalls zwei solcher Orientierungsstellen an,doch das reiche bei weitem nicht aus. Es fehle an klaren Kriterien für Zuwanderer. Das Asylverfahren wertete Kaiser als »falschen Werkzeugkasten für Integration«.
»Nicht abgestimmt«
Was die Behörden in Deutschland angeht, gab Reinhard Kirpes zu bedenken: »Die Ämter arbeiten alle über dem Limit.« Wie sollen sie denn jetzt auch noch beraten? Thomas Marwein, Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Offenburg, sagte: »Das Problem wird überall gesehen.« Es gebe viele Handlungsmöglichkeiten, »aber sie sind nicht richtig aufeinander abgestimmt«. Er forderte auf, Spielräume für großzügiges Handeln zu nutzen, wo immer es möglich sei.
Auch Sprecher der Flüchtlingshilfen Rebland, Willstätt und Durbach bewiesen in Wortbeiträgen ihr Engagement. »Diesen Abend haben wir für die Unternehmer in Baden-Württemberg gemacht«, sagte Reinhard Kirpes abschließend. »Sie haben große Macht. Sie haben das Recht, in der Demokratie zu sagen: Bis hierher und nicht weiter!«
Zwei Beispiele von Betroffenen
Oliver Bindner, Chef eines Handelsunternehmens mit zwölf Mitarbeitern, hielt im Rahmen der Diskussionsveranstaltung eine beherzte Rede für seinen Lager- und Versandmitarbeiter aus Gambia. »Ich kann nur Gutes sagen über die Ämter und den Mann, der seit acht Monaten bei uns arbeitet«, sagte er. Im Betrieb sei er unersetzlich und der Familie ans Herz gewachsen. Die kürzlich angedrohte Abschiebung traf den jungen Unternehmer bis ins Mark, das war spürbar. »Dass mein guter Mitarbeiter gehen muss, ist menschlich untragbar«, betonte Bindner und erhielt stürmischen Beifall.
Von der Abschiebung bedrohte Flüchtlinge schilderten ihre Geschichte: Ramon, seit 14 Jahren bei einer Firma im Ortenaukreis beschäftigt, wollte mit seinem Bruder hier ein neues Leben aufbauen. Doch das Warten und die Ohnmacht hätten den Bruder im Kosovo psychisch krank gemacht. Ein Zuhörer bestätigte, dass es im Kosovo »keine Ordnung« gebe, jeder betrüge jeden.