1956 aus DDR geflohen: Günter Preuß wird 70
Er will der Gesellschaft etwas Gutes zurückgeben. Dafür arbeitet Günter Preuß aus Albersbösch ehrenamtlich bei den Maltesern und betreut Senioren im Paul-Gerhardt-Werk. Heute wird der ehemalige Finanzbeamte 70 Jahre alt und blickt auf ein Leben zurück, bei dem nicht jeder die Kraft gehabt hätte, auch noch anderen Menschen zu helfen.
»Damals zog ich in denselben Wohnblock, in der auch meine zukünftige Frau lebte«, erinnert sich Günter Preuß, wie er 1956 mit seiner Familie als DDR-Flüchtling nach Offenburg kam. Er tauschte seinen Geburtsort Frankfurt an der Oder gegen Offenburg ein und spricht heute von einer neuen Heimat. Er verbrachte viel Zeit mit dem Nachbarsmädchen Dorothea Brzoza und ging 1969 mit ihr den Bund der Ehe ein. Nach dem Abitur und Wehrdienst begann er eine Inspektorenlaufbahn in der Finanzverwaltung. Der heute 70-Jährige war überwiegend im Außendienst beim Bundesamt für Finanzen tätig, sodass ihn seine Dienstreisen nach Bonn, Wien und Hamburg führten. »Doch meinen Wohnsitz in Offenburg wollte ich nie aufgeben«, so Preuß und lächelt.
Nach seiner Pensionierung im Jahre 2010 kam Preuß zu den Maltesern. Dort war er bis Ende 2014 Stadtbeauftragter. Diese Tätigkeit erforderte jedoch mehr, als er auf lange Sicht geben wollte und konnte. »Ich wollte nicht zu jeder Veranstaltung gehen, sondern nur den Bedürftigen zu Rate stehen«, sagt er und legte Ende vergangenen Jahres sein Amt nieder. Seit diesem Jahr konzentriere er sich als Geschäftsführer der Malteser in Offenburg auf die Betreuung von Lehrgangsteilnehmern. Doch damit nicht genug. Seit drei Jahren ist er gemeinsam mit seiner Frau im Team des ehrenamtlichen Besuchs- und Betreuungsdienstes des Paul-Gerhardt-Werkes.
Auch für die Zukunft hat er Projekte in Aussicht, die er gerne umsetzen würde. »Durch die veränderte Altersstruktur in unserer Gesellschaft gibt es immer mehr allein lebende Senioren«, so Preuß und wünscht sich, dass mehr ehrenamtliche Helfer in dem Bereich tätig werden. Außerdem liegt ihm viel an einer besseren Integration der Flüchtlinge in Offenburg, erzählt er. Neben der ehrenamtlichen Arbeit nimmt sich Preuß jedoch auch Zeit für ein Hobby. »Seit zwei Jahren besuche ich einen Französischkurs«, sagt er motiviert. Auch sein Herrenabend am Freitag ist ihm heilig, bei dem er bei einem Gläschen Wein den Abend mit guten Freunden genießt.
Schwerer Schicksalsschlag
Seinen Geburtstag feiert er in einer kleinen Runde. »Der ein oder andere Besucher schaut heute vorbei, aber am Freitag wird richtig gefeiert. Wir gehen dann im ›Feldschlössle‹ essen«, erzählt er.
Das Leben des 70-Jährigen wird jedoch durch einen Vorfall im Jahr 1989 überschattet: Sein Sohn Alexander wurde nur 26 Jahre alt. »Er wurde von einem drogensüchtigen Arbeitskollegen niedergeschlagen«, erzählt Preuß. Das Gewaltdelikt, das mit dem Tod endete, war für das Ehepaar schwer zu verdauen. »Auf die Frage nach dem Warum bekommt man nirgends eine Antwort«, so der Jubilar. In der Adventszeit fahre er immer mit seiner Frau an den Ort des grausamen Geschehens. »Die Wohnung kann ich bis heute nicht betreten«, sagt er und seine Augen füllen sich mit Tränen. Er schweigt für einen Moment, dann sagt er leise: »Meine Frau ging jeden Tag auf den Friedhof. Sechs Jahre lang ohne Ausnahme.« Er ist überzeugt, dass die Trauer ihn und seine Frau zusammengeschweißt hat.
Trotz des schweren Schicksalsschlags glaubt er weiterhin an das Gute im Menschen. Aus dieser schlimmen Erinnerung, die wie er sagt »nie ganz verschwinden wird«, haben er und seine Ehefrau einen Weg herausgefunden. Sie beginnen den Tag mit einem gemeinsamen Frühstück, reisen gerne und helfen anderen Menschen. Auch wenn seine Ehefrau gerne für zwei bis drei Wochen alleine verreist, ob in den Jemen, nach Japan oder Kanada – bekommt sie von ihrem Ehemann jeden Tag eine Nachricht zugeschickt. »Ihr Atmen am Morgen fehlt mir dann besonders«, sagt Preuß und schaut liebevoll seine Frau an. Die beiden haben gelernt, mit der Last des verlorenen Kindes umzugehen, um den Schmerz für ein Weilchen zu vergessen.