Spinnerei-Wohnblöcke: Wurde Türkin zu Unterschrift gedrängt?
Im Ringen um die Entmietung der ehemaligen Spinnerei-Arbeiterwohnungen gab es gestern eine weitere Auseinandersetzung vor dem Zivilgericht. Erneut konnten sich die Streitparteien nicht einigen, zu welchen Konditionen die 30 noch bestehenden Mietverträge aufgelöst werden. Diesmal war die Frage zu klären, ob eine Türkin zur Unterschrift gedrängt wurde.
Gestern ging es nur um einen Nebenkriegsschauplatz, im Hintergrund schwelt immer noch das große Ganze: Die Soka-Bau aus Wiesbaden will die beiden denkmalgeschützten ehemaligen Arbeiterwohnblöcke der Spinnerei sanieren, das Gebäude aber nur im leeren Zustand übernehmen. Doch 30 der insgesamt 55 Mieter wollen nicht raus. Ihnen ist die von der HOS-Anlagen und Beteiligungen GmbH angebotene Zahlung von rund 4000 Euro zu wenig. Sie lassen sich anwaltlich von Ulrich Mehler (Offenburg) vertreten.
Dieser hatte bei einer früheren Verhandlung eine Summe von 20 000 Euro gefordert, die HOS-Anwalt Reinhart Kohlmorgen (Offenburg) als »illusorisch« abgeschmettert hatte. Inzwischen liegt ein neues Angebot von Mehler auf dem Tisch.
12 500 Euro pro Mieter?
Demnach würden die 30 Mieter sich bereit erklären, die Wohnung zu räumen, wenn ihnen eine Ersatzwohnung gestellt wird, die Gegenseite die Verfahrenskosten trägt und eine Ablöse von 12 500 Euro gezahlt wird. Mehler begründete die Summe damit, dass für die Mieter immense Kosten durch die höheren Mieten, den Umzug, die fällige Kaution sowie Neuanschaffungen entstünden. Außerdem müssten sie ihre angestammte Umgebung verlassen. Auch bei dieser Summe winkt die Spinnerei jedoch bislang ab.
So heißt es nun warten auf ein Gutachten. Darin wird geprüft, ob die Immobilie im vermieteten Zustand verkaufbar ist oder nicht. Ist dies nicht der Fall, wäre die von der HOS ausgesprochene Verwertungskündigung rechtens – die Mieter müssten raus. Das Gutachten liegt laut Mehler und Kohlmorgen schon vor, allein: Die Gretchenfrage, ob angesichts des maroden Zustands ein wirtschaftlich vertretbarer Verkauf der Wohnblöcke nur im geräumten Zustand möglich ist oder nicht, ist nicht beantwortet. Folglich muss der Gutachter nacharbeiten – damit verstreicht weitere Zeit.
Gestern ging es um den ersten von drei »atypischen Fällen« (Richterin Sabrina Haberstroh). So soll eine Türkin (Mutter von vier Kindern) genötigt worden sein, ihre Unterschrift unter die Aufhebungsvereinbarung des Mietvertrags zu setzen. In zwei weiteren demnächst folgenden Verhandlungen geht es um ähnliche Fälle.
HOS-Geschäftsführerin Gertrud Völker habe auf sie eingewirkt, den Mietvertrag aufzulösen, obwohl man vereinbart habe, keine Gespräche ohne Beisein der Anwälte zu führen. »Wir befanden uns im Panikzustand – deshalb habe ich das Angebot akzeptiert«, sagte die Türkin gestern aus. Vor diesem Hintergrund zweifelte Mehler die Wirksamkeit der Vereinbarung an.
Im Besitz der Wohnung
Kohlmorgen sah die Ernsthaftigkeit der Kündigung dadurch belegt, dass die Frau in der Sofienstraße eine Eigentumswohnung besitze und sie dort auf Eigenbedarf gekündigt habe. Das treffe zu, aber sie habe nicht für sich gekündigt, sondern für ihre Kinder. Dreimal habe die Wohnbau der Frau zudem eine Wohnung angeboten, dreimal habe sie abgelehnt, hob Kohlmorgen die Bemühungen von Stadt und HOS hervor. Der Gütevorschlag der Richterin, die Vereinbarung aufrechtzuerhalten und der Frau die versprochene Entschädigung von 4000 Euro zu gewähren, drang bei beiden Seiten nicht durch. Einzellösungen machten keinen Sinn, hieß es. Folglich wird Richterin Haberstroh ihr Urteil in diesem Einzelfall am 1. April, 10 Uhr, verkünden.