Sasbachwalden

993 Flüchtlinge im »Bel Air«: Hintertür zur stillen Reserve

Christine Marklewitz
Lesezeit 2 Minuten
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05. Februar 2016
Das Regierungspräsidium Freiburg hat die geforderte Nutzungsänderung für die bedarfsorientierte Erstaufnahmestelle (BEA) im ehemaligen Sasbachwaldener Hotel »Bel Air« vorgelegt und hebt darin ohne Ankündigung die Maximalbelegung des Hauses von 750 auf 993 Personen an.

(Bild 1/2) Das Regierungspräsidium Freiburg hat die geforderte Nutzungsänderung für die bedarfsorientierte Erstaufnahmestelle (BEA) im ehemaligen Sasbachwaldener Hotel »Bel Air« vorgelegt und hebt darin ohne Ankündigung die Maximalbelegung des Hauses von 750 auf 993 Personen an. ©Matthias Heidinger

Seit Herbst 2015 ist die bedarfsorientierte Erstaufnahmestelle (BEA) im Sasbachwaldener »Bel Air« in Betrieb – und es ist Ruhe eingekehrt. Nun zeichnen sich neue Turbulenzen ab: Das Regierungspräsidium (RP) Freiburg hat den fälligen Antrag auf Nutzungsänderung für das ehemalige Hotel vorgelegt – und setzt die Maximalbelegung ohne Vorwarnung von 750 auf 993 Personen hoch. 
 

Sasbachwaldens Bürgermeister Valentin Doll ist ziemlich verärgert: Nein, im Vorfeld habe sich das RP nicht bei ihm gemeldet – bis am 21. Januar der Antrag im Rathaus abgegeben worden sei. »Dass er kommt, war klar. Dass die Zahl nochmal aufgestockt wird nicht.« 

Dreimal hatte das RP die Zahl der Asylsuchenden in der BEA Sasbachwalden angehoben: Waren es in den ersten Tagen 300 Personen, zogen schon bald 500 ein, kurz darauf sprang die Zahl auf 750. In den Infoabenden war das nochmalige Erhöhen der Belegungszahl mit keiner Silbe erwähnt worden. Viele fragen sich: Wird da eine Salamitaktik gefahren?

Die angegebene Maximalkapazität von bis zu 993 Personen gelte als kurzfristige Maximalbelegung, teilt das Regierungspräsidium auf Anfrage der Mittelbadischen Presse mit. So eine »Überbelegung« sei aber nicht angestrebt; die Unterbringung von 993 Flüchtlingen nicht geplant. »Die Normalbelegung der Unterkunft soll weiterhin maximal 750 Personen betragen.« 

Die Verankerung der erhöhten Personenzahl soll, so die Pressestelle des Regierungspräsidiums Freiburg, gegen Haftungsrisiken schützen – insbesondere für den Fall eines Brandes. Dennoch ist die Klausel das Hintertürchen zur stillen Reserve. 

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RP: Keine Salamitaktik

»Es handelt sich mitnichten um eine Salamitaktik, sondern die Aufnahmesituation hat eine Dynamik entwickelt, die zum Zeitpunkt der Infoveranstaltung nicht absehbar war«, schreibt die Behörde weiter. 

Diesen Mittwoch hatte Valentin Doll seinen Gemeinderat über die neueste Entwicklung informiert. Welche Empfehlung er dem Gremium aussprechen wird, weiß der Verwaltungschef noch nicht. »Ich muss erst abklären, welche Folgen das für Sasbachwalden hat«, so Doll. Der Rat wird voraussichtlich am 24. Februar über die Nutzungsänderung abstimmen. Doch, selbst, wenn sich das Gremium mit einem »Nein« gegen die Pläne wenden würde, »könnte das Landrats-amt die Nutzungsänderung als übergeordnete Behörde anordnen«, befürchtet Doll, den Kampf mit einem stumpfen Schwert auszufechten. 

Das Zusammenleben zwischen Anwohnern und Flüchtlingen hat sich nach anfänglichen Bedenken und nach vielen Schritten des Aufeinanderzugehens zwischenzeitlich entspannt: So ist für die Asylsuchenden ein Busshuttle vom ehemaligen Hotel direkt nach Achern eingerichtet worden und Helfer, Verwaltung sowie Vertreter von Anliegern besprechen relevante Themen und nötige Schritte an einem runden Tisch. 

Hintergrund

Angst vor einer Ruine

Was geschieht mit dem »Bel Air«, wenn die Nutzung als Flüchtlingsunterkunft ausläuft? Wird die Immobilie dem Verfall preisgegeben? Diese Frage treibt die Sasbachwaldener um. 

Die Immobilie ist in Besitz der Betreiberfirma mit Sitz in Frankreich. Das RP tritt als Mieter auf. Eine Klausel im Mietvertrag könnte den Sasbachwaldenern die Angst nehmen. Das RP sieht seine Schuldigkeit mit einem Passus in der Nutzungsänderung getan: Diese sei vorläufig, damit die Hotelnutzung wieder aufgenommen werden kann. Das Haus habe zuvor ja schon Jahre leer gestanden. 

Hintergrund

Listen bringen in Zeitnot

Ohne Listen kein Geld: Um 2017 erstmals Vergütung für die Unterbringung der Flüchtlinge im »Bel Air« zu bekommen, müssen die Zu- und Abgänge gelistet werden. Das lässt die Sasbachwaldener Verwaltung personell an ihre Grenzen stoßen. 
»Unser Meldeamt ist mit einer 75-Prozent-Stelle besetzt«, berichtet Bürgermeister Valentin Doll – und der Mitarbeiter sei nicht nur mit An- und Abmeldungen befasst. Das Führen der Listen gerät zum Zeitproblem: Fürs Anmelden benötige der Mitarbeiter fünf Minuten, für eine Abmeldung seien es drei. »Wenn man 700 Leute hat, sind das 58 Stunden allein fürs Anmelden und 35 Stunden, um die Leute abzumelden.« Hilfe ist nicht zu erwarten: »Eine besondere Förderung ist dafür von Landesseite unseres Wissens nach nicht vorgesehen«, heißt es aus dem RP. 

»Momentan sind an die 100 Leute im ›Bel Air‹ untergebracht«, berichtet Doll. Die durchschnittliche Verweildauer der Asylsuchenden liege zwischen vier und sechs Wochen. Pro Flüchtling werden der Kommune 1100 Euro bezahlt. Aber diese trete anderthalb Jahre in Vorleistung, bis nur ein Cent fließe, gibt Doll zu bedenken. 

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