Die Ortenau hat die niedrigste Scheidungsquote im Land
Die Ortenau hatte zwischen 2013 und 2016 die niedrigste Scheidungsrate ganz Baden-Württembergs. 0,7 Prozent aller bestehenden Ehen wurden im Schnitt aufgelöst. Woran könnte das liegen? Die Mittelbadische Presse hat Experten im Landkreis befragt.
Laut Statistischem Landesamt Baden-Württemberg war im Ortenaukreis zwischen 2013 und 2016 die Scheidungshäufigkeit am geringsten. Demnach wurden von 10 000 Ehen im Schnitt nur 71,5 geschieden – also rund 0,7 Prozent jährlich. Landesweit lag der Schnitt bei 82,8 Scheidungen.
So seien allein im vergangenen Jahr in Baden‑Württemberg 19 664 Ehen geschieden worden. 15 673 Kinder seien im Jahr 2016 von der Scheidung ihrer Eltern betroffen gewesen, heißt es in der Mitteilung des Statistischen Landesamtes. Damit sei die Zahl der Ehescheidungen zum fünften Mal in Folge gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen.
Regional variieren die Scheidungsraten stark. Der Ortenaukreis sei dicht gefolgt vom Main-Tauber-, Ostalb- und Alb-Donau-Kreis sowie dem Landkreis Schwäbisch Hall. In diesen Landkreisen wurden nach Auskunft des Statistischen Landesamtes zwischen 2013 und 2016 im Schnitt 72 Ehen von 10 000 geschieden. Am höchsten sei die Scheidungsrate in Mannheim, gefolgt vom Landkreis Emmendingen und dem Stadtkreis Pforzheim gewesen. Während in den vergangenen Jahrzehnten die Scheidungsraten in den größeren Städten oft höher und in den eher ländlich strukturierten Kreisen geringer gewesen seien, sei ein eindeutiges Stadt-Land-Gefälle mittlerweile nicht mehr auszumachen.
Optimale Lösung finden
Laut Ullrich Böttinger, Amtsleiter Soziale und Psychologische Dienste und Leiter Frühe Hilfen und Präventionsnetzwerk Ortenaukreis (PNO), kann man über die Gründe für die niedrige Scheidungsrate in der Ortenau nur Vermutungen äußern. »Sicherlich sind die wirtschaftliche und persönliche Lebensqualität im Ortenaukreis eher gut und können sich positiv auf Ehen und Beziehungen auswirken«, sagt Böttinger. »Auch die hohen Betreuungsquoten in den Kindertagesstätten des Landkreises und das insgesamt gut ausgebaute Betreuungs- und Beratungsangebot für Familien könnten ein stabilisierender Faktor sein.«
Böttinger freut sich, dass die Beratungsangebote verstärkt angenommen würden, und erklärt sich dies mit einem zunehmenden Absinken bisheriger Hemmschwellen. »Eine rechtzeitige Beratung kann helfen, Krisen- und Belastungssituationen besser zu bewältigen und vor allem für gemeinsame Kinder gute Lösungen zu finden«, erläutert Böttinger.
Kinder seien meist nicht der Grund für eine Trennung. Falls es jedoch zuvor in einer Beziehung schon gekriselt habe, könnte die Betreuung und Erziehung der Kinder das Problem noch verstärken. Daher könne eine gute Betreuung der Kinder auf Ehen auch entlastend wirken, sagt der Therapeut.
Stabilitätsfaktor Kinder
Dies bestätigt auch Birgit Stacey von der Erziehungsberatungsstelle des Caritas-Verbands Offenburg-Kehl: »Auffällig viele Paare trennen sich, wenn die Kinder zwischen null und drei Jahre alt sind. In diesen Zeiten ist es besonders wichtig, dass Familien genügend Unterstützung von außen bekommen«, sagt die Heilpädagogin.
Kinder könnten jedoch auch Stabilitätsfaktor für Ehen sein, weiß Thomas Schulz, Psychotherapeut aus Offenburg. »Gemeinsame Anschaffungen wie ein Haus oder eine Eigentumswohnung mit gesicherter Finanzierung können ein weiterer Stabilitätsfaktor für Ehen sein«, sagt Schulz. In seiner Praxis kann er einen leichten Rückgang der Zahl der Menschen feststellen, die Hilfe für ihre Ehe suchen.
In den Beratungsstellen des Präventionsnetzwerks Ortenaukreis und der Sozialen und Psychologischen Dienste sei hingegen laut Böttinger und Stacey die Zahl der Beratungen in den vergangenen Jahren trotz des Rückgangs der Scheidungsraten weitgehend stabil geblieben.
Erziehungs- und Familienberatung
Laut Landratsamt bieten die Erziehungs- und Familienberatungsstellen im Ortenaukreis Beratung und psychologische Hilfen an, insbesondere für Familien mit minderjährigen Kindern, sowie psychosoziale Unterstützung für Menschen in sozialen und psychischen Belastungssituationen. Im Ortenaukreis gibt es fünf Erziehungs- und Familienberatungsstellen sowie fünf kommunale soziale Dienste des Jugendamts. Zusammen haben diese Einrichtungen im vergangenen Jahr in über 2000 Fällen Trennungs- und Scheidungsberatungen durchgeführt.